Regierungsbildung in Kosovo: Ein Mann der Widerworte

In den 90er Jahren kämpfte Albin Kurti für Kosovos Unabhängigkeit. Bald könnte er als neuer Regierungschef einen radikalen Wandel anstoßen.

Albin Kurti bei einer Kundgebung

Nach dem fulminanten Wahlsieg: Albin Kurti bei einer Kundgebung in Prishtina im Oktober 2019 Foto: Umeys Sulejman/Anadolu Agency/afp

SARAJEVO taz | Drei Monate nach der Parlamentswahl in Kosovo und dem fulminanten Sieg der linken, sozialdemokratischen Partei Vetëvendosje, verhandelt der Vorsitzende Albin Kurti noch immer mit der konservativen Demokratische Liga Kosovos (LDK) über eine künftige Regierung.

Zum Ministerpräsidenten wurde Kurti schon benannt – jetzt hat er nur noch wenig Zeit, die Koalitionsverhandlungen zu einem Ende zu führen. Am Montag will er sich und seine Regierungspläne einer Abstimmung im Parlament stellen, wenn nötig auch ohne Einigung mit der LDK.

Die Zeit drängt also, denn eigentlich gibt es für beide Parteien kein Zurück mehr. Zu viele Hoffnungen sind mit der Konstitution dieser Koalition verbunden. Mit ihr würde die Herrschaft jener Parteien beendet werden, die aus der Kosovo-Befreiungsorganisation UÇK hervorgegangen sind, die in den 1990er-Jahren mit paramilitärischen Mitteln für eine Unabhängigkeit Kosovos von Serbien kämpfte. Nur deren Ex-Anführer Hashim Thaçi würde dann als Präsident des Kosovo im Amt bleiben.

Der in Prishtina aufgewachsene Albin Kurti ist schon in den 1990ern als Studentenführer und linker Menschenrechtsaktivist mit einer klaren politischen Vision angetreten: Er wollte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Kosovo durchzusetzen, als es noch unter serbischer Herrschaft stand.

Kurti bleibt für viele radikal

Kurti engagierte sich gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung, gegen den Ethno-Nationalismus und Totalitarismus aller Seiten. Bis heute hat er seine Position nicht geändert. Er spricht sich vehement gegen Korruption und Vetternwirtschaft aus, die in der Gesellschaft Kosovos seit der osmanischen Zeit verankert sind.

Dabei finden ihn manche Kosovaren sogar ein bisschen unheimlich. Dass er als Vorsitzender der stärksten Partei und Mitglied des Parlaments ganz bescheiden weiterhin in seiner kleinen Studentenwohnung lebt, ist für manche unbegreiflich. Er sei ein Robespierre und kein Danton, witzelten vor ein paar Jahren kosovarische Intellektuelle mit einer Mischung aus Bewunderung und Verwunderung. Für viele Kosovaren ist Kurti bis heute zu radikal.

Kurti organisierte seit 1996 friedliche Demonstrationen gegen die serbische Unterdrückung im Land mit Tausenden von Studenten – und das vor den Gewehrläufen der damaligen serbischen Polizei und Armee.

Während die paramilitärische UÇK ab 1998 die Waffen erhoben hatte und mit einem Befreiungskrieg Kosovo in die Unabhängigkeit von Serbien führen wollte, hielt Kurti an seiner friedlichen Protestkultur fest. Das änderte sich auch nicht, als er 1998 im Büro des legendären kosovo-albanischen Widerstandskämpfers Adem Demaçi zu arbeiten begann. Demaçi hatte fast 30 Jahre in serbischen Gefängnissen zugebracht und wurde als Symbol des Widerstands der mehrheitlichen albanischen Bevölkerung Kosovos politischer Sprecher der UÇK.

Kurz nachdem die Nato mit Luftangriffen auf Serbien in den Kosovokrieg im März 1999 eingriff, wurde Kurti verhaftet und in einem Schauprozess zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. „Dieses Gericht hat nichts mit Wahrheit und Recht zu tun“, erklärte er damals. Nach dem Sturz des serbischen Ministerpräsidenten Slobodan Milošević wurde er von der neuen Regierung Serbiens unter Zoran Đinđić freigelassen und kehrte nach Prish­tina zurück.

