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Regatta Vendée GlobeDas Mädchen und der König

Bei der härtesten Regatta der Welt sind Violette Dorange und Jean Le Cam jüngste und älteste im Feld. Sie sind chancenlos, doch in Frankreich Stars.

Noch windstill: Beim Start der Vendée Globe am 10. November nahe Les Sables-d’Olonne Foto: Eric Pollet/Hans Lucas/picture alliance

Am 23. November war es so weit: Ihr Navigationsbildschirm zeigt der jungen Französin Violette Dorange, dass sie gerade erstmals in ihrem Leben den Äquator überquert. Während ihre schon betagte Rennyacht „Devenir“ (Werden) per Autopilot Richtung Südatlantik rast, stellt sich die Ingenieurs-Studentin aus der Region La Rochelle mit einer Champagnerflasche vor die Kamera im Cockpit, um den historischen Moment zu filmen.

Der Seefahrttradition entsprechend opfert sie Neptun den ersten Schluck, den sie ins schäumende Heckwasser gießt. Danach tauft sie ihr Schiff, indem sie etwas Champagner auf das Seitendeck kippt. Doch der Fahrtwind ist so heftig, dass die Flüssigkeit das Deck kaum erreicht, sondern waagerecht nach hinten fliegt. Dorange wiederholt deshalb den Vorgang, bevor sie lächelnd einen Schluck aus der Flasche trinkt. All dies postet ihr PR-Team in Frankreich auf ihren Social-Media-Kanälen. Bei Facebook wird der Clip 1,4 Millionen mal geschaut.

Die körperlich kleine Dorange ist mit 23 Jahren die bisher jüngste Teilnehmerin der alle vier Jahre stattfindenden Weltumsegelungsregatta Vendée Globe. Das jetzt in der 10. Auflage stattfindende Rennen allein und nonstop um die Welt, wo für die 45.000 Kilometer um die 80 Tage zu veranschlagen sind, gilt als härteste Regatta der Welt. Dorange hat dabei gegen die erfahrenen Profisegler auf neuesten Hightechbooten mit Tragflächen (Foils) keine reelle Chance. Aber darum geht es ihr jetzt auch nicht.

In einem Interview sagte sie, sie wolle vor allem im Ziel ankommen. Das ist in der Tat eine große Leistung angesichts der enormen Strapazen für die Skipper und Boote, von denen oft bis zu einem Drittel aufgeben. Es sei ihr Wunsch gewesen, an dieser Regatta teilzunehmen, seit sie als Kind im Hafen von Les Sables-d’Dolonne den Renn­yachten beim Auslaufen zugesehen hatte. Als sie jetzt dort erstmals selbst auslief und ihr dabei Zehntausende zujubelten, kamen ihr die Tränen.

„Segelnde Influencerin“

Dorange räumte auch schon mal ein, sich in kritischen Situationen an Bord mit Videos ihrer Dackel zu beruhigen. Doch würde niemand Dorange als Weichei bezeichnen. Vielmehr ist ihre jugendliche Art, die manchmal schon an Naivität grenzt, erfrischend gegenüber den eher verstockten bretonischen Teilnehmern dieses Rennen. Viele, die sich sonst nicht fürs Segeln interessieren, haben ihre Social-Media-Kanäle abonniert. Die Zeitung Le Parisien bezeichnete Dorange als „Inspiration für die Menschen“ und als „neue Braut des Atlantiks“.

In Frankreich kennt fast jedes Kind Doranges Leistungen. Man mag sie für eine „segelnde Influencerin“ halten, die etwa bei Instagram für eine Seglerin rekordverdächtige 377.000 Follower hat, also doppelt so viele wie der medienaffine deutsche Segelstar Boris Herrmann oder etwas mehr als die Vendée Globe selbst. Aber auch Frankreichs traditionelle Medien berichten viel über sie, Le Monde etwa einmal die Woche mit einem Exklusivbeitrag.

Niemand bezweifelt, dass Dorange sehr gut und mit großer Ausdauer segeln kann. Mit 13 nahm sie an ihrer ersten Weltmeisterschaft teil, mit 15 segelte sie als erstes Mädchen in 15 Stunden mit einem winzigen Kinderboot vom Typ Optimist über den Ärmelkanal, ein Jahr später überquerte sie auf gleiche Art die Straße von Gibraltar. In der internationalen Jugendjolle 420er landete sie bei Weltmeisterschaften teils auf Podien. Zuletzt erforderten die Vorbereitungen auf die Vendée die Teilnahme an Qualifikationsregatten, etwa über den Atlantik.

Noch im Frühjahr wäre Doranges Traum fast geplatzt, weil sie Mühe hatte, Sponsoren zu finden. Inklusive Boot kostet die Teilnahme mindestens einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag. Jetzt wird Dorange von französischen Franchisenehmern einer amerikanischen Hamburgerkette unterstützt. Die dürften sich neben einer Kinderhilfsorganisation, für die sie kostenlos wirbt, freuen, dass sie der Jungstar der Vendée Globe ist, die zu Frankreichs großen Sportevents zählt.

Rettung in Seenot

Dorange profitiert stark von ihrer Freundschaft zu Jean Le Cam. Der 65-jährige Lockenkopf aus dem bretonischen Quimper ist ihr technischer Berater und Mentor und der älteste und zugleich Rekordteilnehmer des Rennens. Er segelt jetzt seine sechste Vendée. Le Cam sagt über Dorange, er sei von dieser „kleinen Frau mit dem klugen Kopf“ begeistert: „Ihre Leidenschaft für den Wettkampf, ihr Engagement und ihre Ausdauer bei sehr anspruchsvollen Rennen sprechen für sie.“

Dorange segelt jetzt das Boot, mit dem Le Cam beim vorigen Mal vierter und davor sechster wurde. Er ist sehr erfahren und eine so kauzige wie originelle und hilfsbereite Persönlichkeit. Weil er bei anderen Hochseerennen sehr gut abgeschnitten hatte, bekam er irgendwann den Spitznamen „Le roi“ (Der König). Der Freigeist genießt in Frankreich großen Respekt.

Beim letzten Mal rettete Le Cam einen Konkurrenten aus Seenot. Dessen Boot war südwestlich von Kapstadt zerbrochen und in wenigen Minuten gesunken. Dem Skipper war es noch gelungen, einen Notruf abzusetzen und in eine Rettungsinsel zu springen. Le Cam war einige Stunden entfernt und erreichte nachts die Unglücksstelle. Bei meterhohen Wellen fand er sogar den Havaristen, doch bekam er ihn nicht an Bord und verlor ihn dann wieder aus den Augen. Erst Stunden später fand er ihn erneut und konnte ihn retten. Staatspräsident Emmanuel Macron gratulierte per Satellitentelefon und schickte bald eine im Indischen Ozean kreuzende Fregatte, die den Geretteten übernahm. Später, wieder in Frankreich, wurde der neue Nationalheld Le Cam in die Ehrenlegion aufgenommen.

Er selbst muss bei der Rettung ein schreckliches Déjà-vu gehabt haben. Denn bei der Vendée Globe 2008/2009 hatte sein Boot westlich von Kap Horn den Kiel verloren und war gekentert. Le Cam harrte im Rumpf aus, bis er nach 16 Stunden von einem Konkurrenten gerettet wurde. Es war ausgerechnet der, der ihm beim Rennen zuvor um nur 7 Stunden den Sieg genommen hatte.

Lieber ohne riskante Foils

Le Cams bisheriges Boot segelt jetzt Dorange, während er sich ein neues bauen ließ. Gemeinsam ist den Booten, dass sie keine Foils haben, also auf die modernen Tragflächen verzichten, die rechts und links aus dem Rumpf ragen und ihn, bei entsprechendem Wind, aus dem Wasser hebend beschleunigen. Doch bei weniger Wind bremsen sie und bei höheren Wellen kann das Boot immer wieder von den Foils stürzen, was das Segeln stressig und gefährlich macht. Le Cam hält nichts von den Foils, mit denen jetzt 24 der 40 gestarteten Boote ausgestattet sind. Ohne Foils glaubt er aber auch nicht an einen Sieg und sagte vor dem Start, er wäre zufrieden, wenn er weniger als 80 Tage brauche.

In den Leichtwindbedingungen der ersten Tage und weil er fast als einziger östlich der ­Kapverden blieb, lag Le Cam sogar mal kurz auf Platz eins, Dorange auf Rang drei. Doch das ist längst vorbei. Ins­besondere der stärkere Wind der vorigen Woche bei gleichzeitig ­niedrigen Wellen begünstigte die jüngste Generation der Foiler. Sie rasen derzeit in Richtung des südafrikanischen Kaps der Guten Hoffnung. Schon mehrfach wurde dabei der 24-Stunden-Geschwindigkeitsrekord für solo gesegelte Einrumpfboote gebrochen. Der letzte liegt jetzt bei 615,33 Seemeilen oder 1.139,6 ­Kilometern.

Während das Führungquartett am Wochenende die Südspitze Afrikas erreichen und dann Richtung Indischer Ozean abbiegen wird, haben die dahinter folgenden Konkurrenten weniger Wind und deshalb den Anschluss verloren. Le Cam lag am Freitagmorgen auf Rang 21 mit 1.880 Seemeilen Rückstand hinter dem ersten, Dorange liegt auf Platz 25 rund 40 Seemeilen hinter ihm. So nahe beieinander segeln sie schon einige Tage, was Doranges Können zeigt.

Durchgerüttelt und herumgeschleudert

Für beide spricht, dass sie zum Spitzentrio unter den 16 Non-Foilern zählen. Der für sie derzeit etwas geringere Wind macht für sie das Segeln ­entspannter, aber eben auch langsamer. ­Während sich Dorange beim Haare­waschen auf dem Achterdeck filmt, den Koch ihres vorab bereiteten Essens lobt, ihren Käse in die Kamera hält und berichtet, welche Bücher sie schon gelesen hat, haben die Führenden viel härtere Bedingungen.

Sie sitzen mit Helm oder angeschnallt im nervenaufreibenden Krach der Kajüte, in der sie mächtig durchgerüttelt und umhergeschleudert werden, was entsprechende Verletzungsgefahren mit sich bringt. Sie können nur hoffen, das sie nichts reparieren müssen, weil das unter diesen extremen Bedingen kaum möglich wäre.

Dorange geht davon aus, dass sie und Le Cam erst am Mittwoch das Kap der Guten Hoffnung passieren werden. Im Südlichen Ozean werden dann auch für sie die Bedingungen wieder härter. Le Cam hat die Vendée Globe als seine Schicksalsregatta bezeichnet und angedeutet, das dies für ihn die letzte sein dürfte.

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