Reform von Strafverfahren: Trojaner okay, Lockspitzel nicht
Eine Kommission der Bundesregierung schlägt umfassende Änderungen des Strafverfahrens vor. Die wichtigsten Vorschläge im Überblick.
Schon im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, dass sie das Strafverfahren „effektiver und praxistauglicher ausgestalten“ wollen. Zu diesem Zweck hat Justizminister Maas im Juli 2014 eine 21-köpfige Reformkommission aus Professoren, Richtern, Staatsanwälten, Strafverteidigern und Ministerialbeamten eingesetzt. An diesem Dienstag wird die Kommission ihren 179-seitigen Bericht mit Dutzenden Empfehlungen vorstellen. Hier die wichtigsten Vorschläge aus dem Bericht, der der taz vorliegt.
Agents provocateurs: Der Einsatz polizeilicher Lockspitzel soll ausdrücklich gesetzlich verboten werden. Für Beweise, die aus der staatlichen Tatprovokation entstehen, soll es ein Verwertungsverbot geben. Bisher war die staatliche Anstiftung „nicht tatgeneigter Personen“ nur von der Rechtsprechung untersagt. Die Rechtsfolgen bei Verstößen waren umstritten.
Trojaner: Verschlüsselte Telefonate und E-Mails können von der Polizei nur überwacht werden, wenn sie Spähsoftware (Trojaner) in einen der beteiligten Computer einschmuggelt. Man spricht von Telekommunikationsüberwachung an der Quelle („Quellen-TKÜ“). Bisher gab es für die Strafverfolgung keine explizite gesetzliche Grundlage, die Bundesanwaltschaft verzichtete daher auf solche Maßnahmen. Auch die Reformkommission hält eine gesetzliche Norm für erforderlich (und will sie einführen), weil die Manipulation des Computers ein zusätzlicher Eingriff neben der Überwachung sei.
V-Leute: Der Einsatz von V-Leuten bei der Polizei soll gesetzlich geregelt werden. Bisher gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis, Privatpersonen als Spitzel bei der Strafverfolgung einzusetzen. Dies wurde bisher nur auf die „Ermittlungsgeneralklausel“ gestützt. Erst in diesem Jahr hat der Bundestag den V-Leute-Einsatz beim Bundesamt für Verfassungsschutz detailliert geregelt. Konkrete Vorschläge für die V-Leute der Polizei macht die Reformkommission aber nicht.
Blutabnahme: Für die Blutabnahme bei Straßenverkehrsdelikten soll künftig die Anordnung der Staatsanwaltschaft genügen. Der Richtervorbehalt soll entfallen, weil der Richter eh nicht prüfen konnte, was ihm die Polizei telefonisch über Alkoholgeruch, Fahrfehler und sonstige Ausfallerscheinungen mitteilte. Dies würde Ermittlungsrichter stark entlasten.
Polizeiliche Vernehmung: Bisher müssen Zeugen nicht erscheinen, wenn die Polizei sie vorlädt. Nur eine Vorladung bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht ist verpflichtend. Künftig soll die Staatsanwaltschaft anordnen können, dass ein Zeuge bei der Polizei erscheinen muss. Im Gegenzug soll ein Verteidiger bei der polizeilichen Vernehmung ausdrücklich ein Anwesenheitsrecht erhalten.
Aussagen auf Video: Bei schweren Tatvorwürfen und in komplizierten Fällen sollen die Aussagen von Beschuldigten und Zeugen im Ermittlungsverfahren in der Regel per Video aufgezeichnet werden. Der Verzicht auf solche technischen Möglichkeiten sei „nicht mehr zeitgemäß“, so die Reformkommission. Eine authentische Videoaufzeichnung sei den bisherigen Ergebnisprotokollen weit überlegen. Es bestehe die Erwartung, dass sich Vernehmungsbeamte, wenn sie gefilmt werden, eher an die Regeln halten. Sie könnten sich aber auch leichter gegen Vorwürfe wehren, sie hätten Aussagen durch unzulässigen Druck erreicht.
Nebenkläger: Gerichte stoßen an die „Grenze des prozessual Machbaren“, wenn wie beim NSU-Prozess in München Dutzende von Nebenklägern mit jeweils eigenen Anwälten teilnehmen. Die Kommission will deshalb den Vorsitzenden Richtern in solchen Verfahren erlauben, die Nebenkläger zu Gruppen mit „gleichartigen Interessen“ zusammenzufassen. Diese sollen dann jeweils von einem Anwalt als „Gruppenrechtsbeistand“ vertreten werden.
Befangenheitsanträge: Künftig soll es nicht mehr möglich sein, den Prozessauftakt durch einen kurzfristigen Befangenheitsantrag gegen die Richter hinauszuschieben. Im Interesse der öffentlichen Wahrnehmung des Prozesses soll die Staatsanwaltschaft zunächst wie geplant die Anklage verlesen. Erst anschließend soll über den Befangenheitsantrag entschieden werden. Damit Befangenheitsanträge während des Prozesses nicht mehr zur bloßen Verzögerung genutzt werden können, soll das Gericht künftig auch Schriftform verlangen können. Unliebsame Anträge könnten dann im „Selbstleseverfahren“ in den Prozess eingeführt werden.
Beweisanträge: Bisher können Angeklagte und ihre Verteidiger bis kurz vor der Urteilsverkündigung neue Beweisanträge stellen. Solche Anträge werden insbesondere in Wirtschafts- und Politverfahren zur Verzögerung genutzt, so die Kommission. Künftig soll der Vorsitzende Richter nach Abschluss der Beweisaufnahme eine „angemessene Frist“ für die Stellung von letzten Beweisanträgen bestimmen können. Kommt ein Antrag nach Ablauf dieser Frist, soll die Ablehnung im Urteil genügen; das heißt, die Urteilsverkündung könnte nicht mehr behindert werden. Eine Ausnahme soll gelten, wenn die Verspätung „entschuldigt“ ist, etwa weil sich ein neuer Zeuge erst kurz vor Prozessende meldet.
Wiederaufnahme: In jüngster Zeit sorgten mehrere spektakuläre mutmaßliche Fehlurteile (etwa im Fall des Lehrers Horst Arnold, der wegen einer wohl erfundenen Vergewaltigung verurteilt worden war) für Aufsehen. Deshalb wurde der Ruf laut, die Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren zu erleichtern. Die Reformkommission hat dies nun jedoch abgelehnt. Sie sei nicht überzeugt, dass es derzeit große Defizite gibt. Auch die Wiederaufnahme zulasten eines Freigesprochenen lehnte die Kommission ab. Diskutiert wurde dies für Fälle, in denen ein nachträglich möglich gewordener DNA-Abgleich den früheren Freispruch widerlegt.
Es ist zu erwarten, dass das Justizministerium (BMJV) viele der Vorschläge aufgreift. Schließlich wurde die Kommission von Marie Luise Graf-Schlicker geleitet, einer hochrangigen BMJV-Beamtin.
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