Gegen den Nationalismus

Das Land wurde damals von der UN-Mission in Kosovo Unmik verwaltet, die zwar Wahlen zuließ, aber der damaligen Regierung unter Hashim Thaçi die politischen Entscheidungen diktierte. Kurti stellte sich wieder radikal dagegen. Er gründete die Bewegung Vetëvendosje – „Selbstbestimmung“ – und prangerte die Unfähigkeit und Korruption der UN-Mission an.

Als 2004 allerdings orthodoxe Kirchen brannten, distanzierte sich Kurti: Er wollte keine Konfrontation auf nationalistischer Grundlage. Schon damals sah er die Serben und andere Minderheiten im Kosovo als gleichberechtigte Staatsbürger.

Nach seinem Universitätsabschluss im Bereich Computertechnologie führte er 2006 eine Demonstration in die Konfrontation mit der Unmik, weil der Status des Kosovo sieben Jahre nach dem Krieg weiterhin unklar blieb. Kurti trat für die Unabhängigkeit des Landes von Serbien ein.

„Keine Verhandlungen, Selbstbestimmung“ sprühten die Demonstranten auf eine Wand des UN-Gebäudes in Prishtina. Sie forderten ein Referendum über den Status des Landes. UN-Mitarbeiter wurden mit Farbbeuteln beworfen, die UN-Polizei verhaftete Hunderte Demonstranten.

Ein Nationalist und Kommunist?

Die Konfrontation spitzte sich weiter zu, als die rumänische UN-Polizei im Februar 2007 mit metallummantelten Gummigeschossen in die Menge schoss, zwei Demonstranten tötete und 80 weitere verletzte. Kurti wurde abermals verhaftet und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. „Wer die Demokratie hier implementieren will, muss sich erst einmal selbst an rechtsstaatliche Prinzipien halten“, erklärte er damals gegenüber der taz.

Schon 2007 eine Ikone: Während Kurti im Gefängnis sitzt, wird sein Bild bei einer Demo gezeigt Foto: reuters

Zu dieser Zeit konnte der Weg in die Unabhängigkeit nicht mehr gestoppt werden. Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo zu einem unabhängigen Staat, der bisher von 110 Staaten anerkannt wird – jedoch nicht von Serbien, das Kosovo nach wie vor als Teil des eigenen Staatsgebietes betrachtet.

Nach der Unabhängigkeit wandelte Kurti seine Bewegung Vetëvendosje in eine Partei um und nahm an den ersten Wahlen teil. Er prangerte nicht nur die Korruption der herrschenden UÇK-Parteien an. Angesichts ihrer Kenntnisse über die Korruption der regierenden UÇK-Elite, versuchten die internationalen Mächte diese zu erpressen, um Zugeständnisse Kosovos gegenüber Serbien zu erreichen, erklärte Kurti.

So wurde er von Hashim Thaçi und den ausländischen Mächten zum Hauptfeind erklärt und diffamiert, einmal als albanischer Nationalist, der die Vereinigung mit Albanien wolle, dann wieder als Kommunist.

Kampf gegen Korruption

Trotzdem gewann Kurtis Partei nach und nach an Stimmen und Einfluss, etwa den Bürgermeisterposten in der Hauptstadt Prishtina. Bei den Wahlen am 6. Oktober 2019 wurde Vetëvendosje mit 29 von 120 errungenen Sitzen im Parlament stärkste Partei. Derzeit laufen Koalitionsgespräche mit der LDK, die 28 Sitze erhielt.

Der 45-Jährige erteilte währenddessen allen Plänen, Kosovo entlang ethnischer Linien zu teilen – wie von ausländischen Diplomaten der USA und Russlands vorgeschlagen – gemeinsam mit der Mehrheit der Parlamentsabgeordneten bereits eine klare Absage. Er kündigte außerdem weitreichende Reformen für Kosovo an. Der Kampf gegen die Korruption stehe an erster Stelle. Das Budget solle überprüft werden, die Schulen und Universitäten reformiert und die Wirtschaft angekurbelt werden, erstmals auch mit grüner Technologie.

Der serbischen Minderheit in Kosovo versprach Kurti in seinen letzten Ansprachen weitgehende Kooperation und Integration. Er forderte von Serbien, geraubte Kulturgüter zurückzugeben und den Verbleib nach wie vor vermisster Albaner aufzuklären, die während des Krieges nach Serbien verschleppt worden sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.