Regisseur über den Columbusbahnhof: „Ein Ort innerer Befindlichkeiten“
Das Theaterkollektiv „Das Letzte Kleinod“ erinnert an die Geschichte des Bremerhavener Columbusbahnhofs. Der soll abgerissen werden.
taz: Herr Siemssen, was verliert Bremerhaven, wenn der Columbusbahnhof dem Erdboden gleichgemacht wird?
Jens-Erwin Siemssen: Es geht eine Menge lokaler Geschichte verloren, das ist auch durch einen Neubau nicht zu ersetzen. Damit man den altehrwürdigen Fahrgastterminal nicht unreflektiert runterreißt, begeben wir uns im Auftrag der Hafengesellschaft Bremenports noch mal bewusst in diese Räume und befragen Zeitzeugen, die mit dem Ding zu tun gehabt hatten. Ihre Erinnerungen sollen das bereits leer stehende Gebäude noch einmal beleben, ohne dass wir ins Dokumentartheater-Reenactment gehen. Wir erlauben uns Verfremdungen der Geschichten und arbeiten dabei mit Objekten und Materialien, die wir beim Durchforsten all der Nebenräume und Keller gefunden haben.
Wer kommt zu Wort?
Beispielsweise die Witwe des Architekten hat uns viel erzählt. Auch viele Bremerhavener:innen plauderten aus dem Nähkästchen über die inneren Befindlichkeiten dieser Stadt vor 50 Jahren, als der Columbusbahnhof eröffnet wurde. Ein älterer Taxifahrer ist dabei, sowie ein Ausrichter der festlichen Bälle, eine Serviererin aus dem Restaurant und eine Mitarbeiterin des Blumenladens in der großen Empfangshalle. Ein Kaleidoskop von Stimmen.
Das servieren Sie Kleinod-typisch in einer begehbaren Inszenierung?
57, ist Regisseur und leitet seit 1991 das Theaterprojekt „Das letzte Kleinod“, das im eigenen Theaterzug Dokumentartheaterstücke spielt.
Die Besucher:innen gehen auf eine Wanderung durch die Zeit und die teilweise unglaublich schön gestalteten Räume. Man kann den Columbusbahnhof noch mal anders entdecken, als ihn die meisten kannten. Etwa den Arbeitertunnel, den kaum einer kennt, durch den mussten die Leute gehen, verborgen vor den Fahrgästen, die sie anschließend bedienten. Dieser Blick hinter die einstigen Kulissen ist das Konzept des ersten Teils unserer Bespielung.
Teil 2 zeigt dann, dass der Columbusbahnhof als Umschlagplatz für Reisende vom Zug auf das Schiff gebaut wurde?
Ja, im nächsten Jahr verfolgen wir die Geschichten von Auswanderern bis nach Osteuropa, von wo sie in den Nordseehafen und dann nach Übersee fuhren. Kurz vorm Abriss zeigen wird dann noch ein Stück übers Leben an Bord der „United States“, die 167 Mal von Bremerhaven nach New York pendelte. Ich habe in den USA viele Interviews mit Menschen geführt, die auf dem Schiff gearbeitet haben oder gefahren sind. Das daraus entwickelte Stück werden wir auch in New York und Philadelphia zeigen.
Haben sie einen persönlichen Bezug zum Ort?
Jeder Bremerhavener hat das. Als Zehnjähriger stand ich staunend auf der Besuchergalerie und war dabei, wie die „Europa“ hier angelegt hat mit viel Tamtam, Luftschlangen und Getröte und einer Band, die spielte „Muss i denn zum Städtele hinaus“. Auch habe ich im Columbusbahnhof meinen Abtanzball gefeiert. Das war mal ein richtiger Party-Ort.
Abgerissen wird, weil das Gebäude nicht mehr den Anforderungen des modernen Kreuzfahrttourismus genügt. Ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Branche Teil Ihrer Inszenierung?
Das ist nicht unser Thema. Ich glaube auch gar nicht, dass wir platt politisch argumentieren müssten. Unser Stück über die „United States“ kann auch als Plädoyer für die Beförderung von Fahrgästen mit dem Schiff verstanden werden. Aber Kreuzfahrt heißt: fahren um des Fahrens willen. Viel schöner wäre es doch mit einem Ziel.
Mi., 20. 10., 19.20 Uhr und 19.40 Uhr; weitere Termine bis Mitte November. Infos und Tickets: www.das-letzte-kleinod.de
Der Columbusbahnhof war nicht nur Sehnsuchtsort, er war auch Symbol für Bremens Großmannspolitik. Wahnwitzig dimensioniert, obwohl kaum noch Auswanderer kamen und die Transatlantik-Linien vor dem Aus standen …
… ja, der Columbusbahnhof kam viel zu spät. Bis Ende der 1950er-Jahre war Bremerhaven der Dreh- und Angelpunkt des internationalen Reisens. Das endete, als der Flug- den Schiffsverkehr ablöste. Schade eigentlich.
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