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Regisseurin über Kinofilm „Sonne“„Vor der Sonne sind alle gleich“

Ihr Spielfilmdebüt „Sonne“ hat die Regisseurin Kurdwin Ayub im TikTok-Stil gedreht. Die Migrationsgeschichten zeigen auch die Gemütlichkeit von Wien.

Juvenile Stars: Yesmin (Melina Benli), Bella (Law Wallner) und Nati (Maya Wopienka) in „Sonne“ Foto: Neue Visionen
Sophia Zessnik
Interview von Sophia Zessnik

taz: Frau Ayub, in einem Antrag zur Filmförderung schrieben Sie, dass Sie einen Film machen wollten, der Migrationsgeschichten richtig erzählt, „nicht so falsch, wie es sich meist anfühlt“. Was fühlt sich denn meist falsch an?

Kurdwin Ayub: Ich habe viele Geschichten gesehen, die entweder kitschig waren oder in denen die Charaktere etwas sehr Leidendes an sich hatten. Da wird dann immer Mitleid generiert und das wollte ich verhindern. Ich wollte mal was Authentisches erzählen, etwas, wo Zu­schaue­r*in­nen mit demselben Migrationshintergrund oder einem ähnlichen dasitzen und sich denken „Ah, meine Familie ist genau so“.

Neue Visionen
Im Interview: Kurdwin Ayub

1990 im irakischen Dohuk geboren, wuchs Kurdwin Ayub nach der Flucht ihrer Eltern in Wien auf. Dort studierte sie Malerei und experimentellen Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst. Gleichzeitig besuchte sie den Studiengang Performative Kunst an der Wiener Akademie für Bildende Künste. Für ihren ersten Dokumentarfilm „Paradies! Paradies!“ erhielt Ayub 2016 den Preis für die beste Kamera bei der Diagonale. Ihr Spielfilmdebüt „Sonne“ wurde auf der Berlinale 2022 mit dem GWFF-Preis für den besten Erstlingsfilm ausgezeichnet und erhielt den Wiener Filmpreis.

Und hat das Ihrer Meinung nach funktioniert?

Ja, viele sind danach zu mir gekommen und haben gemeint, sie fühlten sich an sich und ihre Familien erinnert. Das freut mich sehr. Damit habe ich quasi mein Ziel erreicht.

In Ihrem ersten Spielfilm „Sonne“ geht es um drei weibliche Jugendliche, die mit einem Video viral gehen, in dem sie mit Hijabs bekleidet zu „Losing My Religion“ von R.E.M. performen. Das Kopftuch steht hier aber nicht als Zeichen der Unterdrückung, oder?

Für mich war es wichtig zu zeigen, dass wenn Yesmin ihr Kopftuch trägt oder eben nicht, es immer ihre Entscheidung ist. Deswegen gibt es auch nie einen Moment, wo ihre Eltern etwas dazu sagen oder mit ihr darüber streiten. Ich fand es wichtig, dass man nie wirklich sieht, ob sie wirklich religiös ist oder nicht. Das ist ihre Sache und nicht die der Zuschauenden. Die anderen zwei Mädels hingegen, die nicht denselben kulturellen Background haben, „nehmen“ sich das Kopftuch einfach, nur wegen dem Fame rund ums Video.

Der Film

„Sonne“. Regie: Kurdwin Ayub. Mit Melina Benli, Law Wallner u.a. Österreich 2022, 88 Min.

Die anderen beiden zeigen sich fortan oft mit Kopftuch und sehen sich mehr und mehr als Teil der kurdischen Community. Spielen Sie damit auf das Thema kulturelle Aneignung an?

Ach ja, das ist grad so ein sehr cooler Begriff. Aber ja, im Grunde ist das kulturelle Aneignung im klassischen Sinne.

Missfällt Ihnen der Begriff?

Ich finde, die Debatte um kulturelle Aneignung ist oft auch schon eine Aneignung, weil sie häufig von Non-PoCs geführt wird. Da diskutieren dann Menschen, die offensichtlich der Mehrheitsgesellschaft angehören, analysieren und setzen irgendwelche Regeln fest, für Minderheiten, deren Lebensrealität sie nicht mal richtig kennen.

Haben Sie einen Vorschlag, wie es besser funktionieren könnte?

Miteinander reden und nicht einander vorschreiben. Ich glaube, es könnte ganz einfach sein, aber inzwischen herrscht auf allen Seiten der Gesellschaft so viel Wut, – der Diskurs scheint irgendwie festgefahren.

In „Sonne“ spielen Ihre Eltern als Schau­spie­le­r*in­nen mit. Ist der Film autobiografisch geprägt?

Ja, die beiden spielen nicht sich selbst, sondern erdachte Charaktere. Sie haben das aber sehr gut gemacht, wie ich finde. Die Rolle, die meine Mutter spielt, also Yesmins Mutter, entspricht gar nicht ihrem Charakter. Im Film ist sie ja sehr streng und urteilend, so ist sie sonst gar nicht. Wir haben zusammen überlegt, wie wir diese Rolle anlegen, und uns an ein paar Tanten und Cousinen orientiert. Yesmins Vater ist viel lustiger, als ich meinen eigenen Vater als Jugendliche erlebt habe. Er ist ja die treibende Kraft dahinter, dass Yesmin, Bella und Nati dann mit ihrer „Losing My Religion“-Performance auf muslimischen Festen auftreten. Nichts davon habe ich selbst erlebt, aber so wie sich Yesmin oft fühlt, irgendwie entfremdet, nicht so recht zugehörig, das kenne ich auch aus meiner Jugendzeit.

