Regierung will Rentenbeitrag senken: Viel Streit um acht Euro
Der Beitragssatz zur Rentenkasse wird sinken, hat die Bundesregierung beschlossen. Doch selbst CDU-regierte Länder sind dagegen.
BERLIN taz | Das Kabinett hat am Mittwoch beschlossen, den Beitragssatz zur Rentenversicherung zu mindern. Die bis in CDU-Landesregierungen hinein umstrittene Maßnahme lässt den Satz von 19,6 Prozent auf voraussichtlich 19 Prozent ab 2013 sinken. Der genaue Wert soll im Herbst bestimmt werden, wenn neue Zahlen zum Überschuss in der Rentenkasse vorliegen.
Das Abschmelzen der sogenannten Nachhaltigkeitsrücklage in der gesetzlichen Rentenkasse ist per Gesetz vorgeschrieben, wenn das Polster das 1,5fache der Monatsausgaben von rund 17 Milliarden Euro übersteigt. Derzeit beträgt das Plus rund 30 Miliarden Euro.
Doch der Kabinettsbeschluss ist umstritten: Zum einen wollte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Gesetz in ihr Rentenreformpaket einbinden, um sich die Zustimmung der FDP zur umstrittenen Zuschussrente für Geringverdiener zu erkaufen. Damit ist sie gescheitert.
Vor allem aber stellen Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Oppositionsparteien sowie Unionsvertreter in Landesregierungen das Gesetz zur Gänze in Frage: Sie wollen wegen der immer älter werdenden Gesellschaft eine höhere Reserve in der Rentenkasse vorhalten. Das sehen auch 80 Prozent aller Bundesbürger so, wie eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt.
Dass der Beitragssatz in den kommenden Jahren wegen des demografischen Wandels wieder steigen muss, ist auch der Bundesregierung klar. Vorgegeben ist, den Satz bis 2030 auf 22 Prozent zu begrenzen. Gleichzeitig soll das Rentenniveau bis dahin von 53 auf 43 Prozent, gemessen am Durchschnittsverdienst abzüglich Sozialabgaben, sinken.
Dagegen rechnet der DGB vor: Würde man den Beitragssatz schon ab 2014 jedes Jahr um 0,1 Prozentpunkte bis auf 22 Prozent anheben, statt später in größeren Sprüngen, wäre genug Geld in der Rentenkasse, um unter anderem das Rentenniveau bei 53 Prozent zu stabilisieren und die Erwerbsminderungsrente aufzubessern. Denn: „Bei einer Absenkung auf 43 Prozent werden künftig selbst Durchschnittsverdiener von Altersarmut betroffen sein“, so DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Das DGB-Modell würde für Durchschnittsverdiener mit 2.600 Euro Bruttolohn pro 0,1 Prozentpunkt jährlicher Beitragsanhebung Mehrausgaben von 2,60 Euro im Monat bedeuten. Sänke das Rentenniveau auf 43 Prozent, bekämen Neurentner ab 2030 hingegen 158 Euro Rente weniger, so der DGB. Die jetzt beschlossene Beitragssenkung bedeutet für Durchschnittsverdiener hingegen einen Gewinn von 7 bis 8 Euro im Monat.
Von der Leyen verteidigte die Beitragssenkung am Mittwoch: „Der erwerbstätigen Generation bleibt mehr vom hart erarbeiteten Einkommen.“ Doch in der Union formiert sich Widerstand. Laut Andreas Storm, CDU-Sozialminister der großen Koalition des Saarlandes, wollen 12 von 16 Landesregierungen den Beitragssenkungen im Bundesrat nicht zustimmen. Damit würden sich alle 5 Landesregierungen mit großen Koalitionen gegen die Bundesregierung stellen und das Gesetz wohl verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden