Regierungskrise in Italien: Fünf Sterne boykottieren Draghi
In Italien boykottiert die Fünf-Sterne-Bewegung ein Vertrauensvotum im Senat. Damit stürzt sie die Regierung, an der sie selbst beteiligt ist. Und nun?
![Mario Draghi. Mario Draghi.](https://taz.de/picture/5675398/14/30614248-1.jpg)
Der Ministerpräsident hatte jedoch schon im Vorfeld klargemacht, dass damit für ihn die Geschäftsgrundlage für die Weiterführung der Regierungsgeschäfte entfällt – trotz der auf dem Papier weiterhin gegebenen Mehrheit.
Vordergründig ging es bei dem Votum um ein Unterstützungspaket für Unternehmen und Bürger*innen im Umfang von etwa 20 Milliarden Euro, um die explodierten Energiekosten und die Folgen der galoppierenden Inflation abzufedern.
Doch das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter dem früheren Ministerpräsidenten Giuseppe Conte nahm daran Anstoß, dass ein Paragraf des Dekrets dem Bürgermeister Roms Sondervollmachten zur schnellen Einrichtung einer Müllverbrennungsanlage einräumte – und verweigerte Draghi deshalb das Vertrauen.
Bizarrer Antrag für Vertrauensvotum
Jenes Vertrauensvotum erhielt der Ministerpräsident dagegen von allen anderen Koalitionspartnern seiner seit Februar 2021 amtierenden Fast-Allparteien-Regierung, von der kleinen radikalen Linken über die gemäßigt linke Partito Democratico und Silvio Berlusconis Forza Italia zur rechtspopulistischen Lega unter Matteo Salvini.
Zustimmung gab es auch von der Fraktion „Insieme per il futuro“ der unter Außenminister Luigi Di Maio erst vor drei Wochen aus dem M5S ausgescherten Dissident*innen, die dem Fünf-Sterne-Chef Conte nicht umsonst vorwarfen, er arbeite systematisch an der Destabilisierung der Regierung Draghi.
Doch die Fünf Sterne und ihr Chef Conte taten bis zuletzt so, als sei da eigentlich nichts gewesen, als wohne der Senat, als wohne das Land mit ihrem verweigerten Vertrauensvotum bloß einem kleineren Betriebsunfall bei.
Weder zog das M5S seine Minister aus dem Kabinett ab, noch erklärte es seinerseits den Koalitionsbruch. So kam es zu der bizarren Szene, dass ausgerechnet ein Kabinettsmitglied aus den Reihen der Fünf Sterne, der Minister für Parlamentsbeziehungen Federico d’Inca, am Donnerstag im Senat namens der Regierung den Antrag auf jene Vertrauensabstimmung stellte, an der seine eigene Partei dann nicht teilnahm.
Salvini drängt auf rasche Neuwahlen
Doch Draghi hatte von Anfang an klargemacht, dass er keineswegs gedenke weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Zum einen erklärte er, für ihn gebe es „keine Regierung ohne die Fünf Sterne“, zum anderen fügte er hinzu, er stehe für andere Lösungen nicht zur Verfügung.
Noch drei Tage vor der Abstimmung hatte er M5S-Chef Conte zu einem Krisengespräch empfangen. Der legte dort eine Liste von neun Punkten vor, ganz oben die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Und Draghi zeigt sich durchaus aufgeschlossen und erklärte, viele dieser Punkte könne er teilen.
Unmittelbar vor dem Vertrauensvotum jedoch beschied Conte Draghi, er gebe sich mit „bloßen Absichtserklärungen“ nicht zufrieden. Zu groß war offensichtlich der Druck der M5S-Senatsfraktion auf ihn, Draghi das Vertrauen zu verweigern, um so gleichsam zu demonstrieren, dass die Fünf Sterne auch gegenüber dem von ihnen ungeliebten Ex-Zentralbanker auf dem Stuhl des Regierungschefs auf ihren alten Protestgeist nicht verzichten wollen.
Theoretisch sind mit dem Senatsvotum vom Donnerstag mehrere Szenarien denkbar. Auf dem Papier könnte Draghi, der auch ohne die Fünf Sterne in beiden Häusern des Parlaments eine komfortable Mehrheit hätte, einfach weitermachen. Doch dagegen spricht nicht nur, dass er selbst bisher eine solche Lösung ausgeschlossen hat.
Auch Lega-Chef Salvini erklärte, mit der bisherigen Regierung sei es „zu Ende“ und sprach sich für schnelle Neuwahlen nach der Sommerpause aus. Einig ist er darin mit der auch bisher schon zur Regierung oppositionellen postfaschistischen Partei Fratelli d’Ialia (FdI – Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni, die in den Umfragen auf 22 bis 23 Prozent kommt. Der Rechtsblock aus FdI, Lega, Berlusconi Forza Italia und Kleinparteien hätte mit fast 50 Prozent beste Chancen auf einen Wahlsieg.
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