Aufgewachsen sind Sie in Simmering, dem elften Wiener Gemeindebezirk. Ihr Wien hat wenig mit dem Postkarten-Sissi-Idyll zu tun, dass sonst oft porträtiert wird. Wie sieht Ihr Wien aus?

Klein und schiach, aber trotzdem gemütlich. Mein Heimatbegriff oder woher ich komme, ist immer mit der Wohnung im Gemeindebau verbunden, wo ich aufgewachsen bin. Da wars irgendwie schmuddelig, aber trotzdem immer heimelig. Vielleicht ist so mein Wien.

Auf die Frage, was Sie machen, wenn Sie nicht arbeiten, antworteten Sie in einem Interview, dass Sie gern „arg versandeln“. Können Sie den bundesdeutschen Le­se­r*in­nen erklären, was damit gemeint ist?

Wenn ich mal nichts zu tun habe, dann komme ich in so einen Modus, wo ich nur Trash-TV schaue, Chips und Cookie Dough esse und Bier trinke. Das ist für mich wie Urlaub.

Was schauen Sie dann am liebsten?

„Selling Sunset“ oder „The Real Housewives of Beverly Hills“ zum Beispiel. Das ist schon arger Trash. Aber auch Serien wie „Never Have I Ever“, die fand ich großartig. Da geht es um eine amerikanische Jugendliche mit indischem Background. Im Gegensatz zu anderen Teenie-Formaten leidet sie nicht die ganze Zeit, sondern ist richtig cool und lustig. So wär ich auch gern in dem Alter gewesen.

Stimmt, das ist eine Serie, bei der der Cast mal wirklich sehr divers ist.

Ja, ich finde es nur nervig, dass bei vielen Produktionen so getan wird, als wäre man super divers. Der Hauptcast besteht dann aber trotzdem nur aus weißen Menschen, und PoCs kommen wieder nur in klischeebehafteten Nebenrollen vor, – als Putzhilfe oder Hausmeister. Ähnlich „cringe“ ist es, wenn man Filme sieht, in denen Social-Media- und TikTok-Videos von Jugendlichen eingebaut sind, und man eindeutig erkennt, dass sie von älteren Menschen gemacht wurden, die sich gar nicht richtig damit auseinander gesetzt haben.

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Trailer „Sonne“

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Ein gutes Stichwort: „Sonne“ besticht durch unterschiedliche Stile. Sie flechten Handyvideos, Instastories und TikToks ein. Das ist eine recht neue Art der Seherfahrung. War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie das so machen werden?

Ich glaube, man kann keinen „Jugendfilm“ mehr erzählen, ohne dass Social Media vorkommt, weil das bestimmt 80 Prozent der Welt von Jugendlichen ausmacht. Die Ästhetik entspricht aber halt auch einfach meinem Geschmack. Seit ich filmisch arbeite, beschäftige ich mich mit Social Media und der damit verbundenen Selbstdarstellung. Wer ist man? Wer will man sein? Das sind die Fragen, die mich da interessieren. Ich finde, Handyvideos haben immer auch etwas Melancholisches. Das sind ja meist Menschen, die nicht wissen, wie man professionell eine Kamera führt, und das finde ich schön. Gerade, weil es auch mal hässlich ausschaut. Ich mag die Überblendungen oder wenn Augen düster leuchten. Das alles ist ästhetisch gesehen sehr wertvoll für mich.

Warum eigentlich „Sonne“?

Die Idee zum Titel kam, weil die Sonne auf der kurdischen Flagge zu sehen ist. Ich finde aber, die Sonne passt auch einfach als Symbol gut. Weil sie einfach da ist und auf uns alle herunter scheint, ganz egal, welche Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen. Vor der Sonne sind wir alle gleich.

Ihr nächstes Projekt wird „Mond“ heißen. Können Sie verraten, um was es gehen wird?

Es ist eine Fortsetzung, aber keine thematische. Es geht um eine österreichische Sportlerin, die in ein arabisches Land zieht, um dort als Personaltrainerin für eine reiche Familie zu arbeiten. Im Grunde geht es um die Beziehung vom Westen zum Nahen Osten und umgekehrt.

Wird es auch ein „Sterne“-Projekt geben?

So ist der Plan, ja.

Da könnte man einen Bezug zu Ulrich Seidl vermuten, dessen Produktionsfirma war an „Sonne“ beteiligt. Auf die Frage, ob Seidls Filmsprache für Sie Inspiration sei, antworteten Sie einmal: Sie sei kein Vorbild für Sie, sondern der einzige Weg. Wie meinten Sie das?

Ich habe nie wirklich gelernt, mit professionellen Schau­spie­le­r*in­nen und vorgefertigten Dialogen zu arbeiten. Das hole ich gerade nach. Aber meinen drei Protagonistinnen in „Sonne“ habe ich beispielsweise am Set verschiedene Aufgaben gegeben, einen vorgeschriebenen Dialog aber gab es nicht. Egal, wie gut ich den geschrieben hätte, – und mittlerweile kann ich das schon ganz gut, würde ich sagen – meine Sprache wäre nie so authentisch wie die der drei Jugendlichen. Das versuchen zu kopieren, hätte ich nicht gewollt.

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