Regisseurin über Film „Echo“: „Ich habe viel gesammelt“

„Echo“ heißt das Spielfilmdebüt von Mareike Wegener. Ein Gespräch übers Spielen mit Konventionen, Darstellbarkeitsgrenzen – und Musik, die wehtut.

Der Sammler Lorenz von Hüning (Felix Römer) liegt auf dem Sofa.

Der Sammler Lorenz von Hüning (Felix Römer) liegt auf dem Sofa Foto: Grandfilm

Von Schuld, Traumata und dem Umgang mit der Vergangenheit erzählt Mareike Wegener in ihrem Spielfilmdebüt „Echo“, das im Frühjahr auf der Berlinale Premiere feierte. Der Fund einer Moorleiche führt eine beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan traumatisierte Kommissarin nach Friedland, wo sich Spuren der Vergangenheit – ein Zwangsarbeiterlager, eine Fliegerbombe – mit deutschen Befindlichkeiten der Gegenwart verbinden. Außerdem wird das in Deutschland so beliebte Genre „Krimi“ ironisch demontiert.

taz: Frau Wegener, in der antiken Mythologie wird Echo von Hera, der Gemahlin des Zeus, die Stimme geraubt. Sie kann nur noch die letzten Worte wiederholen, die zu ihr gesprochen werden. War diese Figur ihr Ausgangspunkt?

Mareike Wegener: Möglicherweise. Im Film sieht man eine Darstellung des Echo-Mythos, das Gemälde „Les Oréades“ von William-Adolphe Bouguereau, das im Pariser Musée d’Orsay hängt. Dieses Bild hat mich im Laufe der Arbeit am Drehbuch begleitet. Das Konzept zum Film habe ich schon vor zehn Jahren geschrieben, es ist mit der Zeit von allen Seiten zugewuchert, durch Ideen, die während eines Philosophiestudiums kamen: Krieg, Zeugenschaft, Mythen der Antike und was sie uns heute noch sagen.

Sie kommen ja ursprünglich vom Dokumentarischen. Wie entstand der Wunsch, sich ins Fiktive zu bewegen?

Ich glaube, dass beim Drehen der Dokumentarfilme eine Sehnsucht entstanden ist, etwas Freieres zu machen, wo ich nicht so sehr an die Realität gebunden bin, wo ich erzählerisch größere Distanzen überwinden kann. Das kann man natürlich auch in einem essayistischen Dokumentarfilm, aber ich hatte den großen Wunsch, das szenisch umzusetzen. Es sollte auch nicht zu kontemplativ oder melancholisch werden. Angesichts des Subtexts von „Echo“ hätte das leicht passieren können. Im Spielfilm hatte ich die Möglichkeit, das mit mehr Action und Witz zu erzählen.

„Echo“. Regie: Mareike Wegener. Mit Valery Tschepla­nowa, Ursula Werner u. a. Deutschland 2022, 98 Min.

Im Presseheft schreiben Sie, dass der Wechsel zwischen Naturalismus und Realismus wichtig war. Viele Ereignisse im Film, ein Anschlag in Afghanistan, die Leiche im Moor, der Bombenfund, basieren ja auf realen Gegebenheiten, die dann in eine fiktive Struktur gesetzt wurden.

Genau, und um die Distanz zwischen diesen Themen überwinden zu können, muss es eine Fiktion sein. Die Felder, die da bearbeitet werden, sind doch sehr unterschiedlich, aber mein Anliegen war, dass sie sich auf der Bedeutungsebene bereichern oder Quermomente herstellen, die neue Denkräume öffnen.

Wie sind diese vielfältigen Assoziationen zustande gekommen?

In gewisser Weise bin ich ähnlich vorgegangen wie die Figur des Sammlers im Film: Ich habe viel gesammelt. Es war ein langer Schreibprozess, sodass ich immer wieder Gelegenheit hatte, das Buch zu bereichern und anzureichern. Man sammelt natürlich auch nicht wahllos, sondern mit einer Haltung, einer Fragestellung. Und meine Fragestellung war: Welche Möglichkeiten gibt es, mit Vergangenheit umzugehen, auf der persönlichen, aber auch der kollektiven Ebene?

Ein Schlüsselsatz des Films scheint mir folgender zu sein: „Wenn das Bild also alles das zeigt, außer das, was passiert ist … müssen wir erkennen, was nicht passiert ist.“

Diese Rückkoppelung hat sicher auch mit meiner dokumentarischen Praxis zu tun: Wie sehr ist das Bild Beweis, wie viel kann ich darüber zeigen, was sagen Bilder wirklich aus? Was kann man aus Bildern lernen, oder eben auch, was nicht?

Da geht es sicher auch um die Nichtdarstellbarkeit bestimmter historischer Ereignisse, was gerade in Bezug auf den Holocaust ein Thema ist. In Ihrem Film werden bestimmte Dinge ja auch nicht gezeigt, die Moorleiche etwa, was sicher eine bewusste Setzung ist.

Das spielt da rein, aber auch der Versuch, die Krimikonven­tio­nen zu unterlaufen.

Wie wichtig war dieses Spiel mit dem liebsten Genre der Deutschen, dem Krimi?

