Regierungskrise in Frankreich: Macrons letzter Joker
Frankreichs neuer Premier François Bayrou ist dafür bekannt, mit allen sprechen zu können. Lenkt er das Land aus der Krise?
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Seit Langem war François Bayrou im Gespräch für den Posten des Regierungschefs in Frankreich. Nicht erst, seit er Emmanuel Macron 2017 bei den Präsidentschaftswahlen zum Sieg verhalf. In den letzten 20 Jahren zirkulierte immer wieder sein Name unter den genannten Favoriten für das Amt.
Bayrou ist schon so lang im Geschäft, dass böse Zungen ihn bereits als Ladenhüter abgeschrieben hatten. Doch trotzdem gelang es ihm, in all diesen Jahren, eine Schlüsselfigur der französischen Politik zu bleiben.
Dieses Mal hatte Macron keine Ausrede mehr. Bayrou ist vielleicht die letzte Karte, die er in der gegenwärtigen Regierungskrise noch als Joker zur Wiederherstellung eines Anscheins von Vertrauen in die Staatsführung ausspielen konnte. Laut den ungeduldig zappelnden Medien, die in den letzten Tagen jedes Augenzwinkern des Präsidenten als Hinweis nahmen, hatte Macron seinen älteren Mentor Bayrou mehrfach angerufen.
Einen idealen Kandidaten für die Aufgabe, nach dem von der Opposition erzwungenen Rücktritt von Michel Barnier eine Regierung zu bilden, gab es angesichts der vertrackten politischen Kräfteverhältnisse in der französischen Nationalversammlung nicht. Es gibt keine in der Abgeordnetenkammer regierungsfähige Mehrheit, und jede Minderheitsregierung – wie im Fall von Ex-Premier Barnier – kann sich nur dank der gnädigen Duldung der Rechten oder eines Teils der gegnerischen Linken halten.
Bayrou, der Mann hinter den Kulissen
Für Bayrou sprachen aus Macrons Sicht dann aber einige Argumente: Er erregt sowohl links wie rechts weniger Anstoß als andere. Er ist bekannt dafür, dass er mit allen reden kann. Und vor allem hat er langjährige Erfahrung im Parlamentsbetrieb und im Regierungsgeschäft.
Der 1951 geborene François Bayrou kommt aus dem französischen Baskenland in den Pyrenäen. Er ist Bürgermeister der Stadt Pau, wo er Literatur studiert hatte und um 1980 eine politische Karriere in der damaligen Mitte-Partei Centre des Démocrates sociaux begann. Rasch stieg er in Führungspositionen auf: erst Erziehungsminister, danach EU-Abgeordneter und jeweils Vorsitzender seiner Partei der Mitte.
Als Chef und Kandidat der Zentrumsdemokraten wurde er zum Konkurrenten des Neogaullisten Jacques Chirac. Drei Mal versuchte es Bayrou mit einer Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl, vergeblich. Dass er 2012 im zweiten Wahlgang den Sozialisten François Hollande unterstützte und nicht Chiracs Nachfolger Nicolas Sarkozy, hat dieser ihm nicht verziehen. Ab 2016 setzte er dann alles auf Macron.
keine weiße Weste
Nach dessen Triumph 2017 hätte Bayrou als Belohnung eigentlich den Posten des Regierungschefs erwarten können. Er wurde aber lediglich Justizminister. Nach nur einem Monat im Amt musste er zwei anderen Ministerkollegen seiner Partei MoDem (Mouvement Démocrate) den Ausstand geben: Die Justiz ermittelte wegen Unterschlagung von EU-Geldern, die der Bezahlung von parlamentarischen Assistenten dienen sollten, aber indirekt für die Parteifinanzierung abgezweigt wurden.
Bayrou selber wurde im Februar 2024 freigesprochen und darf sich auf die Unschuldsvermutung berufen. Da die Staatsanwaltschaft aber Berufung eingelegt hat, hat der neu ernannte Premier weiterhin keine ganz weiße Weste.
Vor allem deswegen hatten viele daran gezweifelt, dass Emmanuel Macron François Bayrou aus seiner bisherigen Rolle ins Rampenlicht befördern würde. Denn der französische Präsident geht damit das Risiko ein, dass sein neuer Premier schon demnächst vor dem Berufungsgericht vorgeladen wird. Wahrscheinlicher aber ist es, dass Bayrou vor der nächsten Prozessrunde nicht mehr im Amt sein wird. Einerseits angesichts der politischen Ungewissheit in Frankreich – andererseits wegen der langsam mahlenden Mühlen der Justiz.
Allerdings scheint schon jetzt die ihm übertragene Mission, Frankreich aus der politischen Krise zu führen, angesichts der Startbedingungen schier unmöglich. Unmittelbar nach seiner Ernennung stellte das rechtsextreme Rassemblement National seine politischen Forderungen und drohte, Bayrou, wie zuvor Barnier, gemeinsam mit den Stimmen der Linken zu stürzen.
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