Regisseurin über eine Heldin mit Euter: „Ich habe viele Kühe gecastet“
Kelly Reichardt, Regisseurin des Wettbewerbsbeitrag „First Cow“, erzählt von Tieren als Schauspieler, Pilzen und Naturdarstellungen.
Mit ihrem Debütfilm „River of Grass“ war die Regisseurin Kelly Reichardt erstmals auf der Berlinale zu Gast, nun kehrt sie mit „First Cow“ zurück und konkurriert im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Wir treffen sie am Tag nach der Premiere in einer schmucklosen Ecke des Berlinale-Palasts zu einem kurzen Interview, ohne Händeschütteln zur Begrüßung. Zu groß, so entschuldigt sie sich, sei bei Festivals die Gefahr sich zu erkälten, was sie angesichts mehrerer bevorstehender Reisen gern vermeiden wolle. In Zeiten von Corona allzu verständlich.
taz am Wochenende: Miss Reichardt, mit „Meek’s Cutoff“ haben Sie vor zehn Jahren schon einmal einen Film gedreht, der im 19. Jahrhundert spielt. Auch „First Cow“ ist nun wieder eine Variation des Western. Was gibt es in diesem Genre für Sie zu entdecken?
Kelly Reichardt: Das Genre ist nicht das, was mich eigentlich interessiert. In erster Linie habe ich die Figuren, die Orte, die Geschichte im Blick. In diesem Fall den Roman „The Half Life“ meines langjährigen Wegbegleiters und Ko-Autoren Jonathan Raymond. Oder zumindest Teile davon. Aber natürlich kann ich eine gewisse Faszination für den Western nicht abstreiten. Es reizt mich, in diesem traditionell männlich konnotierten und eigentlich immer romantisierten Genre neue Blickwinkel und Erzählansätze zu finden.
In „Meek’s Cutoff“ gelang Ihnen das mittels weiblicher Protagonistinnen, dieses Mal steht eine ungewöhnliche Männerfreundschaft im Zentrum. Der Koch Cookie und der chinesische Einwanderer King Lu lassen sich zusammen in Oregon nieder, klauen Milch bei der Kuh des Nachbarn und backen. Fast könnten sie ein Paar sein...
Auf jeden Fall ist es eine sehr häusliche Freundschaft. Echte Männerliebe, in einer Welt, in der keine Frauen zu finden sind. Für mich hatte das nicht automatisch etwas Erotisches. Aber ich überlasse das gern der Interpretation des Publikums.
King Lu ist eine Kombination aus zwei der Romanfiguren, und auch sonst sind die Veränderungen gegenüber der Vorlage recht groß. Warum?
Die beiden Figuren zu einer zu verschmelzen war Johns Idee. Sein Roman spielt nicht nur über vier Jahrzehnte im 19. Jahrhundert, inklusive einer Reise nach China, sondern auch in den 1980er Jahren. Für meine Art von Filmen war das zu viel, denn mir geht es immer eher um die kleinen Momente als um große Pinselstriche. Ein Leben von Anfang bis Ende zu erzählen, finde ich nicht spannend. Viel lieber ist es mir, wenn als Zuschauer*in eher eine Stippvisite bei den Protagonist*innen macht und sie nur für eine kurze Weile begleitet.
Sie haben in der Vergangenheit mit Michelle Williams, Laura Dern oder Jesse Eisenberg gedreht. Warum haben Sie bei „First Cow“ lieber auf unbekanntere Namen gesetzt?
Stars zu besetzen hilft natürlich oft dabei, Geld zusammenzubekommen, was dieses Mal nicht nötig war. Nicht dass wir bei „First Cow“ ein riesiges Budget hatten, aber Scott Rudin war als Produzent mit an Bord, und der war von Beginn an damit einverstanden, dass dies ein kleiner Film ist, der keine großen Namen braucht. Ich fand es für diese Geschichte von Vorteil, Schauspieler zu besetzen, die dem Publikum nicht unbedingt vertraut sind. Auch wenn John Magaro, der als Cookie meine erste Wahl war, zumindest am Broadway durchaus bekannt ist. Und dass Rudin als Theatermacher ein Fan von ihm ist, half natürlich.
In Ihren Filmen spielen immer auch Tiere eine große Rolle, „First Cow“ ist da keine Ausnahme. Was reizt Sie daran eigentlich?
Die ganz banale Antwort ist einfach: Ich liebe Tiere. Ich bin mit Hunden aufgewachsen und kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Früher hat oft meine eigene Hündin in meinen Filmen mitgespielt. Da habe ich schnell gemerkt, wie ausdrucksstark Tiere vor der Kamera sein können. Und wie sehr ihre Spontaneität dabei hilft, dass auch die Schauspieler*innen spontan und wachsam bleiben.
