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Reisebeschränkungen und GrenzkontrollenWieder Grenzschließungen in der EU?

Vor dem Gipfel ist eine hitzige Debatte über die umstrittenen Maßnahmen entbrannt. Offenbar denkt nun auch Brüssel anders darüber.

Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich im August 2020 Foto: Revierfoto/imago

Brüssel taz | In der Europäischen Union ist eine neue hitzige Debatte über Grenzkontrollen und Reisebeschränkungen entbrannt. Damit solle die Ausbreitung der gefährlichen britischen Variante des Coronavirus eingedämmt werden, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Die umstrittene Maßnahme könnte sich aber auch gegen EU-Länder richten, die nicht den deutschen Hygiene-Standards entsprechen.

„Es geht nicht darum, flächendeckende Grenzschließungen einzuführen“, sagte Merkel vor einem Coronakrisengipfel der 27 EU-Staaten am Donnerstag in Berlin. Vielmehr gehe es um ein einheitliches Vorgehen in der Pandemie-Bekämpfung. Sie wolle, „dass wir alle möglichst dasselbe Ziel verfolgen, die Inzidenzen möglichst runterzubringen“, so Merkel. Grenzschließungen wären nur die „Ultima Ratio“.

„Das war falsch 2020 und das ist noch falsch in 2021“, entgegnete Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Grenzschließungen seien kein geeignetes Mittel gegen die Pandemie. Luxemburg hatte Geschäfte wieder geöffnet, nachdem sie in Deutschland geschlossen worden waren. Auch in der Schweiz und Tschechien geht man anders mit dem Coronavirus um als im größten EU-Land.

Hier sieht Merkel nun Handlungsbedarf. Bei Frankreich, Belgien und den Niederlanden erwarte sie keine Probleme, sagte die CDU-Politikerin. Frankreich hatte zuvor „Gesundheitskontrollen“ an den Binnengrenzen gefordert, Belgien erwägt sogar das Verbot von „nicht essentiellen“ Reisen. Reden müsse man aber noch mit Tschechien und der Schweiz, so Merkel weiter. In einem Diskussionspapier aus Berlin war von „Testzentren an den Grenzen“ die Rede.

Beobachter vermuten Absprache von Brüssel und Berlin

Der deutsche Vorstoß steht im Widerspruch zur bisherigen Linie der EU. Brüssel hat sich immer wieder entschieden gegen Grenzschließungen und -kontrollen ausgesprochen. Durch die Abriegelung der Binnengrenzen bei der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 sei die Krise verschärft worden, hieß es. Zuletzt gab es sogar eine Debatte über mögliche Lockerungen der Reiseregeln für jene EU-Bürger, die bereits eine Corona-Impfung erhalten haben.

Doch in einer am Dienstag vorgelegten Empfehlung sprach sich die EU-Kommission überraschend für „angemessene Reisebeschränkungen, einschließlich Tests für Reisende“ für Gebiete mit hoher Corona-Inzidenz aus. Zudem fordert die Brüsseler Behörde nun, von „allen nicht unbedingt notwendigen Reisen“ abzuraten. Kurz darauf begann auch die Bundesregierung in Berlin, den Druck zu erhöhen.

Berlin und Brüssel hätten sich abgesprochen, vermuten Beobachter. Hintergrund ist offenbar die Entscheidung von Bund und Ländern, den Lockdown in Deutschland zu verlängern und zu verschärfen. Merkel erklärte dies mit der Sorge vor der neuen britischen Variante des Coronavirus. Um dessen Ausbreitung zu verhindern, müssten aber auch andere EU-Länder mitziehen, sagte sie.

Allerdings sind Grenzkontrollen oder gar Schließungen auch in Deutschland umstritten. So sprach sich Außenminister Heiko Maas (SPD) gegen neue Einschränkungen aus. „Wir müssen alles daran setzen, um zu verhindern, dass es wieder zu Grenzkontrollen kommt und zu 50 Kilometer langen Staus an den Grenzen“, sagte er.

EVP-Chef warnt vor wirtschaftlichem Schaden

Der Fraktionschef der konservativen EVP im Europaparlament, Weber, warnte vor wirtschaftlichen Schäden durch Grenzschließungen. „Für die deutsche Industrie und den Handel würden Grenzschließungen große Einbußen bedeuten. Zudem würde das Gesundheitswesen in den Grenzräumen vor enorme Herausforderungen gestellt“, sagte der CSU-Politiker.

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8 Kommentare

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  • > Der Fraktionschef der konservativen EVP im Europaparlament, Weber, warnte vor wirtschaftlichen Schäden durch Grenzschließungen. „Für die deutsche Industrie und den Handel würden Grenzschließungen große Einbußen bedeuten. Zudem würde das Gesundheitswesen in den Grenzräumen vor enorme Herausforderungen gestellt“, sagte der CSU-Politiker.

    Solche Beschränkungen sind halt auch der Preis dafür, dass die Gesundheitsämter wie viele kommunale Einrichtungen völlig unterbesetzt und unterfinanziert sind, und deswegen keine ordentliche Kontaktverfolgung machen können.

    Und das wurde oft von den gleichen Parteien durchgesetzt, deren Politiker sich hier beschweren.

    Und richtig, unterm Strich hat man da rein gar nichts gespart, im Gegenteil.

  • Wieder Grenzenfetichismus, diesmal schleichend. Inwiefern bin ich gefährlicher als irgendeiner Ansässiger, wenn ich allein über eine EU-Grenze reise und genauso wie die Menschen auf der anderen Seite den vorgeschriebene Massnahmen nach lebe ? Dazu noch, dass keiner der drei betroffenen EU-Staaten meine "Notwendigkeit" ungleich bestimmen ...

    • @Eulenspiegel:

      > Inwiefern bin ich gefährlicher als irgendeiner Ansässiger, wenn ich allein über eine EU-Grenze reise und genauso wie die Menschen auf der anderen Seite den vorgeschriebene Massnahmen nach lebe ?

      Sehr einfach, Bewegungsbeschränkungen dämmen die Ausbreitung des Virus ein. Und es ist halt so, dass viele Infektionen asymptomatisch aber trotzdem ansteckend sind und daher solche infizierten Reisenden die Krankheit übertragen und damit auch räumlich verbreiten.

      Insbesondere wenn sie zwischen Gebieten mit hoher und solchen mit niedriger Inzidenz reisen.

  • Wenn das Gefälle bzgl. Gesamtinzidenz oder Anteil an neuer ansteckender Variante zu groß ist, dann muss man darüber nachdenken, Kontrollen zu forcieren.

    Nun ist aber relativ offensichtlich, dass wir uns nach weiteren ca. 2 Monaten merklicher, aber vielleicht schon langsam nachlassender Einschränkung, den Schritten in Richtung Normalität nähern.

    Wichtig für die Zukunft ist, sicherzustellen, dass alles dafür getan wird, eine verglechbare Situation in Zukunft zu verhindern und das auf gesamteuropäischer Ebene. Denn eines ist klar: Wenn alle Staaten in der EU zzgl. Schweiz u.a. hier von Beginn an den Eintrag des Virus verhindert bzw. verfolgt hätten, dann hätten wir auch in Europa den besten Weg der Nullinzidenz gehen können.



    Als Einzelstaat in der EU ist das nicht praktikabel. Niedriginzidenz als Konzept ist de facto überall gescheitert, nicht nur bei uns.

    • @Co-Bold:

      > Als Einzelstaat in der EU ist das nicht praktikabel.

      Wieso? Ohne Frachtverkehr wird es auf Dauer schwierig, aber nicht essentielle touristische Reisen kann man sehr wohl beschränken und an Quarantäne und Tests knüupfen.

      > Niedriginzidenz als Konzept ist de facto überall gescheitert, nicht nur bei uns.

      Niedriginzidenz ist extrem erfolgreich als Konzept und in der Praxis in:

      Neuseeland



      Taiwan



      den australischen Bundesstaaten



      Südkorea



      Thailand



      Vietnam



      Sri Lanka



      Finnland



      Norwegen

      und diversen Ländern mehr. Es gibt eine ganze Liste hier:

      www.worldometers.i...navirus/#countries

      Wenn Sie nach der Zahl der Todesfälle pro Million Einwohner sortieren und auf das Ende der Liste schauen. Das sind meist nicht mal reiche Länder.

      Und diese Länder sind sehr verschieden.



      So gut wie das Einzige, was diese Länder alle gemeinsam haben, ist dass sie konsequent und schnell Maßmahmen zur Supression ergriffen haben, und das Gemeinwohl gegenüber sehr kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen an die erste Stelle setzen.

  • FFP2 Masken statt Grenzschließungen.

    #Wenn alle FFP2 Masken trügen solten kaum noch Viren in der Luft sein

    #Dann sollte man ein Maske auch über Wochen tragen können

    #Masken können aber auch bei 80 Grad in den Backofen gelegt werden oder sieben Tage an einem trockenen Ort gelüftet werden



    www.fh-muenster.de...1_doppelseiten.pdf

    #Wenn alle FFP2 Masken tragen sollte kaum noch jemand erkranken, dann braucht es auch keine Massen an Masken in den Kliniken

    • @kamera mann:

      > #Dann sollte man ein Maske auch über Wochen tragen können

      Fünf mal ganztägig tragen wird als Grenze empfohlen. Seite 4 in dem von Ihnen verlinktem PDF.

      Der Grund ist, die Masken arbeiten u.a. nach einem elektrostatischen Filterprinzip (ähnlich wie früher die Bildröhre am Fernseher ziehen sie Staub an). Anders könnten sie so kleine Dinge wie Viren, die nur eine Größe von Nanometern = Milliardstel Metern haben, nicht ausfiltern.

      Dieser Effekt verbraucht sich und daher ist der Zeitraum, den die Masken nützen, leider begrenzt.

  • Wirtschaft hin oder her - die Menschen müssen an erste Stelle stehen. Warum nicht einen Grenzwert setzen wie >500 Inzidenz für Grenzschliessungen ähnlich wie 200 bei der 15 KM Regel ? Konkret geht es ja um Tschechien : wenn man auf die RKI Karte sieht macht das schon Sinn.