Reichsbürger-Prozess um Prinz Reuß: Die rechtslibertären Erinnerungslücken des Crash-Propheten
Was wusste Markus Krall über den Umsturzversuch um Prinz Reuß? Angeblich sehr wenig, so gibt er im Frankfurter Reichsbürger-Prozess vor.
Den neun Männern und Frauen im Prozess vor dem Oberlandesgericht wird vorgeworfen, einen bewaffneten Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Weitere 17 Angeklagte müssen sich in Parallelverfahren in München und Stuttgart verantworten. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft soll Krall ein Kandidat für das Ressort „Wirtschaft und Finanzen“ in der designierten Putschregierung gewesen sein, dem von Reuß geführten „Rat“. Doch er war offenbar klug genug, sich nicht darauf einzulassen.
Zweimal hat der 62-Jährige, der seit Langem einen durchaus vertrauten Umgang mit Prinz Reuß pflegt, eine Delegation der Möchtegern-Umstürzler*innen getroffen. „Ich wurde gefragt, was ich tun würde, wenn ich Verantwortung in Deutschland hätte“, sagt er. Aber das sei für ihn nichts Ungewöhnliches – schließlich habe er über seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen mehrere Bücher geschrieben. „Ich habe dem begrenzte Bedeutung beigemessen.“
Der promovierte Volkswirt lebt davon, immer wieder den angeblich kurz bevorstehenden Zusammenbruch des Währungssystems vorherzusagen – und als Ausweg die Investition in Gold anzupreisen, das er praktischerweise selbst verkauft.
Kettensägen-Fan und Sozialdarwinist
Er hat aber auch eine politische Vision: Krall will wie Argentiniens Präsident Javier Milei die Kettensäge ansetzen und Deutschland zu einem Minimalstaat zurechtstutzen, in dem faktisch das Recht des Stärkeren gilt und Empfänger*innen von Sozialleistungen das Wahlrecht verlieren. Er hält das für verfassungskonform. Nachdem er daran scheiterte, die Werteunion auf diesen Kurs zu bringen, versucht er es jetzt mit der rechtskonservativen Kleinpartei „Bündnis Deutschland“. Das Ziel: eine Regierung mit der AfD.
Mit Reuß, sagt der Pandemie- und Klimawandelleugner zunächst, habe er sich vielleicht ein- bis zweimal im Jahr getroffen, rein beruflich. Erst als ihm vorgehalten wird, dass im Kalender des Immobilienunternehmers weitaus mehr Termine stehen und dass er Reuß unter anderem seinen rechtslibertären Verfassungsentwurf geschickt hat, räumt er ein: Das könne schon auch sein.
Mails und Chats, die nahelegen, dass er über die Pläne der Angeklagten möglicherweise doch etwas mehr gewusst haben könnte, habe er „nicht so genau“ gelesen, beteuert er. Nicht einmal von Reichsbürger-Ideologie will er bei seinem adligen Bekannten etwas bemerkt haben.
Dabei zählte er am 9. November 2020 zu den handverlesenen Gästen, als Reuß in seinem thüringischen Jagdschloss die „Wiederherstellung der Fürstentümer Reuß als Bundesstaaten im Deutschen Reich“ proklamierte. Krall sprach dabei einleitend ein „Gebet vor dem Gefecht“. Vor Gericht nennt er das nun ein „Kulturevent“.
Am 5. August wird der Prozess fortgesetzt. Es ist bereits der 80. Verhandlungstag. Und ein Ende noch lange nicht in Sicht.
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