Sehr wichtig, was auf eine weitere Wurzel des Films verweist, meine Herkunft. Das Dorf, das Moor, das sind Elemente meiner Herkunft, und da gehört auch dieses sonntägliche „Tatort“-Sehen dazu. Das dann zu unterlaufen macht Spaß. Ich mochte es, die Dinge anzureißen, dann aber doch in eine andere Richtung zu gehen, um mich auszuprobieren, aber auch um durch das erzählerische Hakenschlagen die Zuschauer mehr zu involvieren.

Die Regisseurin wurde 1983 in Borken geboren. Sie studierte Audiovisuelle Medien an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Dokumentarfilm an der New School in New York und Philosophie an der European Graduate School, Schweiz.

2012 kam ihr Dokumentarfilm „Mark Lombardi – Kunst und Konspiration“ ins Kino. Im selben Jahr gründete sie mit Hannes Lang und Carmen Losmann das Produk­tionskollektiv „Petrolio“, das unter anderem Losmans Dokumentarfilm „Oeconomia“ (2020) produzierte.

Ein Element, das sich durch den Film zieht, ist der rosafarbene Rauch, den die traumatisierte Polizistin immer wieder sieht. Das hat mich stark an David Lynch erinnert, so eine Art „Twin Peaks“ im deutschen Moor.

Das gefällt mir! Und ja, „Twin Peaks“ ist ein großes Vorbild, die Darstellung von Provinz, das Personal und der Rauch: Als ich die Figur entwickelt habe, sollte das eigentlich ein Phantomschmerz sein, aber dann dachte ich, ich mache ja Film, da braucht es das nicht. Jetzt spielt sie das Trauma, aber hat Verstärkung durch die Spezialeffekte.

Markant und ungewöhnlich ist auch die Musik.

Ich wollte von Anfang an mit viel Musik arbeiten, schon bei meinen Dokumentarfilmen war Musik ein wichtiges Element. Mein Komponist Thom Kubli und ich haben schon vor dem Dreh Ideen ausgetauscht, wir haben an Scott Walker gedacht, auch an Mica Levi, Musik, die beim Zuhören wehtut. Die Musik wurde dann von der WDR Big Band eingespielt, das war eine tolle Erfahrung. Manchmal habe ich das Gefühl, die Musik im Film funktioniert sehr gegenläufig, dann wieder fügt sie sich gut zu den Bildern.

Ihre Kamerafrau Sabine Panossian hat eindringliche Bilder gefunden.

Ich kannte Sabine vorher nicht, ich habe sie für den Film gesucht, habe Stills aus ihrem Film „Off Season“ gesehen, für den sie den Michael-Ballhaus-Preis erhalten hat, so kam die Zusammenarbeit zustande. Wir hatten wenige Drehtage, wir mussten etwas finden, das in der Limitierung funktioniert. Das Anliegen war auch, anzudeuten, dass etwas Künstliches gezeigt wird, das Theatralische sollte betont werden.

Es wurde in 4:3 gedreht. Wie kam es dazu?

Das war mir wichtig, damit die Zu­schaue­r:in­nen nicht auf falsche Ideen kommen, wenn man mit einer Art Krimiplot beginnt, einem Versprechen, dass dann nicht eingelöst wird. Mit 4:3 macht man ein anderes Versprechen, das sieht ein bisschen komisch aus, und so bleibt es auch.

In den letzten Jahren scheint mir wieder verstärkt in 4:3 gedreht zu werden, ein Format, das man immer noch schnell mit TV assoziiert, was ja eigentlich absurd ist, da heute auch TV breit gefilmt ist.

Genau. Und jeder TV-Krimi schneidet auch noch oben ab, damit er cineastischer, größer wirkt. Für mich ist das mittlerweile etwas Aufgeblasenes geworden, Cinemascope zu verwenden, wenn man eigentlich fürs Fernsehen dreht. Zusätzlich handelt mein Film ja auch davon, dass man nur Ausschnitte sehen kann und nicht das große Ganze. Und ich finde, Cinemascope suggeriert immer, dass man das ganze Bild gezeigt bekommt, das man alles sehen kann. Und mein Film ist das Gegenteil, er zeigt immer nur eine Ecke und dann die nächste, es ist ein Mosaik und kein großes Diagramm.

Dementsprechend bleiben am Ende viele Fragen offen.

Ja, wir bieten keine klare, einfache Lösung an.

Was ja auch zum großen Thema des Films passt, dass es in der Geschichte keine Schlusspunkte gibt, sondern die Geschichte immer weitergeht. Wie spielt da die Figur der Echo rein, die ja immer nur das wiederholen kann, was sie gesagt bekommt? Kann man das auf uns Deutsche und unseren Umgang mit der Vergangenheit beziehen?

Ich denke, es ist auf jeden Fall ein Bild, mit dem wir, die wir in diesem Land groß geworden sind, etwas anfangen können, ob wir es gut finden oder nicht. Beziehungsweise auch, je aufgeklärter wir über die Geschichte sind und denken, dass die Geschichte sich nicht wiederholen kann, passiert es doch immer wieder, das ist eher der Punkt. Dass man denkt, wir sind jetzt schon einen Schritt weiter, wie man das Grausame, das in uns steckt, in Schach halten kann, aber dann bricht es doch immer wieder aus. Diese Art der ­Wiederholung hat mich interessiert.

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