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Regeln in der CoronapandemieMehr Erklären, mehr Sanktionen

Gastkommentar von Volker Boehme-Neßler

Strengere Coronaregelungen sind angekündigt. Doch schon die bisherigen werden wenig beachtet. Was müsste getan werden, um Wirksamkeit zu erreichen?

Sieht Corona nicht so superdramatisch: Kein Held protestiert gegen Schutzmaßnahmen in Berlin Foto: Florian Boillot

D ie Coronainfektionszahlen steigen scheinbar unaufhaltsam. Neue strenge Regeln sind schon in Kraft. Weitere, strengere Regelungen sind angekündigt. Aber wirken diese Rechtsnormen überhaupt? Zahllose Berichte und Erfahrungen zeigen eher, dass viele Coronavorschriften inzwischen kaum noch beachtet werden. Wie müsste Coronarecht sein, damit es wirksam ist?

Es gibt einen ganz archaischen Weg, der zur Wirksamkeit von Gesetzen führt: Angst. Wer Angst vor den Folgen einer Rechtsverletzung hat, wird sich an das Recht halten. Wer das Recht verletzt, muss deshalb mit negativen Folgen rechnen: Polizei, Bußen, Strafen, Gerichtsverfahren.

Bisher sind die Bußgelder im Coronarecht eine leere Drohung. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen sie nicht ernst. Die uralte Erfahrung: Der Staat muss die Sanktionen durchsetzen, sonst verliert das Recht an Wirkung. Das Coronarecht bietet viele Beispiele dafür. Abstandsregelungen im Restaurant und die Maskenpflicht sind nur die sichtbarsten.

Sanktionen sind notwendig, aber sie reichen nicht aus. Was es wirklich braucht, ist nicht Angst, sondern Akzeptanz. In der freiheitlichen Demokratie muss die Bevölkerung das Recht akzeptieren und aus freiem Willen befolgen. Also: Wie erreicht man, dass Normen akzeptiert werden?

Volker Boehme-Neßler

ist Professor an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Als Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler beschäftigt er sich u.a. mit den Wechselwirkungen von (Verfassungs)Recht und Politik.

Die erste Voraussetzung für Akzeptanz ist: Die Rechtsnormen müssen sinnvoll sein. Niemand wird sich auf Dauer an Regeln halten, die er oder sie sinnlos findet. Sinnvolle Gesetze zu machen – das klingt banal und ist doch in der Praxis nicht einfach. Es gibt immer wieder dysfunktionale Gesetze, die sinnlos sind. Letztlich ist es vernünftig, wenn mündige Bürger solche Normen nicht blind befolgen. Aber manche Gesetze sind nicht sinnlos, sondern nur sehr kompliziert.

Hier liegt eine Crux bei zahlreichen Coronaregeln. Sie versuchen, auf unterschiedlichste Gefährdungslagen und Risiken differenziert zu reagieren. Das macht die Regelungen dann deutschlandweit völlig unübersichtlich. Und Unübersichtlichkeit wird in der öffentlichen Wahrnehmung schnell mit Sinnlosigkeit gleichgesetzt. Dagegen gibt es ein wirksames Mittel: erklären, erklären, erklären. Es ist Aufgabe der Politik, in solchen Fällen immer wieder unermüdlich den Sinn zu erklären. Warum erklärt also die Kanzlerin nicht immer wieder den Sinn der Coronaregeln? Das würde die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.

Daneben gibt es aber auch Coronanormen, die tatsächlich sinnlos sind. Ein Beispiel sind die innerdeutschen Quarantäneregeln und die Beherbergungsverbote. Epidemiologisch ergeben sie wenig Sinn. Sie werden deshalb schnell als Schikane empfunden. Das beschädigt die Akzeptanz – und das Vertrauen in die Politik.

Akzeptanz setzt auch voraus, dass Recht als (einigermaßen) gerecht empfunden wird. Gerechtigkeit ist Gleichbehandlung – das ist die tief im Menschen verankerte Formel für Gerechtigkeit. Das war ein ernstes Problem, als der Lockdown im Frühsommer Schritt für Schritt wieder aufgehoben wurde. Manche Tätigkeiten waren bereits wieder erlaubt, während andere, ähnliche noch verboten blieben. Das erschien vielen willkürlich. Die Folge: mangelnde Akzeptanz und eine verbreitete Missachtung der Regeln. Wenn die Coronaregeln in den nächsten Wochen verschärft werden, muss die Politik jeden Anschein von Willkür vermeiden. Sonst ist das Scheitern programmiert.

Gleichbehandlung – das ist die tief im Menschen verankerte Formel für Gerechtigkeit

Echte Akzeptanz gibt es, wenn die Regeln und Gesetze im gemeinsamen Interesse liegen. Dann haben Bürgerinnen und Bürger kein Problem damit, Normen einzuhalten. Es geht dabei ja um das gemeinsame – und damit auch das eigene – Interesse.

Wie ist das mit den Coronaverordnungen? Liegen sie im gemeinsamen Interesse aller? Natürlich ist es im Interesse aller, die Verbreitung des Virus einzugrenzen. Und dafür sind natürlich alle bereit, Einschränkungen im Alltag hinzunehmen. Wirklich?

Uneindeutige Interessenslage

Schaut man genauer hin, wird die Interessenlage diffiziler. Ein brisantes Beispiel: Jüngere Menschen sind weniger stark durch Covid-19 gefährdet. Gleichzeitig treffen sie die Einschränkungen im sozialen (Nacht-)Leben besonders stark. Genau umgekehrt verhält es sich mit älteren kranken Menschen. Sie sind besonders durch die Krankheit bedroht. Unter einem Lockdown des öffentlichen Lebens leiden sie aber eher weniger. Kann hier wirklich von einem gemeinsamen Interesse die Rede sein? Repressive Schutzmaßnahmen liegen eher im Interesse der älteren und verletzlicheren Bürger. Die jüngeren könnten eher Infektionen riskieren. Etwas zugespitzt: Sie brauchen die harten Repressionen weniger, leiden aber stärker unter ihnen. Dieses Beispiel steht derzeit im Fokus, doch es gibt viele derartig widersprüchliche und uneindeutige Interessenlagen.

Hier liegt der entscheidende Grund, warum Coronaregeln in vielen Fällen ignoriert werden. Die Politik dekretiert eine gemeinsame Interessenlage, die in Wirklichkeit nicht existiert. Mehr oder weniger bewusst spüren das viele. Die Akzeptanz für die Regeln sinkt rapide; die Verstöße werden zahlreicher. Verordnungen wirken nicht mehr.

Was ist die Lösung? Die Interessengegensätze müssen offen angesprochen und debattiert werden. Die Gesellschaft muss zusammen mit der Politik das gemeinsame Interesse definieren. Konkretes Beispiel: Das Ergebnis der Debatte kann sein, dass die Jüngeren die Einschränkungen mittragen, aus Solidarität mit ihren älteren und verletzlicheren Mitbürgern. Die Gesellschaft sieht und würdigt dieses besondere Opfer. Solidarität, die den Zusammenhalt stärkt – das kann dann das gemeinsame Interesse sein. Das erhöht die Akzeptanz der notwendigen härteren Coronaregelungen erheblich. Sie sind dann wirksames Recht, nicht bloß bürokratischer Schein.

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6 Kommentare

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  • Ich gebe hier mal ein Beispiel aus der Praxis, wie die Akzeptanz von hygienebedingten Einschränkungen gerade bei jungen Menschen gefördert wird:



    Meine Tochter besucht ein Gymnasium in einer nahegelegenen Mittelstadt. Dort gelten sehr drastische Corona-Regeln. Das Tragen von Masken ist auf dem gesamten weitläufigen Gelände Pflicht – auch im Freien auf dem Pausenhof oder auf den Wegen zwischen den einzelnen Gebäuden. Der Sportunterricht ist stark eingeschränkt, Mannschaftssportarten, bei denen sich einzelne SchülerInnen nahe kommen könnten, sind ganz unmöglich. Im Unterricht werden die SchülerInnen immer wieder auf die Abstandsregeln hingewiesen.



    Allerdings: Durch die Corona-bedingten Steuerausfälle muss die Stadt sparen und hat das Angebot an Bussen zum 1. Oktober um die Hälfte reduziert. Dies führt dazu, dass die zahlreichen SchülerInnen aus den Umlandgemeinden sich zweimal am Tag wie die Sardinen in überfüllte Schulbusse zwängen. Wer es nicht schafft, sich noch irgendwie in den Bus zu quetschen, wird an der Bushaltestelle stehen gelassen und wartet eine Stunde auf den nächsten Bus. Und wenn der ebenso voll ist, noch mal eine Stunde. Aber es sind ja „nur Kinder“ – und die Busfahrt jeden Morgen wird ihnen sicher helfen zu verstehen, warum sie sich anschließend im Sportunterricht nicht nahe kommen dürfen.



