Rent a Sozi in Niedersachsen: Nichts gesehen, nichts gewusst
Niedersachsens SPD-Wirtschaftsminister Olaf Lies nahm gegen Geld an einem Gespräch mit der Energiebranche teil. Er will von dem „Sponsoring“ nichts gewusst haben
Das ZDF-Magazin „frontal21“ hatte zu Wochenbeginn aufgedeckt, dass die Vorwärts-Verlagsgesellschaft Treffen mit Spitzengenossen über ihr Subunternehmen „Network Media“ an Wirtschaftsvertreter verschachert hat. Für 3.000 bis 7.000 Euro waren offenbar Gespräche etwa mit SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas oder dessen sozialdemokratischen Kabinettskolleginnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig zu haben.
Laut einer Anfrage des Vorwärts an Olaf Lies traten auch der designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sowie der einstige niedersächsische SPD-Landesparteichef und heutige nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin dabei als als „Dinner Speaker“ auf.
SPD-Bundesparteichef Sigmar Gabriel soll daraufhin getobt haben – schließlich erinnert die Affäre an den „Rent-a-Rüttgers“-Skandal, in den Nordrhein-Westfalens ehemaliger Regierungschef 2010 verwickelt war. Für 20.000 Euro verkauften die Christdemokraten im Wahlkampf nicht nur Werbefläche auf ihrem Landesparteitag: Zum Paket gehörte auch ein Treffen mit dem NRW-Ministerpräsidenten. Gabriel sprach damals von „Vorteilsnahme“ und forderte eine strafrechtliche Überprüfung.
Entsprechend alarmiert reagierten die Sozialdemokraten im aktuellen Fall: Vorwärts-Gespräche werde es nicht mehr geben, versicherte SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan am Mittwoch. Die daran beteiligten Genossen wollen allesamt nicht gewusst haben, dass die Treffen mit vierstelligen Eurobeträgen „gesponsort“ waren – moderiert wurden die Gespräche von der Vorwärts-Chefredakteurin Karin Nink, die bis zum Jahr 2000 für die taz gearbeitet hat.
Ähnlich argumentiert auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies: Erst vier Tage vor seinem Auftritt am 11. April in Berlin habe die Vorwärts-Tochter „Media Network“ in einer abschließenden Mail mitgeteilt, „Unterstützer des Abends“ sei „das HanseWerk, eine Eon-Unternehmung“ – und diesen Hinweis hätten seine Mitarbeiter schlicht überlesen.
Allerdings: Die Firma Hanse-Werk ist nicht irgendwer. Der Netzbetreiber verfügt in ganz Norddeutschland über 51.000 Kilometer Strom- und 27.000 Kilometer Gasleitungen. Abhängig ist dieses Geschäft von der für fairen Wettbewerb zuständigen Bundesnetzagentur als oberste Regulierungsbehörde des Bundes – schließlich müssen Wind- und Solarkraftwerke immer häufiger abgeregelt werden, weil die Stromnetze überlastet sind.
Für den Hanse-Werk-Vorstandschef Matthias Boxberger dürfte das Vorwärts-Gespräch vom 11. April deshalb eine gute Gelegenheit geboten haben, einem einflussreichen Politiker wie Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies die Sorgen und Nöte seiner Firma zu schildern – immerhin war der Sozialdemokrat just am Morgen des gleichen Tages zum Vorsitzenden des Beirates der Bundesnetzagentur gewählt worden.
Ein Mitarbeiter Boxbergers jedenfalls hatte schon fünf Tage vor dem Treffen angekündigt, der Hanse-Werk-Chef könne gern über die „Weiterentwicklung des Energiesektors“ und Eons „innovative Rolle“ darin referieren. Bei dem Treffen vertreten waren aber auch Firmen wie Siemens und ein weiterer Netzbetreiber, Tennet. Minister Lies versichert, er stehe für jeden Interessierten auch ohne Geldzahlung zur Verfügung: Hätte er von dem „Sponsoring“ gewusst, sagte er im Landtag, „hätte ich das nie gemacht“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste