Regierung und Opposition in Venezuela: Aus für Interimspräsident Guaidó
Juan Guaidó, der Kontrahent von Staatschef Maduro, wurde von der Opposition abgesetzt. 2024 soll eine neue Präsidentschaftswahl stattfinden.
Juan Guaidó hatte sich bis zuletzt gewehrt. „Heute haben wir kapituliert. Es ist ein Sprung in die Dunkelheit“, sagte der 39-Jährige nach der Abstimmung der Nationalversammlung. Sie tagt seit 2016, als die Opposition die Mehrheit der Mandate errang, und lehnt die 2020 von der Regierungspartei gewonnene Parlamentswahl unter dem Vorwurf des Wahlbetrugs ab.
Mit dem Votum am Wochenende endete endgültig der Versuch, die Regierung von Staatschef Nicolás Maduro über die Bildung einer Parallelregierung zu stürzen und Neuwahlen auszurufen. Juan Guaidó war im Januar 2019 zum Parlamentspräsidenten gewählt worden und hatte sich in dieser Eigenschaft wenig später zum Interimspräsidenten ernannt.
Nicolás Maduro ist zurück in der internationalen Bühne
Dass diese Aktion mit der US-Regierung von Donald Trump abgesprochen war, ist unbestritten. Washington erkannte Guaidó unmittelbar als Interimspräsidenten an. Fast im Minutentakt folgten dann mehr als 35 Staaten, darunter die Europäische Union. Doch der internationale Rückhalt ist schon längst zu einer Formalie verkommen.
Ein Beispiel: die scheinbar zufällige Begegnung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit Maduro in den Gängen der Klimakonferenz COP27 im November im ägyptischen Scharm al-Scheich. Dabei sprach Macron seinen vermeintlichen Amtskollegen mit „Präsident“ an und versicherte ihm, dass er ihn anrufen werde.
Venezuelas Staatschef Maduro ist nun der große Gewinner. Jahrelang international geächtet, hat sich seine Rolle mit der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Ölkrise gewandelt. Kaum eine Regierung will es sich noch leisten, den Machthaber eines Landes mit den größten Ölvorkommen der Welt zu ignorieren. US-Präsident Joe Biden macht es vor. So gab es Lockerungen bei einigen US-Sanktionen gegen Venezuelas staatlichen Ölkonzern PDVSA und zu einer vom US-Finanzministerium genehmigten Zusammenarbeit mit dem US-Ölkonzern Chevron.
Ins Bild passt auch der Austausch von Gefangenen. Im Oktober waren die beiden in den USA inhaftierten Neffen von Venezuelas First Lady Cilia Flores gegen sieben ehemalige Ölmanager von Citgo, der US-Tochtergesellschaft des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA, ausgetauscht worden.
Politische Neusortierung in Südamerika
Gewendet hat sich auch das politische Blatt in Südamerika. Mit dem Abgang von Jair Bolsonaro in Brasilien hat Guaidó seinen stärksten Unterstützer in der Region verloren. Noch vor der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula da Silva am Sonntag hat Brasiliens scheidender Präsident das Land Richtung Florida verlassen.
Auch Kolumbiens Präsident Gustavo Petro war schon kurz nach seinem Amtsantritt zu Maduro nach Venezuela gereist. Ein Grund der Wiederannäherung der beiden Nachbarstaaten waren die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen ELN-Guerilla und der Regierung, die im November in Caracas begannen, und bei denen Venezuela als Garantieland und als wichtigstes Rückzugsgebiet der ELN eine große Rolle spielt. Am Wochenende verkündete der kolumbianische Staatschef einen Waffenstillstand mit den fünf wichtigsten Guerillagruppierungen. Bis Ende Juni soll es Friedensverhandlungen geben. Am Sonntag gab es einen neuen Schritt der Annäherung: Den letzten bislang noch geschlossenen Grenzübergang zwischen Venezuela und Kolumbien wurde nach der Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen wieder eröffnet. Die seit 2019 wegen politischen Differenzen geschlossene Brücke, die den Ort Ureña mit der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta verbindet, ist nun auf.
Noch eine Entwicklung: Die sogenannte Lima-Gruppe, in der sich 2017 14 lateinamerikanische Staaten gegen das Maduro-Regime zusammengeschlossen hatten, hat sich aufgelöst.
Dialog zwischen Regime und Opposition wird fortgesetzt
Damit rückt der Dialog zwischen dem Regime von Staatschef Maduro und Teilen der Opposition nach vorne, der Ende November in Mexiko-Stadt unter der Aufsicht von Norwegen begonnen hat. Dabei geht es in erster Linie um die Festlegung der Rahmenbedingungen für die Präsidentschaftswahl 2024.
Schon bei ihrer ersten Verhandlungsrunde unterzeichneten beide Seiten eine Vereinbarung über die Freigabe von drei Milliarden Dollar für die Lebensmittelversorgung und soziale Projekte. Dafür soll ein Fonds eingerichtet werden, der von den Vereinten Nationen verwaltet wird. Dahin sollen die Gelder fließen, die auf internationalen Konten liegen, zu denen der bisherige Interimspräsidenten Zugriff hatte und die nun von der beschlossenen Kommission verwaltet werden soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen