Regenbogen-Flitzer und die Fifa: Die Zensur unterlaufen
Der Spielfeldflitzer von Katar hat seine Botschaften gesetzt. Der Hype um ihn ist bequem, auch weil der Westen zu den Anständigen gehört.
E s war gleich eine Kaskade von Botschaften, die Mario Ferri bei der WM-Partie Portugal gegen Uruguay auf den Rasen trug. „Rettet die Ukraine“ stand auf Englisch auf der Vorderseite seines Superman-Shirts, „Respekt für die iranischen Frauen“ auf der Rückseite, dazu schwenkte der bekannte italienische Flitzer eine Regenbogenfahne. Die Fifa-Medienregie versuchte die Störung ihrer Inszenierung zu zensieren, doch natürlich gelangten die Bilder in die Welt.
Im deutschsprachigen Social Media wird Ferri nun als Held gefeiert; auf Videos sind im Stadion wiederum Pfiffe und Buhen zu hören. Es lohnt sich, das alles nüchterner zu analysieren. Zunächst hat der Italiener etwas sehr Wirkungsvolles getan: Er hat Botschaften sichtbar gemacht, die bei der WM systematisch einkassiert werden – das gilt für Regenbogenfahnen wie für Iran-Proteste.
Ein Flitzer schafft Bilder, die sich nicht entfernen lassen. Ferri, der schon häufiger mit politischen Forderungen den Platz stürmte und einen Bezug zu den Themen hat – er war wohl Fluchthelfer für Ukrainer:innen, und bereits bei einer früheren Aktion protestierte er für die Freilassung der zum Tode verurteilten Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani –, hat die Zensur dieses Turniers wörtlich klug unterlaufen.
Zugleich sind die hyperemotionalen Lobpreisungen aber auch Ausweis eines zunehmend oberflächlichen Kampfes um Symbole: One-Love-Binde und geschlossene Münder gegen Özil-Porträts. Bilder, die viel Sichtbarkeit bekommen, aber deren Wirkung auf den Empfänger meist begrenzt ist. Und ein Ausweis einer deutschen Gesellschaft, die sich kaum für realpolitische Wege zur Verbesserung interessiert oder überhaupt etwa mit der katarischen Gesellschaft ins Gespräch kommen möchte, sondern sich vor allem ihres eigenen Anstands versichert.
Und die Fifa? Ihre übliche Zensur entspringt dem durchaus nachvollziehbaren Wunsch, die grassierende Flitzer-Epidemie nicht noch weiter zu befeuern. Doch die Geschichte des – auch politischen – WM-Flitzens zeigt: Herrin über die TV-Bilder mag die Fifa sein. Aber nicht Herrin über die Realität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation