Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel: Was die Kanzlerin wunderbar findet
Im Bundestag erläutert Merkel ihren Plan für die Flüchtlingskrise. Die Rollen scheinen vertauscht: Die größte Opposition kommt von der CSU.
Im Bundestag greift die Kanzlerin zu einem erprobten rhetorischen Mittel, um die unerfreuliche Situation aufzuhellen. Sie lobt. Sie lobt ausführlich den britischen Premier David Cameron, der Sonderrechte für Großbritannien fordert. Sie lobt SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, die der Union gerade vorgeworfen hat, die Integration der Flüchtlinge zu torpedieren. Sie lobt die Türkei.
Merkel erläutert ihr 3- Punkte-Programm. Deutschland müsse mit Geld in der Türkei Flüchtlingen helfen, die EU-Ausgrenze zur Türkei soll mit Nato-Schiffen gegen Flüchtlinge gesichert werden. Und die, die kommen, sollen in der Europäischen Union verteilt werden.
Merkels Rede hat etwas von einer pädagogischen Lektion. Sie richtet sich nicht so sehr an die Parlamentarier, vielmehr an ein imaginäres Publikum, dass Tabula-rasa-Lösungen verlangt. Deutschland, sagt Merkel, habe bisher von der Globalisierung per Export profitiert. Jetzt müsse es eben „die andere Seite der Globalisierung“ ertragen. Europa müsse „lernen, sich von der Illusion zu verabschieden, dass man auf die Flüchtlingsströme „nur mit Abschottung“ antworten kann. Die Kanzlerin fordert Lernbereitschaft und die Einsicht, dass die Lage zu komplex für einfache Parolen ist. So reden Lehrerinnen mit verstockten Jugendlichen.
Es ist eine souveräne, klare Ansprache. Wie ernst Merkels Lage ist, ist nur einer knappen Sentenz zu entnehmen. Die Kanzlerin neigt dazu, in Reden Sachverhalte darzulegen. Zur emotionalen Färbung oder dem Gebrauch der Ich-Form greift sie nur selten. Am Mittwochmittag sagt sie im Bundestag, dass laut Umfrage 90 Prozent der Bürger dafür sind, dass Schutzbedürftige nach Deutschland kommen dürfen. „Ich finde das wunderbar“ sagt sie. „Ich“ und „wunderbar“ ist kein übliches Vokabular in Regierungserklärungen.
Opposition in der Regierungsfraktion
Danach tritt die Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht ans Pult. „Die EU“, sagt sie, „ist zu einem Synonym für Verfall geworden.“ Wagenknecht erweckt nicht den Eindruck, dass ihr dieser Verfall schlaflose Nächte bereitet. Diese Krise ist in ihrer Lesart eher die gerechte Strafe für den Neoliberalismus und Merkels Vergehen in der Eurokrise. Wagenknecht referiert altbekannte linke Gewissheiten – als Konter zu Merkel wirkt das seltsam zeitlos. Was die Linkspartei in der Flüchtlingskrise zu tun gedenkt, bleibt nebelhaft.
Auch die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt tut sich nicht leicht damit, eine klare Opposition zu markieren. Sie greift vor allem mit scharfen Worten CSU-Mann Horst Seehofer an, der in Moskau Putin hofierte und in der Bundesrepublik die „Herrschaft des Unrechts“ ausmachte. Merkel hat auf Seehofers bodenlose Provokation geschwiegen. Es ist nicht verwegen anzunehmen, dass Göring-Eckardt sagt, was Merkel über Seehofer nur denkt.
Es ist nicht einfach, eine glaubwürdige Opposition gegen Merkel zu formulieren. Wahrscheinlich sitzt die harte Opposition gegen die Kanzlerin derzeit in den Regierungsfraktionen selbst. Als Merkel „Ich finde das wunderbar“ ruft, klatschen einige CSU-Abgeordnete demonstrativ nicht.
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