Wobei die Arbeit mit einer Kuh sicherlich noch einmal etwas anderes ist als die mit einem Hund...
Das ist wohl wahr. Ich habe mir viele Kühe angeguckt, bevor ich mich für Evie als unsere Titelheldin entschieden habe. Wir mussten sie trainieren, damit sie sich an so viele Menschen um sich herum gewöhnt und vor allem damit wir mit ihr auf einer Fähre drehen konnten. Kühe schwimmen ja nicht, und anfangs war ihr das spürbar unbehaglich. Normalerweise bin ich allerdings kein Fan von Tiertrainern. Bei Hunden etwa arbeite ich nach Möglichkeit nur mit privaten Hunden, die keine Kameraerfahrung haben, selbst wenn das mitunter Nerven kostet. Filmhunde verhalten sich nie unerwartet oder spontan, die reagieren immer nur auf Kommandos und Leckerlis. Das hat nicht den wahrhaftigen Effekt, um den es mir geht.
stammt aus Florida und hat sich als Independent-Filmemacherin einen Namen gemacht. Sie debütierte 1994 mit „River of Grass“, zuletzt drehte sie „Night Moves“ (2013) und „Certain Women“ (2016). Ihr Film „First Cow“ läuft im Wettbewerb.
Apropos Wahrhaftigkeit: Der Naturalismus Ihrer Filme ist eines Ihrer Markenzeichen. Gleichzeitig ist es aber natürlich nicht so, dass Sie lediglich Ihre Kamera in der Natur aufstellen und drauflos filmen.
Mir geht es nicht um „das Echte“. Meine Filme sind Fiktion, „First Cow“ ist eher eine Fabel als Realität. Ich sehe mich nicht in irgendeiner neorealistischen Tradition. Wenn Cookie im Film durch den Wald streift und Pilze sammelt, dann sind das keine Pilze, die wir vor Ort in den Wäldern Oregons gefunden haben, sondern Pfifferlinge aus dem Bio-Supermarkt, die mein Production-Designer dort platziert hat. Schon allein, weil John Magaro die ja auch essen muss und wir nicht riskieren konnten, dass er da doch mal einen hochgiftigen findet. Natürlich haben die Pilzsammler*innen in meinem Freundeskreis sofort erkannt, dass wir da getrickst haben. Aber so etwas stört mich nicht.
Sie sagen, Sie wollen sogenannte beauty shots beim Naturfilmen vermeiden. Wie meinen Sie das?
Panoramaaufnahmen, die das Publikum einfach nur überwältigen sollen, interessieren mich nicht. Es gibt in „First Cow“ eine einzige Totale, als Cookie auf dem Weg nach Hause ist. In dem Moment erfüllt sie einen Zweck, wir sehen seinen Weg. Aber prinzipiell filme ich Natur und Landschaften so, dass sie eine Funktion innerhalb meiner Geschichte haben. Wenn das dann schön aussieht, ist das nur ein Nebeneffekt.
Sie haben vorhin schon den Produzenten Scott Rudin erwähnt. Viel größer als sonst bei Ihren Filmen war nun das Budget für „First Cow“ auch mit ihm nicht, oder?
Wir hatten ein wenig mehr Geld als sonst, und ich habe dadurch auch erstmals zu den Bedingungen der gewerkschaftlichen Vereinigungen der amerikanischen Filmbranche gedreht. Was zum Beispiel bedeutete, dass dies mein erster Film überhaupt war, an dem wir an den Wochenenden drehfrei und auch sonst geregelten Feierabend hatten.
Würde es Sie reizen, ein deutlich größeres Projekt zu stemmen und etwas anderes auszuprobieren?
Vor „First Cow“ sah es so aus, als würde ich einen Film in Europa drehen. Der wäre eine ganze Ecke teurer gewesen als meine sonstigen Arbeiten – und irgendwie bin ich ganz froh, dass sich das zerschlagen hat. Ich fühle mich wohl in meiner kleinen Nische. Natürlich ist es manchmal schwierig, wenn das Geld knapp ist. Aber selbst meine Budgets sind ja eigentlich viel Geld. Filmemachen ist eine verdammt teure Angelegenheit, und gerade dieses sehr persönliche, intime Erzählen, wie ich es bevorzuge, ist echt Luxus. Dass ich das überhaupt seit so vielen Jahren machen darf, ist ein kleines Wunder. Außerdem würden sich automatisch neue Probleme ergeben: Dann hätten mehr Köche ihre Finger in der Suppe – und ich könnte womöglich nicht bis hin zum Schnitt alle Entscheidungen selbst treffen, so wie ich es im Moment zum Glück darf.
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