Reichsbürger in Brandenburg: Gescheiterte Väter und Bankrotteure
Rund 600 Reichsbürger gibt es inzwischen in Brandenburg, so eine Untersuchung. Und es werden mehr. Ihr Ziel: Delegitimierung des Staates.
Dabei unterscheiden sich die „Reichsbürger“ von der Pegida-Bewegung aber in einem wesentlichen Punkt, wie Wilking betonte. „Sie sind nicht politikverdrossen, sondern verwaltungsverdrossen.“ Ihr Ziel sei es, Behörden lahm zu legen. „Und die Verwaltung hat in der Öffentlichkeit nur wenig Lobby“, meinte der Experte.
In Brandenburg seien den Behörden inzwischen etwa 600 „Reichsbürger“ bekannt, bundesweit seien es bereits rund 18.000. Sie leugnen die Existenz des Staates und wehren sich massiv und mit meist abstrusen Schriftsätzen gegen Maßnahmen der Behörden. In vielen Fällen handele es sich um gescheiterte Familienväter oder Bankrotteure, die mit einer abstrusen Weltsicht von ihrem eigenen Scheitern ablenken wollten, meinte Wilking.
Der Experte stellte als Herausgeber die dritte, erweiterte Auflage des Handbuchs „Reichsbürger“ vor, das Mitarbeitern von Verwaltungen, Gerichten und der Polizei Tipps zum Umgang mit Vertretern der Szene gibt. „Es geht nicht nur darum, „Reichsbürger“ in die Schranken zu weisen“, betonte Wilking. „Wir müssen ebenso verstehen, wie sie und ihr Milieu funktionieren.“ Die Handbücher haben eine Auflage von 8.500 Exemplaren, davon sollen 3.500 Bände in Sachsen verteilt werden.
Die oberste Regel laute, mit den „Reichsbürgern“ nicht zu diskutieren, erläuterte Wilking. „Denn „Reichsbürger“ verfolgen damit das Ziel, Verwirrung zu stiften, um staatliche Stellen vom rechtlich gebotenen Handeln abzulenken.“ Auch der Schriftwechsel mit den Vertretern der Szene solle auf das absolut Notwendige beschränkt und Maßnahmen müssten konsequent vollstreckt werden.
Im Herbst 2016 hatte sich ein bewaffneter „Reichsbürger“ im bayerischen Georgensgmünd verschanzt und einen Polizeibeamten erschossen. Die Polizei hatte dem Mann seine Waffen abnehmen wollen und war mit einem Spezialeinsatzkommando angerückt.
Die Öffentlichkeit ist aufgeschreckt
„Das hat die Öffentlichkeit aufgeschreckt“, sagte der zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium, Herbert Trimbach. Anschließend wurden auch in Brandenburg Verfahren gegen Reichsbürger eingeleitet, die waffenrechtliche Erlaubnisse hatten. In 26 Fällen wurden die Waffenscheine und die Waffen bereits eingezogen. In 13 weiteren Fällen laufen die Verfahren noch. Die Verfahren fußen darauf, dass bei „Reichsbürgern“ aus Sicht der Behörden die für einen Waffenschein notwendige Zuverlässigkeit nicht gewährleistet ist.
Dirk Wilking, demos Institut
Aus Sicht von Brandenburgs Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger sind alle „Reichsbürger“ extremistisch, weil sie den Staat nicht anerkennen. „Oft gibt es auch rechtsextremistische und antisemitische Bezüge, andere glauben wiederum, dass die DDR noch fortbesteht“, erläuterte der Verfassungsschutzchef. Seine Behörde analysiert regelmäßig Schreiben, die von „Reichsbürgern“ am Behörden verschickt werden. „Da sehen wir, welche Wahn-Variante gerade aktuell ist – und das nehmen wir dann auch als Hinweis für die Gefährlichkeit dieser Menschen.“.
Doch auch bei reinen Querulanten sieht Nürnberger den Staat gefährdet. „Es geht ja darum, dass Amtsträger wie Gerichtsvollzieher und Richter in ihrer Amtsausübung behindert werden sollen. So könne man nicht zulassen, dass sich Mitarbeiter des Ordnungsamtes nicht mehr trauten, bei diesen Personen Parkverstöße zu ahnden. „Am Ende leidet das Ansehen des Rechtsstaates und die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft nimmt Schaden“, betonte Nürnberger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken