Regierungserklärung von Merkel: Du bist Deutschland

Kanzlerin Angela Merkel klingt in ihrer Rede fast wie Andrea Nahles. Nur für Horst Seehofer hat sie einen kleinen Seitenhieb parat.

Angela Merkels geballte Hände am Rednerpult

Haut nicht so richtig auf den Tisch: Kanzlerin Angela Merkel Foto: dpa

BERLIN taz | Immer dieser Seehofer. Bevor Angela Merkel für ihre brandneue Koalition wirbt, stößt sie ihm noch kurz Bescheid. Es stehe außer Frage, dass die historische Prägung des Landes christlich und jüdisch sei. „Doch so richtig das ist, so richtig ist es auch, dass mit den 4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlands geworden ist.“ Der Islam, so Merkels Botschaft, gehört eben doch dazu.

Schon kommt die nächste Spitze gegen Seehofer, der ein paar Meter weiter auf der Kabinettsbank sitzt: Die Bundesregierung habe die Aufgabe, Diskussion so zu führen, dass durch konkrete Entscheidungen der Zusammenhalt aller in Deutschland lebenden Menschen größer und nicht kleiner werde. Deutlicher kann die Kanzlerin kaum ausdrücken, wie wenig sie von der von Seehofer angezettelten Islam-Debatte hält.

Merkel nutzte ihre Regierungserklärung am Mittwoch, um die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre abzustecken. Dabei treibt die Kanzlerin vor allem um, wie sich die Gesellschaft zusammenhalten lässt. Diese Frage zog sich durch ihre einstündige Rede, sie ist für Merkel der rote Faden des Koalitionsvertrags.

Obwohl das Land gut dastehe, machten sich Menschen Sorgen, sei der Ton rauer geworden, beginnt Merkel. Sie rekapituliert die Jahre 2015 und 2016, als Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Wenn es einen Fehler gegeben habe, dann die Hoffnung, dass der Krieg in Syrien Europa und Deutschland nicht berühre. Dies sei „im Rückblick naiv“ gewesen. Für Merkel ist Innen- und Außenpolitik nicht mehr zu trennen.

Als sie betont, man habe damals „Menschen in Not“ aufgenommen, applaudieren die Fraktionen von Union, SPD und Grünen. In den Reihen von FDP und AfD rührt sich keine Hand. Das, was damals als Willkommenskultur galt, hat im heutigen Parlament erbitterte Gegner. Merkel weiß, dass ihre Flüchtlingspolitik das Land gespalten hat. Ihren Satz „Wir schaffen das“ bezeichnet sie als „unglaublich banal“. Jener sei aber zum Kristallisationspunkt geworden.

Lob an die SPD

Die Regierung, sagt Merkel, müsse den Eindruck vermeiden, dass Fremden in Notlagen umstandslos geholfen werde – Einheimische aber zurückstehen müssten. Genau dieser Logik folgt der Koalitionsvertrag: Er sieht restriktive Maßnahmen gegen Flüchtlinge vor, etwa eine harte Begrenzung des Familiennachzugs. Gleichzeitig verteilt die Regierung Milliarden Euro für bessere Schulen, mehr Stellen in der Pflege oder Steuernachlässe für die Mittelschicht.

Merkel lobt ausdrücklich auch die Projekte, die die SPD durchgesetzt hat, etwa die Parität bei den Krankenkassenbeiträgen. Manchmal klingt sie fast wie Andrea Nahles. „Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande“, ruft sie. „Und wir müssen sie mit aller Kraft bekämpfen.“

Merkel weiß, dass ihre Flüchtlingspolitik das Land gespalten hat

Ausführlich spricht Merkel über Europa. Die EU sei ein „Glücksfall“ für Deutschland. Nachdem die akute Krise überwunden sei, gehe es jetzt um die langfristige Absicherung und Stabilität des Währungsraums. Merkel stellt ungewohnt deutlich ein stärkeres Zusammenwachsen in Aussicht. Von einer Wirtschaftsunion sei man noch weit entfernt, sagt sie. „Das ist viel mehr als einfach nur der Binnenmarkt.“

Am Ende zitiert sie sich selbst – und liest ein paar Sätze aus ihrer ersten Regierungserklärung 2005 vor. „Ich bin überzeugt, Deutschland kann es schaffen“, sagte sie damals. „Heute füge ich hinzu: Deutschland, das sind wir alle.“ Die AfD-Abgeordneten lachen höhnisch. Zusammenhalt organisieren – Merkel hat sich für ihre letzte Amtszeit viel vorgenommen.

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