Regierungspläne in der Kritik: Streit um Klagen gegen Atomanlagen
Die Bundesregierung will Klagen gegen Atomanlagen auf Grund von Terrorgefahr erschweren. Das ist nicht nur für AKWs relevant.
Diesen Schutz gegen „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ soll die 17. Novelle des Atomgesetzes neu regeln. Es werden derzeit zwar keine neuen AKWs mehr genehmigt, aber es gibt noch ungenehmigte Zwischenlager. Auch für Atomtransporte und das künftige Endlager ist die Änderung relevant.
Für die Schutzmaßnahmen gegen Terror ist der jeweilige Betreiber zuständig, genehmigt werden sie vom Staat. Wenn Anwohner:innen klagen, weil sie den Schutz nicht für ausreichend halten, entsteht nach Ansicht der Bundesregierung ein Problem. Weil Anti-Terror-Maßnahmen geheim bleiben müssen, können zentrale Dokumente dem Gericht nicht vorgelegt werden. Deshalb bestehe die Gefahr, dass die Behörden entsprechende Prozesse verlieren.
Koalitionsvertrag 2018 sah andere Lösungen vor
Die Lösung der Bundesregierung ist wenig bürgerfreundlich. Sie will die Frage, ob der Schutz von Atomanlagen gegen Terrorgefahren ausreichend ist, allein den Behörden überlassen. Polizei und Verfassungsschutz seien bei Terrorgefahren viel sachkundiger als Richter:innen. Gerichte sollen die Entscheidung der Behörden in der Regel nicht mehr überprüfen könnnen. Die Regierung spricht von einem „Funktionsvorbehalt“ für die Behörden.
Einen entsprechenden Funktionsvorbehalt hat die Rechtsprechung zwar bereits entwickelt, er bezieht sich bisher aber nur auf die Bewertung von Gefahren und Schutzkonzepten. Nun soll er auch die zugrundeliegenden Daten und Informationen umfassen – um geheime Dokumente nicht mehr offenlegen zu müssen.
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2018 war noch eine andere Lösung vorgesehen. Danach sollte zumindest das entscheidende Gericht die geheimen Unterlagen prüfen können. Eine derartige Prüfung unter Ausschluss von Öffentlichkeit und Verfahrensbeteiligten nennt man „In-Camera-Verfahren“.
Grüne verweisen auf Koalitionsvertrag
Inzwischen hat sich auch der Bundesrat für ein solches Verfahren ausgesprochen, um ein Mindestmaß an gerichtlicher Kontrolle sicherzustellen. Und bei einer Anhörung im Bundestag war auch eine Mehrheit der Sachverständigen dafür.
Die Grünen haben daher einen Änderungsantrag eingebracht, der die Große Koalition in Verlegenheit bringen soll. Sie beantragen jetzt die Einführung des im Koalitionsvertrags vorgesehenen In-Camera-Verfahrens und nutzen dabei die vom Bundesrat vorgeschlagene Formulierung. Die Atomgesetz-Novelle soll in der Nacht von Donnerstag auf Freitag im Bundestag beschlossen werden.
Die Bundesregierung ist allerdings vom Vorschlag aus dem Koalitionsvertrag abgerückt. Gegen das In-Camera-Verfahren bestünden „verfassungsrechtliche Bedenken“, weil hier der klagende Bürger nicht erfahre, welche Unterlagen dem Gericht vorgelegt werden. Für die Atomexpertin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, ist das aber immer noch besser, als wenn das Gericht den Behörden ganz ohne Dokumente vertrauen müsste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner