Rekordreserven der Krankenkassen: „Techniker“ zahlt zurück
Das Finanzpolster ist so dick wie nie, der politische Druck immens: Jetzt sollen die Mitglieder der Techniker Krankenkasse eine Prämie bekommen.
BERLIN taz | Auf einen Rekordwert von 21,8 Milliarden Euro sind die Reserven der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland angewachsen – nun bekommen die Versicherten etwas von ihrem Geld zurück: Als erste große bundesweite Kasse kündigte die Techniker Krankenkasse (TK) am Dienstag in Hamburg an, ihren knapp 6 Millionen Mitgliedern eine zusätzliche Prämie ausschütten zu wollen. Diese dürfte zwischen 60 und 120 Euro pro Jahr liegen, sagte ein TK-Sprecher.
Mit der Ausschüttung seien weder Leistungskürzungen noch Einschränkungen der finanziellen Gesamtsituation verbunden. Der Verwaltungsrat solle am 12. Oktober auf einer Sondersitzung einen entsprechenden Beschluss fassen. Bislang ist die Prämienausschüttung lediglich eine Empfehlung des Vorstands.
Die Techniker Krankenkasse reagiert damit auf monatelangen politischen Druck, die Überschüsse zumindest teilweise an die Versicherten zurückzuzahlen – schließlich handelt es sich um Geld der Beitragszahler, und ganz nebenbei ist in einem Jahr Bundestagswahl.
Entsprechend zufrieden forderte der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am Dienstag in Berlin, andere Kassen sollten dem Beispiel der TK folgen: „Ich erwarte das“, sagte Bahr. Die Entscheidung der TK werde den Wettbewerb und den Druck auf andere Kassen erhöhen.
Praxisgebühr soll trotz Überschüssen bleiben
Bis Redaktionsschluss folgte allerdings keine weitere große Kasse Bahrs Appell. Die Barmer GEK teilte mit, ihr sei „ein attraktives Leistungsportfolio wichtiger als eine verhältnismäßig geringe Prämienausschüttung“. Bislang zahlen nur wenige der rund 145 gesetzlichen Kassen Prämien aus. Diese Prämien liegen zwischen 30 und 72 Euro im Jahr pro Mitglied. Mitversicherte, etwa Kinder, erhalten keine eigene Prämie.
Die Kassen schwimmen derzeit im Geld, weil sich die Wirtschaft immer noch prächtig entwickelt, es Zuwächse bei Beschäftigung, Löhnen und Renten gibt. Daneben hatte die Bundesregierung zum 1. Januar 2011 die Beitragssätze von 14,9 auf 15,5 Prozent des Bruttolohns erhöht und ein Arzneimittelsparpaket auf den Weg gebracht.
Eine Absenkung der Beitragssätze lehnt die schwarz-gelbe Bundesregierung indes ebenso ab wie die von der Opposition geforderte Abschaffung der Praxisgebühr (2 Milliarden Euro pro Jahr), deren vermeintliche Steuerungswirkung nachweislich gescheitert ist.
Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hatte immer wieder vor überhöhten Begehrlichkeiten gewarnt und davor, das angesparte Geld zu verpulvern: Der Überschuss aus dem ersten Halbjahr 2012 entspreche lediglich einer Reserve von 5 Tagen, die Leistungsausgaben der Kassen stiegen und die Risiken im Euro-Raum nähmen zu. Dafür bräuchten die Kassen ihre Rücklagen. Dazu kommt, dass die rund 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten derzeit mit den Kassen im Clinch liegen über die Höhe ihrer künftigen Honorare. Diese werden aus Versichertenbeiträgen bezahlt.
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