    Die offizielle Begründung der kommunalen Verkehrsbetriebe für die Reduzierung der Busse lautet übrigens, dass diese in den Monaten April bis September zu wenig ausgelastet gewesen seien. (Wie denn auch? Die Erwachsenen waren im Home-Office oder in Kurzarbeit und die Schulen geschlossen!)



    Und natürlich stellt auch niemand die Frage, inwieweit es nach 30 Minuten in einem überfüllten Bus noch Sinn macht, in der Schule sofort auf Abstand zu gehen. Wer es täte, liefe Gefahr, gleich als „Coronaleugner“ gebrandmarkt zu werden.

  • 2G
    2284 (Profil gelöscht)

    Naja, ich sags mal so:

    Der Akzeptanz meinerseist wäre massiv geholfen, wenn nicht in der ersten Millionenstadt die den Inzidenzwert gerissen hat, gleich mal ein Massenbesäufnis gefeiert worden wäre (Wirtshaus Wiesn) und jetzt wo, Überraschung, 2 Wochen später die Infektionszahlen hochgehen, ich mir von dem Himbeertoni, der das durchgewinkt hat, im Fernsehen anhören darf, wie ernst die Lage ist.

    Nun ist es leider so, dass ich wahrscheinlich wieder diverses geplantes Absagen darf, damit die besoffenen Untertanen von König Söder ihrer Majestät auch weiter wohlgesonnen sind, und mir gleichzeitig dieses unsagbar peinlich paternalistische gehabe von dieser Nullnummer geben muss.

    Für das Allgmeinwohl macht man natürlich trotzdem mit, aber meine Akzeptanz würde sich locker verdoppeln, wenn Markus Söder einfach die nächsten Monate sein dummes Maul halten würde, wenn er schon nicht bereit ist, darüber zu reden, dass er das zweite Ischgl ausrichten musste, soll er wenigstens still sein und seinen "es ist ja kein Wahlkampf aber irgendwie doch" später führen.

    Solche Aktionen führen natürlich dazu, dass weniger Leute die Regeln ernst nehmen, weil eben die Repräsentaten, die selbige verkünden, sich so verhalten, dass sie null ernst zu nehmen sind.

    Das ist im Falle der CSU natürlich nix neues, aber in der jetzigen Situation halt besonders verheerend.

  • Bundesliga mit Zuschauern gibt es jetzt seit einem Monat wieder. Und seitdem zeigen die Fallzahlen (und die Rate positiver Tests) deutlich nach oben. Besteht da ein Zusammenhang?



    de.wikipedia.org/w...sitiver_Ergebnisse

    Ein Besuch im Stadion ist nun mal kein Theaterbesuch. Da umarmt man sich, da grölt man und feuert die eigene Mannschaft nicht nur mit lautlosen Gebärden an. Auch wenn es viel Frischluft im Stadion gibt - reicht das, in Verbindung mit Masken, für den Infektionsschutz aus?

  • Gut gebrüllt, Boomer!



    Es wäre schön, wenn es diese intergenerationelle Solidarität auch bei den (unzureichenden) Maßnahmen gegen die Erderwärmung geben würde. Aber solange die Gesellschaft dort die langfristigen Interessen der Kinder und Jugendlichen aus Profitgründen hinten anstellt, wirkt diese Forderung etwas schal.

    • @Herr Rübenach:

      Da haben Sie völlig recht! Intergenerationelle Solidarität ist natürlich auch keine Einbahnstraße.

  • Das ist bisher (und das ist traurig) der mit abstand beste Artikel über Corona den ich in der TAZ gelesen haben. Erstmal Danke.

    "Dagegen gibt es ein wirksames Mittel: erklären, erklären, erklären. Es ist Aufgabe der Politik, in solchen Fällen immer wieder unermüdlich den Sinn zu erklären. "

    Das passiert leider nicht. Mundschutz im Freien ist sinnfrei. Und nur die Aufzählung der täglich Infizierten ist Panikmache. Gibt es Aussagen darüber wieviel Menschen Corona überstanden haben und somit zur Herdenimunität beigetragen haben? Davon wird nicht in Kenntnis gesetzt.



    Ich empfehle : www.youtube.com/watch?v=9LWsICgYSMc



    Um es vorab zu sagen, in Minute 20 fragt ein Journalist den Regierungssprecher Seibert nach der derzeitigen Zahl der schwer Erkrankten. Dazu hat Herr Seibert KEINE Zahlen und verspricht sie nachzureichen. Und das bei einer Pressekonferenz von über einer Stunde wo es nur um Corona geht.



    Ich verweise hierzu auf : www.amboss.com/de/wissen/COVID-19

    Grundsätzlich fühle ich mich vera..cht