Regisseur Bernardo Bertolucci gestorben: Sex, Drogen und cineastische Opulenz
Der italienische Regisseur Bernardo Bertolucci zeigte in seinen Filmen Protagonisten beim Erwachsenwerden. Nun ist er in Rom gestorben.
Drogen spielten für sie eine Rolle, allen voran Heroin. Bertolucci war damit in guter Gesellschaft, was das italienische Kino der 70er und 80er Jahre betraf, in dem Jugendliche an den Außenrändern Roms und Mailands stets ein Spritzbesteck dabeigehabt haben müssen. Filme wie „Eroina“ (1980) von Massimo Pirri steigen in den Sinn, ein weitestgehend unbekanntes Werk mit einem Helmut Berger als bereits sinkendem Stern in der Hauptrolle, der sich in einem „Höllentrip ins Jenseits“ (so der deutsche Titel) und zum Soundtrack der Band The Pretenders nach und nach selbst vergaß.
Nur ein Jahr vorher war Bernardo Bertoluccis „La Luna“ (1979) erschienen. Er ging es anders an als Pirri, indem er seine Figuren nicht direkt im Elend platzierte, sondern einen das Hinübergleiten in die Welt des Rausches auf anmutige Weise miterleben ließ. Das passierte an der Seite von Joe Silveri (Matthew Barry), einem pubertierenden US-Amerikaner, den seine Mutter Caterina (Jill Clayburgh) kurzerhand mit nach Italien nahm, wo sie Verdi-Opern singen soll. Selbstverständlich hat sie kaum Zeit für Joe, sodass der sich auf eigene Wege begeben muss und Bekanntschaft mit dem Narkotikum macht. Das alles geschieht maximal stilvoll und gleichsam empathisch.
Bertolucci erzählte diese Geschichte um einen Abgleitenden mit cineastischer Opulenz und dem Versuch von freudscher Tiefe. Denn: „La Luna“ wartete sogar mit einem Inzest-Plot auf. Ein Thema, an dem sich der Italiener wiederholt versuchte, nicht zuletzt auch im überaus erfolgreichen „The Dreamers“ von 2003 mit Eva Green, Michael Pitt und Louis Garrel. In ihm verschmolzen Politisches (der Film spielt zur Zeit der Pariser Unruhen 1963), Cinephilie und kleine erotische Perversitäten.
Interessanterweise kamen in Bertoluccis weitestgehend unbeachtet gebliebenem letzten Film, „Ich und Du“ („Io e te“) viele dieser Motive zusammen: die Realitätsflucht (ein 14-Jähriger verkriecht sich in einem Kellerloch), der Inzest (zärtliche wie verstörende Gefühle zur Stiefschwester) und Heroin (die Stiefschwester konsumiert es). Die Atmosphäre ist karg, aber fantastisch, entrückt und dennoch nah dran an einem Prozess, der nicht leicht zu greifen ist, aber für den sich Bertolucci ausdrücklich auszusprechen schien. Es ist das Kokonhafte, nach außen hin Abgeschlossene, wo es zu wesentlichen Begegnungen mit der Wirklichkeit kam. Bertolucci konnte das: im Introvertierten die Extraversion erkunden. Mit großer, aber vor allem aufrichtiger Geste.
Carolin Weidner
Großer Geschichtenerzähler
„Mit dem verwirrten Lächeln dessen, der die Schüchternheit / und die Bitterkeit mit Heiterkeit erträgt // kommst Du zu den erwachsenen Freunden, voller Stolz / bescheiden, brennend stumm, sitzt du / aufmerksam unseren Ironien, unseren Leidenschaften lauschend. / Uns zu imitieren und uns fern zu sein, bereitest Du Dich vor / Dich beinahe Deines festlichen Herzens schämend … / Sie gefällt Dir, diese Welt!“ Diese Zeilen stammen aus dem Gedicht mit dem Titel „An einen Jungen“, das Pier Paolo Pasolini dem jungen Literaten Bernardo Bertolucci 1958 widmet.
Ein Jahr später zog die Familie Pasolini in dasselbe Haus wie die Bertoluccis, zwei Stockwerke tiefer. Bernardo Bertolucci erinnerte sich später: „Ich begann wieder Gedichte zu schreiben, um an der Tür von Pier Paolo klopfen zu können und sie ihm zum Lesen zu geben. […] Im Frühjahr 1961 traf ich Pasolini an der Haustür und er erklärte, dass er einen Film drehen würde. Du hast immer gesagt, dass Du das Kino so magst, sei doch mein Regieassistent.“ Bertolucci wurde nicht nur Regieassistent bei Pasolinis spätneorealistischem „Accatone“, sondern bekam bald seinen ersten eigenen Film: „La commare secca“.
Im folgenden Film, „Prima della rivoluzione“, findet Bertolucci erstmals zu sich selbst. Er adaptiert Stendhals „Die Kartause von Parma“ und verlegt die Handlung in die Gegenwart. Der junge Fabrizio wird inmitten der Spannung zwischen bürgerlichem Elternhaus und kommunistischer Partei erwachsen. Vom Eingangsmonolog Fabrizios an sind die Vorbilder Michelangelo Antonioni und Jean-Luc Godard klar erkennbar – dennoch gelingt es Bertolucci, zu einer eigenen Bildsprache zu finden.
Die barocke Bild- und Tonsprache, die er in „Prima della rivoluzione“ („Vor der Revolution“, 1964) für sich entdeckt, sollte ihn weiter begleiten. Von der barocken Formstrenge von „Prima della rivoluzione“ verlagerte Bertolucci später mit „Il conformista“ („Der große Irrtum“, 1970) den Barockbezug auf eine schwülstige Opulenz.
Fast zeitgleich mit dem Eintritt in die kommunistische Partei brach Bertolucci mit dem sektiererischen, politischen Kino Italiens jener Jahre und entschied sich für die Filmkunst. Aus ihm wird ein ausschweifender Geschichtenerzähler, der die Möglichkeiten europäischer Koproduktionen sichtlich auskostete. Nach „Ultimo tango a Parigi“ („Der letzte Tango in Paris“, 1972) kennt die ganze Welt Bertolucci.
Die Inszenierung der gewalttätigen Beziehung zwischen einem Amerikaner mittleren Alters (Marlon Brando) und der jungen Jeanne (Maria Schneider) mit expliziten Sexszenen – und einer Erniedrigung der Schauspielerin am Set – ging in Frankreich durch die Zensur, wurde aber in Italien zunächst nicht freigegeben. Vier Jahre darauf folgt mit „Novecento“ („1900“) der nächste internationale Erfolg – darin erzählt er die Anfänge des 20. Jahrhunderts in Italien anhand der Geschichte zweier Freunde. Anfang der 1980er Jahre verlässt Bertolucci Italien, die Lebensgeschichte des letzten chinesischen Kaisers aber wird ein weiterer Welterfolg („The Last Emperor“, „Der letzte Kaiser“, 1987).
Fabian Tietke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen