Regisseur über türkische Filmproduktion: „90 Prozent ist Dreck“

Cem Kaya, Regisseur von „Remix, Remake, Rip-Off“, über Kopierkultur im türkischen Kino, Zensur und die Qualität des Fernsehens.

Szenen aus dem Yeşilçam-Kino

Superman und Batman werden kombiniert zum Super-Superhelden Foto: UFA FICTION

taz: Herr Kaya, Ihr Film läuft in der Sektion Länderfokus Türkei. Dort auf dem Programm stehen kurdische Milizen in Syrien oder Massengräber auf Zypern. Bei Ihnen geht es stattdessen um die Regisseure trashiger Remakes von „Star Wars“ und „Rambo“.

Cem Kaya: Mein Film ist halt lustig, tragikomisch. Da geht es auf der einen Seite um die Yeşilçam-Filmindustrie, die in den Fünfzigern in Istanbul aufkommt und unter Hardcore-Bedingungen Geld macht. Zu ihren Hochzeiten haut die in den Siebzigern 300 Filme pro Jahr raus. Und auf der anderen Seite geht es um die Regisseure, die sich in diesem System zurechtfinden mussten. Natürlich ging es bei denen auch ums Geld, aber ein paar davon waren echte Visionäre, fast schon subversiv. Çetin İnanç zum Beispiel mit dem türkischen Rambo – also einem der türkischen Rambos. Der mit der Biker-Gang, die Karate kann und den Zombies. Das ist eine Vision von Çetin İnanç und die macht ihm keiner nach. Genauso mit seinem türkischen „Star Wars“.

Für das er unter anderem Filmmaterial aus dem echten „Star Wars“ geklaut hat.

Und aus etwa 15 anderen Filmen. Aber was soll er auch machen? Çetin İnanç wusste damals, dass er technisch nicht mit Hollywood mithalten kann. Außerdem gab es noch kein internationales Urheberrecht in der Türkei. Das war alles legal. Also nimmt er die Szenen, baut das Material ein und setzt ansonsten auf Herz. Er bläst das alles ein bisschen auf. Deshalb haut sein Hauptdarsteller Cüneyt Arkın auch hundertmal zu, wo Luke Skywalker nur einmal zuschlägt – weil es die Emotionen groß macht.

Etwas albern wirkt das allerdings schon, oder?

Es wird automatisch zu einer Parodie. Nicht, weil das türkische „Star Wars“ albern ist, sondern weil „Star Wars“ immer schon ein bisschen albern war. Und vor allem selbst schon geklaut: aus Western, Weltkriegsfilmen mit John Wayne, die Handlung von Akira Kurosawa. Wenn das aus der Türkei kommt, wirkt das nur alles plötzlich exotisch.

Der Regisseur, Kameramann und Produzent, 1976 in Schweinfurt geboren, ist mit den Filmen der Yeşilçam-Studios aus den türkischen Videotheken in Deutschland aufgewachsen.

Der Niedergang dieser Filmindustrie kam dann mit der Zensur und einem Militärputsch.

Eine Zensurbehörde gab es in der Türkei schon seit den 30ern. Die wurde erst in den 2000ern abgeschafft und war über die Jahre mal lockerer, mal härter. Schlimm wird es 1971. Damals spricht das Militär ein Ultimatum aus: „Tretet ab oder wir putschen!“ In dieser Zeit der Unruhe – da kommen die Studentenproteste, sehr viel rechte Gewalt, Pogrome – haben die Yeşilçam-Studios erst ihre Hochphase, verlieren dann aber das Vertrauen in die Industrie. Die warten ab. Das sieht man an den zurückgehenden Filmzahlen. Nach dem Putsch 1980 startet die Marktliberalisierung. Plötzlich laufen überall in der Türkei die amerikanischen Originalfilme. Da stecken die Studios schon mitten in der Krise. Im Jahr 1990 sind sie schließlich aufs Fernsehen umgestiegen.

Läuft das besser?

Neunzig Prozent ist Dreck, aber selbst in Venezuela werden die Geburtstage türkischer Soapstars gefeiert. Das ist schon eine große Sache.

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Und wie steht es heute um die Zensur? Der letzte Putschversuch ist nur knapp vier Monate her.

Es gibt zwar keine Zensurbehörde mehr, aber jeder Bürgermeister, jeder Kultursenator, jeder sonst wer kann versuchen, deine Arbeit zu verbieten. Das merkt man auf Festivals, das merkt an den Fördergeldern, und man sieht es an den Kinos. Ein Großteil davon gehört der Mars Entertainment Group und die will sich nicht mit der Regierung anlegen. Darum kommen zu kritische Filme erst gar nicht ins Programm.

Ihr Film endet mit Aufnahmen des Programmkinos Emek in Istanbul. Das stand bis 2013 in derselben Gegend, in der auch die Yeşilçam Studios ihren Anfang hatten.

Und dann wurde es zerstört. Stattdessen wurde da ein Einkaufszentrum hingesetzt – mit einer Kopie des Emek-Kinos als eingebautem Saal. Da ist es dann auch wieder, das Thema Kopie. Der Widerstand dagegen ging direkt in die Proteste auf dem Taksimplatz über. Auf dem DOK gibt es auch einen Film dazu.

„Audience Emancipated“, in dem auch Material aus Ihrem Film verwendet wurde.

Richtig. Die haben uns damals angesprochen. Das ist halt Solidarität unter Dokumentarfilmern: Du nimmst von mir, ich nehme von dir. Ein bisschen so wie bei Yeşilçam.

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