Regisseur über Atomfilm "Unter Kontrolle": "Die Welt der AKWs ist männlich"
Der Film "Unter Kontrolle" registriert nüchtern, wie Atomenergie funktioniert und welche Risiken sie birgt. Ein Gespräch mit dem Regisseur Volker Sattel.
taz: Herr Sattel, fühlten Sie sich überrumpelt von den Ereignissen in Fukushima?
Volker Sattel: Absolut. Es war ein Schock. Es hatte etwas Surreales. Die Bilder der explodierenden Reaktorengebäude erinnerten mich an den 11. September.
Hatten Sie das Gefühl, mit Ihrem Film eine Selffulfilling Prophecy gedreht zu haben?
Ich musste an das Ende meines Filmes denken. Der Zuschauer bleibt allein mit der Technik zurück. Alarme ertönen in menschenleeren Kontrollräumen. Wir konnten 35-mm-Filmmaterial radioaktiv bestrahlen, so dass am Ende ein Flackern auftritt - wie eine Warnung, dass wir es hier mit etwas Irreversiblem zu tun haben.
Wenn Sie erst jetzt mit der Arbeit an "Unter Kontrolle" beginnen würden - würde der Film anders werden?
Unter dem unmittelbaren Eindruck von Fukushima wäre ein Film über den Alltag in den deutschen Atomanlagen kaum möglich gewesen. Ich vermute, wir würden heute gar keine Drehgenehmigungen mehr bekommen.
Hatten Sie damals Schwierigkeiten, Drehgenehmigungen zu bekommen?
Auch uns sind sie damals mit großem Misstrauen begegnet. Zu Beginn war es sehr mühsam. Man muss ja zuerst über die Konzernebene der Energieversorger gehen, dann muss man die Direktoren der Atomkraftwerke überzeugen, und schließlich hat man beim Dreh selbst viele Auflagen und Begrenzungen, man wird von Strahlenschützern, von einem technischen Sicherheitschef und einem Pressechef begleitet. Einige dachten, wir wären nur darauf aus, irgendetwas zu finden, was man ihnen vorwerfen kann.
Aber das war ja gar nicht Ihr Interesse. Sie wollten die Innensicht, die Selbstdarstellung.
Ja, wir hatten nie diese journalistische Herangehensweise, weitere Schwachstellen zu suchen. Mit zunehmender Dauer der Recherchereisen und des Drehs konnten wir das Vertrauen des Personals der Atomanlagen mit dem Anliegen des Films gewinnen. Ich wollte ein Panorama einer Technologie erfassen, ein Zeitdokument erstellen. Es war wie Archäologie, wie Feldforschung.
VOLKER SATTEL, geboren 1970, hat an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und ist Regisseur und Kameramann. Sein Film "Unter Kontrolle", eine Besichtigung verschiedener Orte des Nuklearbetriebs in Deutschland und Österreich, feierte im Februar im Forum der Berlinale Premiere und kommt am 26. Mai ins Kino.
Am Mittwochabend diskutiert er nach der Filmvorführung um 19 Uhr im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit seinem Koautor Stefan Stefanescu, mit Adrienne Goehler, dem Filmkritiker Bert Rebhandl und Armin Grunwald vom Karlsruher Institut für Technologie.
Sie lassen Ihre Kamera über Brennstäbe gleiten, über schöne Schaltzentralen, die wie Kathedralen wirken. Fürchten Sie nicht die Reaktionen der Atomkraftgegner, die sich jetzt Ihren Film ansehen werden?
In gewisser Weise ist der Film von Fukushima eingeholt worden. Ich hatte ihn als leisen, vorweggenommenen Abschied konzipiert. Alles, was mir bei meinen Recherchen und Dreharbeiten begegnete, vermittelte mir: Da kann es so viele Renaissancen der Kernkraft in anderen Ländern geben, wie es will, diese Technologie wird das 21. Jahrhundert nicht überdauern. Der Film spielt mit dem Blick in eine vergangene Zukunft: In einigen Filmaufnahmen hatte ich am Schneidetisch den Eindruck, Archivmaterial gedreht zu haben. Manche Menschen sahen aus wie in den siebziger Jahren.
Hoffen Sie auf Verständnis für diese Interviewpartner?
Man muss diesen Menschen Respekt zollen. Sie glaubten dem Versprechen der vernünftigen Energie. Das hat für mich auch eine tragische Komponente. Viele, die von Anfang an dabei waren, scheinen heute verbittert, weil sie dachten, sie treten in den Dienst der Gesellschaft ein.
Andererseits wirken sie auch manchmal lächerlich.
Wir hatten es viel mit Leuten zu tun, die es nicht gewöhnt sind, vor der Kamera zu stehen. Man kann sich ein Bild machen, wer sind diese Ingenieure, Physiker und Monteure? Ich wollte wissen: Wie sind sie verwachsen mit ihrem System? Ich fand es interessant, dass sie oft Dialekt sprechen, denn die AKWs stehen nun mal in der Provinz. Außerdem: Bei den AKWs in Süddeutschland gibt es generell keine Umkleideräume für Frauen. Die Welt der Atomkraftwerke ist eine Welt der boys and toys. Manche Figuren erscheinen fast ein wenig spitzbübisch und jungenhaft, wenn sie von ihrer tollen Technik erzählen.
Sind diese Leute durch Fukushima verunsichert?
Sie werden eher versuchen, ihre Technik besser zu machen. Ich habe schon von Leuten in AKWs gehört, die enttäuscht sind, wie fahrlässig die Japaner bei der Konstruktion ihrer Atomkraftwerke waren. Nicht die Technik wird infrage gestellt, sondern es ist von menschlichem Versagen die Rede. Aber die deutschen Kernkraftwerke sind auch nicht auf zwei Katastrophen auf einmal vorbereitet. Es fällt diesen Leuten schwer zuzugeben, dass etwas passiert ist, was außerhalb der Vorstellungskraft liegt.
Was halten Sie von den Reaktionen Merkels, vom Moratorium über die Ethikkommission bis hin zu den Stresstests?
Das sind Beruhigungsmaßnahmen für die Öffentlichkeit. Viele glaubten, das Restrisiko ist nur eine statistische Größe. An dem Chaos in Fukushima wird das Problem deutlich, dass man einen GAU nicht real simulieren kann. Man bekommt es mit Schwierigkeiten zu tun, die man nicht im Labor erproben kann. Wir haben für "Unter Kontrolle" im Simulatorzentrum in Essen gedreht, wo jede dieser riesigen Leitwarten von jedem Atomkraftwerk in Deutschland nachgebaut ist. An diese Leute musste ich auch denken, als es die ersten Havarien in Fukushima gab. Wir haben deren Störfallübungen verfolgt. Sie saßen alle ganz ruhig da, analysierten einen simulierten Störfall und am Ende hieß es: "Alle Ventile sind dicht. Nichts kann nach außen gelangen."
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