Refugee-Karawane Tagebuch (6): Ein Mangel an Freiheit, ein Mangel an Würde
Waschen nur zwischen 6 und 8 Uhr früh, ein Leben nach dem Plan anderer: In Leipzig sprechen Geflüchtete über die Fremdbestimmung im Asyl-Lager.

Der Mittwoch ist unser Tag in Sachsen. Es ist wieder sehr kalt, der Himmel bewölkt. Ich nehme eine Tasse Kaffee und meinen Laptop und gehe zum Feuer, um mich aufzuwärmen. Ein paar Minuten später sind alle aufgewacht. Ich bin froh: Ich bekomme viel Lob und dankbare Rückmeldungen zu dem Tagebuch, das in der taz online veröffentlicht wird. Als wir verstanden haben, dass viele Menschen es lesen, haben alle „Wow, herzlichen Glückwunsch!“ gerufen und mich umarmt. Das war „meine Morgenenergie“, eine Energie, die mich bis zum Ende der Karawane begleiten wird.
Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.
Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.
Nach dem Frühstück fahren wir mit den Autos nach Grünau, einem Stadtteil von Leipzig, in dem viele Migrant:innen leben. Auf dem Marktplatz an der Stuttgarter Allee bauen wir unsere Zelte und Stände auf, schmücken den Platz mit Transparenten und Aufklebern mit kühnen Slogans.
Das Wetter ist kalt, aber schön. Hunderte Menschen versammeln sich auf dem Platz. Trong Duc Do arbeitet hier in Leipzig-Grünau bei „Perspectives“. Die Organisation bietet in den Lagern hier Beratung an. Er übernimmt die Moderation.
Hassan von Welcome United spricht zur Eröffnung. „Unsere Kämpfe hier stehen wir auf den Schultern vieler Kämpfe, die vor uns stattgefunden haben“, sagt er. Grünau sei ein Ort, an dem viele Migrant:innen leben, die Rassismus ausgesetzt seien. „Deshalb ist es für uns sehr wichtig, hier zu sein.“
Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.
Hassan erinnert daran, dass die Karawane sich als Teil einer transnationalen Bewegung versteht. „Wir sind viele, wir sind verbunden“, sagt er. Die Rechte habe immer mehr an Einfluss gewonnen. „Aber wir sind mehr. Wir verbinden unsere Kämpfe, wir bauen ein lebendiges Archiv des Widerstands auf.“
Dann spreche ich – über die Bezahlkarte. Ich sage, was sie ist: Ein Instrument rassistischer Diskriminierung. Ich schildere, welche Herausforderungen es für mich bedeutete, die Karte nutzen zu müssen. Ein lokales Kollektiv kündigt an, Geflüchteten in Grünau die Karte gegen Bargeldtausch zu tauschen. Immer mehr solcher Initiativen werden derzeit gegründet.
Orte, wie gemacht für Kriminelle
Ein Podium mit Flüchtlingen aus den Lagern folgt. Es gibt keinen Zugang zu angemessenen Hygieneartikeln, in einigen Lagern sind die Toiletten weit von ihren Schlafplätzen entfernt, berichten sie. Vier bis acht Personen teilen sich einen Schlafraum. Es seien Orte, wie gemacht für Kriminelle.
Einer der Diskutanten ist Eric. Seit vier Jahren lebt er als Asylsuchender in Deutschland, durchgängig im Lager. „Ich würde gerne arbeiten, aber ich darf nicht.“ Gegen solche Probleme müssten die Geflüchteten sich selbst zu Wort melden. „Wir müssen aktiv werden. Und ich fühle mich geschützt, wenn ich dazu bei Euch bin.“
Dann spricht Almaz. „Ich nenne es nicht Lager, ich nenne es Gefängnis“, sagt er. „Das Personal behandelt uns unhöflich, als wären wir Kriminelle.“ Wegen Nichtigkeiten kämen Sicherheitsleute oder gar die Polizei. Das Leben sei fremdbestimmt, alles sei durchprogrammiert.
„Zwischen 6:00 und 8:00 Uhr dürfen wir uns waschen. Wenn man das verpasst, gibt es erst am Nachmittag noch einen weiteren Termin. Es gibt auch eine feste Zeit, zu der wir essen müssen. Wir haben keine Wahlfreiheit“, sagt ein Geflüchteter namens Hakim. Ein Mangel an Freiheit, das eigene Leben zu gestalten und ein Mangel an Achtung der Würde – das bedeute das Leben im Lager, so sehen es die drei auf dem Podium.
Das Tagebuch wird fortgesetzt.
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