Regionalwahl in Frankreich: Schluss mit Fraternité
Schon in der ersten Runde dürfte der Front National seine neue Stärke demonstrieren. Den Sozialisten nutzt der Popularitätsschub von Hollande wenig.
Die Wahlkampagnen wurden lediglich anstandshalber ein paar Tage ausgesetzt. Alles andere wäre angesichts der Forderung nach einer „Union sacrée“ politisch unmöglich und moralisch deplatziert gewesen.
Jetzt wird wieder gestritten. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das war für die Reden bei den Gedenkfeiern für die Terroropfer. Als eigentlicher Gewinner steht bereits eine Partei fest, die alles andere verkörpert als die Grundwerte der Republik und die Tradition der Französischen Revolution. Der rechtsextreme Front National (FN) könnte laut Umfragen die regierende Linke und die bürgerliche Rechte in der Hälfte der Regionen überflügeln.
Dass Präsident François Hollande für seine tadellos gespielte Rolle als rührender Landesvater, oberster Kriegsherr und Terroristenjäger in den Popularitätsumfragen mehr als 20 Punkte zugewonnen hat und plötzlich wieder überwiegend positiv bewertet wird, dürfte an dem Wahltrend nichts ändern. Die Sozialisten regierten mit ihren linken Verbündeten bisher in 21 von 22 Regionen. Sie dürften schon froh sein, wenn sie in zwei bis drei weiteren eine relative Mehrheit erringen können.
Die Regionen wurden kürzlich mit umstrittenen Fusionen neu organisiert, ihre Zahl wurde auf 13 verringert. Sie entsprechen damit in etwa den deutschen Bundesländern, haben aber viel weniger politische und fiskalische Kompetenzen, da die Macht beim Zentralstaat liegt. Offen ist nur, wie viele von den 13 nach dem 13. Dezember vom FN regiert werden.
Dessen Gegner sind zerstritten: Die Linksparteien treten gespalten und getrennt an, und die bürgerliche Opposition sagt im Voraus, eine Allianz oder Absprachen gegen den FN kämen nicht infrage. Noch nie stand der FN in den Prognosen auf einem so bedenklich hohen Niveau: Im Norden und an der Côte d’Azur sollen seine Listen im ersten Wahlgang auf 42 Prozent kommen. Am Ende könnte in zwei, drei oder vier Regionen selbst die Addition der Stimmen für die linken und konservativen Listen des ersten Durchgangs nicht mehr reichen, um den FN noch zu stoppen.
Selbst ohne den zusätzlichen Rückenwind durch das Terrorklima lief für die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen alles wie geschmiert. Denn die regierende Linke hat sich auch in den Augen vieler ihrer eigenen Wähler diskreditiert, weil sie in ihrem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit versagt hat und jetzt in ihrer Verzweiflung auf Reformen setzt, die weniger an die eigenen Wahlversprechen von 2012 erinnern als an die Forderungen der rechten Opposition.
Diese ist freilich für eine wachsende Zahl von Wählern auch nicht glaubwürdiger als die Sozialisten. Der Vorsitzende der konservativen Partei „Les Républicains“, Expräsident Nicolas Sarkozy, sagt, er kämpfe prioritär gegen die Sozialisten und er könne es verstehen, dass viele Wähler (mit ihrem FN-Votum) „alles kaputtschlagen wollen“. Und wenn am Ende der FN von dem begreiflichen Volkszorn profitiere, dann sei das halt so. Die Flüchtlingsfrage und die damit verbundenen xenophoben Ressentiments treiben Le Pen überdies weitere Wähler zu.
Im Norden, wo die siegesgewisse Marine Le Pen eine ihrer Bastionen hat, wollen sich die wichtigsten Tageszeitungen nicht mit der Aussicht abfinden, dass eine der größten Regionen unter die Fuchtel des FN geraten könnte. La Voix du Nord, Nord Eclair und Le Courrier Picard haben in den Tagen vor dem ersten Wahlgang so klar wie noch nie gesagt, warum es ihrer Ansicht nach unverantwortlich wäre, der Partei von Marine Le Pen für die nächsten sechs Jahre die Geschicke der Region zu übertragen. Für ihre allerdings späte Mobilisierung haben die Zeitungen einen guten Grund: Der FN will nicht nur alle Gelder für Multikultivereine oder Organisationen der Flüchtlingshilfe stoppen, sondern auch die (geringen) regionalen Subventionen für die Presse.
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