Regierung wegen Gaspreisen unter Druck: Die Angst vor dem eiskalten Herbst
Die hohen Gaspreise belasten Millionen VerbraucherInnen. Sparen hilft schon eine Menge – aber die Koalition muss Geringerverdienende unterstützen.
A nnalena Baerbock fürchtet Volksaufstände, Robert Habeck wird schon auf seiner Sommerreise beschimpft und ausgebuht. Das Gespenst der französischen Gelbwesten müssen die grünen Spitzenpolitiker und die Ampelkoalition gar nicht bemühen, aber die Angst vor dem eiskalten Herbst ist berechtigt. Dann werden sich in den Briefkästen von Millionen GaskundInnen Forderungen der Versorger finden, die ihre Rechnungen locker verdoppeln, verdrei- oder gar vervierfachen werden. Rechnungen mit politischer und sozialer Sprengkraft.
Wer soll das bezahlen? „You will never walk alone“, überstrapazierte SPD-Kanzler Olaf Scholz in der vergangenen Woche ein Fußball-Lied – und nannte nicht die ganze Wahrheit. Die Umlage, die Gaskunden ab Oktober zahlen sollen, damit die Versorger nicht in die Knie gehen, liegt nämlich wohl nicht bei 200 bis 300 Euro für eine vierköpfige Familie im Jahr, wie Scholz sagte. Es dürften locker 1.000 bis 1.200 Euro sein, folgt man den Ankündigungen von Wirtschaftsminister Habeck. Und diese Summe kommt noch auf bereits vollzogene oder angekündigte Preissteigerungen der Versorger obendrauf.
Eine Wohngeldreform mit Heizkostenzuschuss plus Kündigungsschutz für klamme Mieter, wie sie der Kanzler ab kommenden Jahr zur Entlastung angekündigt hat, kommt viel zu spät – und hilft zu ungenau. Aber: Kräftige Wohltaten für die BürgerInnen sind in einem Haushalt, wie ihn sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorstellt, nicht vorhanden. Das klingt nach Koalitionskrach.
Schnöde, aber am wichtigsten, um sich gegen Putin und seine zynische Zitterpolitik beim Gas zu stemmen: Energie sparen. Es ist ermutigend, wie viele Unternehmen schon angekündigt haben, ihren Gasverbrauch radikal zu drosseln. Und auch viele Privatiers haben längst reagiert: Heizung runter, nicht so viel warm duschen! Nur wenn genug Gas vorhanden ist, muss der Staat nicht zu noch härteren Mitteln wie der Rationierung greifen.
Subventionen treffen die Falschen
Deshalb führt auch der Vorschlag, die Gaspreise zu deckeln, in die Irre. Selbst die Idee, einen Grundverbrauch pro Person oder 80 Prozent des Verbrauchs des vergangenen Jahres zu subventionieren, könnte die Falschen treffen– soll derjenige belohnt werden, der im vergangenen Jahr besonders lange warm geduscht hat?
Ergo: Die Preise für die klimaschädliche Energie müssen rauf. Und: Das muss ausgeglichen werden, um Bedürftige – und das sind Millionen – zu schonen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Hausnummer genannt, mit der Haushalte mit einem Jahreseinkommen bis zu 40.000 Euro entlastet werden sollten: Sie sind längst besonders stark durch die Inflation belastet – und benötigen sicher 100 Euro pro Person und Monat, um einigermaßen über den Herbst und Winter zu kommen. Und zwar schon bald. Die Heizperiode beginnt in etwas mehr als zwei Monaten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links