Renaissance von Secondhand-Mode: Auf Schatzsuche
Secondhand-Mode verspricht emotionalen Mehrwert. Der Umsatz wird sich in den nächsten fünf Jahren auf 51 Milliarden Dollar verdoppeln.
Es gibt da diese Werbekampagne eines Luxusuhrenherstellers, die einem hin und wieder im Hochglanzprint begegnet: Ein altersgemäß überdurchschnittlich fein gekleidetes Kind schaut sein Elternteil freundlich-wohlerzogen an, das Elternteil blickt liebevoll zurück (ist es ein Mädchen, schaut es seine Mutter an; ist es ein Junge, blickt der zu seinem Vater hoch und umgekehrt).
Bemerkenswert an dieser seit 1996 offenbar höchst erfolgreichen Kampagne ist der zugehörige Slogan. An dieser Uhr, wird dort erklärt, erfreue man sich [zwar] sein ganzes Leben lang. Sie gehöre einem aber niemals ganz allein, man bewahre sie stets schon für die nächste Generation auf.
So fröhlich und – für mitteleuropäische Verhältnisse – geradezu überraschend offenherzig kommt da der Thanatos daher: Eine kostspielige Uhr, für die das Wissen um ihre Weitergabe an die Nachfahren zum Alleinstellungsmerkmal herausgestellt wird. Was auf einer archaisch-universellen Ebene natürlich sehr gut verfängt, Familiengründung als Weitergabe von Heritage. Je nach ökonomischer Stellung eben mit mehr oder weniger exklusiven Gütern.
Die Behauptung, es gebe eine Zeitlosigkeit der Mode, einen klassisch guten Geschmack, hält zumindest der britische Modetheoretiker Malcolm Barnard für einen Beitrag zur Identifikationsstiftung und Etablierung einer dominanten Klasse.
Suggerierte Zeitlosigkeit und modisches Prinzip
Vielleicht haftet der Mode, die zu allem Überfluss auch noch die Befreiung von jeglichen gottgegebenen Umständen verspricht, auch deshalb noch immer etwas Anrüchiges an, mit dem sich jene beschäftigen sollen, die (ökonomisch oder intellektuell) unfähig sind, das Wahre, Schöne und Gute zu zelebrieren.
Doch zurück zur Kampagne: Neben einer suggerierten Zeitlosigkeit formuliert die eben trotzdem auch ein modisches Prinzip, nämlich das der Neubewertung von Kleidung und Accessoires. Jenen, die nun nicht auf Chronografen und andere Erbstücke aus Familienbesitz hoffen dürfen, bleibt eine andere Option, am Verwertungskreislauf der modischen Waren zu partizipieren.
Noch Ende 2019, Anfang 2020 konnte man in den Trendprognosen der Branchenblätter einhellig lesen, was in diesem Jahr den Handel weiter bestimmen sollte: Secondhand. Und sich eventuell kurz wundern. Nanu, sind denn schon die rechnerischen zwei Dekaden rum, nach denen plötzlich wieder neu erscheint, was damals so langsam niemand mehr sehen wollte? Tatsächlich, der große Boom der Secondhandmode, die zeitweilig ganze Straßenzüge säumte, ebbte Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre allmählich wieder ab.
Nun also ist Secondhand als ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor zurück. Laut thredUPs 2019 Retail Report, basierend auf den Daten des großen Analysten GlobalData, ist der Wiederverkauf von Gebrauchtem, im Englischen schlicht resale, in den vergangenen drei Jahren 21-fach so stark gewachsen wie der Sektor neuer Bekleidung.
Die absoluten Zahlen beeindrucken
Das heißt erst einmal noch nicht viel, geht man von einer anfangs eher brachliegenden Branche aus (zumindest im Westen, wo ein Großteil der Vintagemode auf den privaten Verkauf im Internet abgewandert ist). In absoluten Zahlen wirkt die Prognose beeindruckender – auf 51 Milliarden US-Dollar, so die Schätzung, dürfte sich der Umsatz von Secondhandmode in den kommenden fünf Jahren verdoppeln.
Die Coronakrise hat dem Boom einen kleinen Knick verpasst und dabei einige Ambivalenzen der Branche offengelegt, wie auch an dieser Stelle berichtet wurde: Plötzlich räumten alle ihre Schränke aus, und die Textilverwertungsbranche ächzte unter der Kleiderflut, von der nur ein Bruchteil in den westlichen Secondhandmarkt fließt und vieles gleich in die Faserverwertung (auch hierfür ist ein Minimum an textiler Güte vonnöten) oder auf die asiatischen und afrikanischen Textilmärkte.
In Kenia beispielsweise, wo ob der Coronapandemie vorübergehend ein Importstopp auf gebrauchte Kleidung verhängt wurde, war und ist Secondhand oder Mitumba, wie es im Land heißt, kontinuierlich ein wichtiger Bestandteil der heimischen Modelandschaft. Gleichzeitig könnten durch den Stopp der importierten Kleiderberge nun gerade die örtlichen Designerinnen und Designer profitieren.
Die Prognosen ob des Secondhandrevivals dürften trotzdem nicht völlig fehlgehen. Gerade etablierte Modeanbieter integrieren Gebrauchtes immer selbstverständlicher in ihr Sortiment. Von Filialisten wie Urban Outfitters bis zum reinen Online-Modegiganten ASOS wird Secondhandkleidung angeboten, und H & M kooperiert nun mit dem schwedischen Unternehmen Sellpy, bei dem man zum Beispiel im Online-Shop mit ein wenig Glück neben No-Name-Sneakers gleichberechtigt mal ein Paar Chanel-Ballerinas im Sortiment findet.
Kuratierte und auktionierte Secondhandmode
Auch das ist übrigens gar nicht so neu: In den frühen 2000er Jahren bot der schwedische Filialist schon einmal sorgfältig kuratierte Secondhandmode neben den bekannten eigenen Kollektionen zum Kauf an. Fast Fashion und Kleidung aus der zweiten Umdrehung in einer Einkaufstasche, das trifft es vielleicht ganz gut. Rechnerisch schont es bereits die Ressourcen, ein einzelnes Kleidungsstück nur einige Monate länger zu tragen. Wird der Einkauf zum guten Gewissen als Ausgleich für ein schlechtes, gerät eine solche Rechnung allerdings schnell an ihre Grenzen.
Ob man die Welt mit Secondhandmode wird retten können, steht ohnehin auf einem anderen Blatt als die Frage, ob sie ihren Trägerinnen und Trägern zumindest dieses Gefühl vermitteln kann. Wohl erst unter Millenials und der Generation Z, die Nachhaltigkeitsthemen als selbstverständlichen Anspruch formulieren, konnte sich ein so eigentlich urbekanntes Prinzip zur großen Hoffnung der Branche aufschwingen.
Am einen Ende dieses Extrems, wo die Strahlkraft des Originals ungebrochen ist, wird Luxussecondhand für sechsstellige Beträge im Auktionshaus versteigert – erst im Juni kam ein Paar Air-Jordans-Sneakers von 1985 im New Yorker Sotheby’s für rund eine halbe Million US-Dollar unter den Hammer.
Investment-Bags neben Alten Meistern
Alteingesessene Auktionshäuser nehmen inzwischen ganz selbstverständlich gebrauchte Mode und Streetwear in ihre Kataloge auf, wie Alice Fisher im Guardian berichtete: „Viele verkaufen nun Skateboards genauso wie Picassos und schaffen Handtaschenabteilungen neben solchen für Antiquitäten und Alten Meistern.“
Am anderen Ende kann man beobachten, wie Bekleidung ohne oder mit wenig aufsehenerregender Herkunft nun regelabelt wird. Den Floh- und Kleidermarktcharme hat die gebrauchte Kleidung elegant abgestreift – für den Preis, dass sie corporate wird, sich also irgendwie einem Unternehmen, Logo oder zumindest doch Label zuordnen lässt. Vielleicht braucht es das in ausgesprochen visuellen, gleichsam maximal unübersichtlichen Zeiten.
In beiden Szenarien spielt das Entdecken eine Hauptrolle, denn uneroberte Territorien gibt es in dieser Welt ja angeblich kaum mehr: Zwar sind Kleid, Mantel, Schuh und Shirt niemals für einen persönlich gemeint gewesen und erwartungsvoll aufbewahrt worden. Aber eine andere Art von emotionalem Mehrwert kann Secondhandmode hervorragend selbst herstellen, erscheint sie doch immer im Zusammenhang des nicht schon pro forma festgelegten Einzelstücks, das es wie einen Schatz zu heben und in einen neuen Kontext zu setzen gilt.
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