Regierungssturz in Sri Lanka: Der Palast bleibt vorerst besetzt
Die Lage ist für die Bevölkerung nicht mehr erträglich. Viele befürchten, dass der Präsident trotz allem seine Macht erhalten will.
Während auf den TV-Bildschirmen in den Wohnräumen des Palasts die Nachrichten über die Besetzung laufen, bereiten die Demonstrant:innen im Freien eine „Küche für alle“ vor, andere testen die Fitnessgeräte. Selten war die Stimmung auf diesem Anwesen in den vergangenen Wochen wohl so ausgelassen – als wäre die tiefe Krise, in der sich der Inselstaat Sri Lanka befindet, vergessen. Ein Regierungssprecher kündigte noch am Wochenende inmitten dieser Unruhen an, Rajapaksa wolle am kommenden Mittwoch zurücktreten, um „einen friedlichen Machtwechsel zu gewährleisten“.
Den Unmut über die Regierung unter der Führung der Familie Rajapaksa hatten weite Teile der Bevölkerung seit Wochen öffentlich geäußert und ein Protestcamp in der Hauptstadt errichtet, das Menschen über Religionen hinweg vereinte. Die Rücktrittsforderung an Gotabaya Rajapaksa – „Hau ab, Gota!“ – war immer wieder zu hören. Eine zunächst angesetzte Ausgangssperre konnte die Demonstrant:innen am Samstag nicht zurückhalten. Sie haben angekündigt, den Präsidentenpalast erst zu verlassen, wenn Rajapaksa wirklich geht.
In der Bevölkerung wuchs in letzter Zeit der Unmut über „korrupte und manipulative“ Führer immer weiter. Sri Lanka hat außerdem über 50 Milliarden US-Dollar (49 Milliarden Euro) Schulden angesammelt.
Kein Treibstoff, keine Medikamente
Der breit gefächerte Bürgerprotest erreichte im Mai 2022 bereits einen Höhepunkt, woraufhin Premierminister Mahinda Rajapaksa (SLPP) sein Amt aufgab. Nachfolger und neu ernannter vormaliger Premierminister, Ranil Wickremesinghe, zeigte sich da zuversichtlich, dass er die Wirtschaft wieder in Schwung bringen könnte. Nun hat er in Aussicht gestellt, zurückzutreten, um den Weg für eine parteiübergreifende Regierung freizumachen. Am Wochenende wurde im Zuge von Randalen sein privater Wohnsitz in Brand gesteckt. Es wird ermittelt, um die Täter:innen zu finden.
Polizeibeamte wirkten in Schilderungen teils unschlüssig, auf wessen Seite sie stehen sollen: der Demonstrant:innen oder des alten Regimes. Dennoch setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Bei den jüngsten Protesten am Wochenende wurden auch Journalist:innen von Sicherheitskräften angegriffen und über 90 Personen, darunter Polizeibeamt:innen, sollen verletzt worden sein. Andere beklagten das brutale Vorgehen von Sicherheitskräften gegen unbewaffnete Zivilisten, darunter der maledivische Anwalt Shumba Gong.
Die Familie Rajapaksa hatte sich bei Wahlen 2019 mit ihrer singhalesischen Volksfront SLPP durchgesetzt. Seitdem hatte sich eine Devisenkrise verschärft, aus dem Ausland kam wieder weniger Geld auf die Insel. Die Coronapandemie verschärfte dies: Nun fehlten zunehmend auch Devisen, die Staatsbürger, die im Ausland arbeiteten, nach Hause schickten. Mit einem Einfuhrverbot von Kunstdünger im April vergangenen Jahres, um Devisen einzusparen, geriet nun auch die Landwirtschaft ins Wanken, die nicht darauf vorbereitet war.
Doch dabei blieb es nicht, Sri Lanka fehlte es außerdem an Treibstoff und Medikamenten. Mehrere Menschen sollen bereits wartend an der Tankstelle umgekommen sein. Besonders die medizinische Versorgung von Kindern, älteren Menschen und chronischen Patient:innen war zuletzt katastrophal. Im April erklärte die Regierung sich als unfähig, Auslandsschulden abzubezahlen. Sri Lankas größter bilateraler Gläubiger ist dabei China.
Zweifel am Rücktritt
Vor der Protestwelle teilten sich die Brüder Gotabaya und Mahinda Rajapaksa das Amt des Präsidenten und des Premiers. Mit einer Verfassungsänderung schwächten sie das Parlament, zudem befanden sich weitere Verwandte in hohen Regierungspositionen. Diese traten im Zuge der „Gota Go Home“-Proteste zurück.
Nach der Erstürmung des Präsidentenpalastes durch Demonstrant:innen berief der sri-lankische Parlamentspräsident eine Sitzung mit den Führern der politischen Parteien ein. Premierminister Ranil Wickremesinghe (UNP), der virtuell an der Sitzung teilnahm, erklärte, er werde von seinem Amt zurücktreten, nannte aber kein konkretes Datum. Später am Abend teilte der Parlamentspräsident mit, Rajapaksa werde am Mittwoch, den 9. Juli, sein Amt niederlegen. Seitdem haben laut Medienberichten mehrere Minister der Übergangsregierung ihre Ämter niedergelegt.
Unter Demonstrant:innen bleiben allerdings Zweifel am Rücktritt von Präsident Rajapaksa und Premierminister Wickremesinghe. „Wir können dem Präsidenten nicht trauen, der unermessliches Leid über sein eigenes Volk gebracht hat und nicht von der Macht lassen wollte“, sagt Shanaka Jayewardene, ein Lehrer aus der Hauptstadt Colombo. „Warum braucht er so lange, um zurückzutreten?“ Das ist die Frage, die Sri Lanka umtreibt. Unter den Geistlichen, die sich unermüdlich an den Protesten beteiligt haben, wächst die Sorge, dass der Präsident und der Premierminister eine Strategie planen, um an der Macht zu bleiben.
„Die Menschen sind skeptisch. Wir erinnern uns noch an die kurzsichtige Entscheidung des Präsidenten, chemische Düngemittel zu verbieten, was zu einer Verknappung von Reis und anderen Gemüsesorten führte und die Ernährungssicherheit des Landes gefährdete, und wie er die gesamte Wirtschaft in eine beispiellose Krise stürzte“, so Jayewardene.
Der IWF äußert sich
Mit der Entmachtung der Rajapaksas könnte eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) näher rücken. In einer heutigen Erklärung gab der IWF bekannt, dass er auf eine Lösung der politischen Unruhen in Sri Lanka hofft, die eine Wiederaufnahme der Gespräche über ein Rettungspaket ermöglichen wird. Obwohl sich die Bevölkerung wirtschaftliche Stabilität wünscht und auf finanzielle Hilfe durch den IWF und andere Geldgeber hofft, haben sich Ängste und Zweifel verstärkt.
In der Bevölkerung sei aber auch Hoffnung zu spüren, sagt Thyagi Ruwanpathirana von Amnesty International Sri Lanka gegenüber der taz. Doch „es ist noch zu früh, um von einem Sieg der Demokratie zu sprechen. Wir werden in den nächsten Tagen sehen, ob die versprochenen Rücktritte tatsächlich erfolgen“.
Inzwischen haben die Oppositionsparteien Gespräche über die Bildung einer Allparteien-Übergangsregierung aufgenommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!