Reform der Strafverfahren: Hautfarbensuche per DNA-Test
Die Koalition will das Strafprozessrecht „modernisieren“. DNA-Analysen werden erweitert, einige Rechte der Strafverteidiger eingeschränkt.
Berlin taz | Der Bundestag beschließt in dieser Woche eine Reform des Strafprozessrechts mit zahlreichen Einzelpunkten. Die etwas großspurige Überschrift lautet: „Modernisierung des Strafverfahrens“. An diesem Mittwoch hat der Rechtsausschuss dem Paket zugestimmt. Am Freitag soll das Gesetz im Plenum beschlossen werden. Hier die wichtigsten Änderungen:
DNA-Analyse auf äußere Merkmale
Das ist die wohl spektakulärste Änderung. Aus Tatortspuren wie Blut oder Sperma soll die Polizei künftig Hinweise auf das Aussehen und das Alter eines unbekannten Täters gewinnen können. Damit solle der Kreis der potenziell Verdächtigen eingegrenzt werden. Allerdings kann diese erweiterte DNA-Analyse nur mehr oder weniger ungenaue Prognosen liefern.
Dass der Täter weiße Hautfarbe hat, kann mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit vermutet werden, bei blonden Haaren liegt die Genauigkeit nur bei 70 Prozent. Die Polizei dürfte das Instrument vor allem nützlich finden, wenn es um in Deutschland noch eher seltene Merkmale wie eine dunkle Hautfarbe geht. Eine Stigmatisierung sei damit aber nicht verbunden, denn auch die Zeugenaussage, dass ein Täter dunkelhäutig war, darf verwendet werden, heißt es.
Abhören bei Einbruchdiebstahl
Auf Wunsch der CDU/CSU kann die Polizei künftig auch die Telekommunikation (Telefon, E-Mail, Messengerdienste) einer Einzelperson überwachen, die als Täter von Wohnungseinbrüchen verdächtigt wird. Bisher war dies nur bei Einbruchsbanden möglich. Als Kompromiss mit der SPD wird diese Befugnis auf fünf Jahre befristet.
Aufzeichnung von Vernehmungen
Wenn erwachsene Opfer von Sexualstraftaten im Ermittlungsverfahren richterlich vernommen werden, wird dies künftig in geeigneten Fällen per Video aufgezeichnet und später in der Hauptverhandlung abgespielt. So soll dem Opfer eine mehrfache Aussage erspart werden. Bisher war dies nur bei kindlichen und jugendlichen Opfern von Sexualstraftaten vorgesehen.
Nebenklage bei Sexualstraftaten
Künftig haben Opfer von Sexualstraftaten nicht erst dann Anspruch auf einen Rechtsbeistand, wenn die Tat als Verbrechen (Mindeststrafe ein Jahr) gilt, sondern auch bei „besonders schweren Vergehen“. Gemeint ist insbesondere die sexuelle Penetration, bei der die erkennbare Ablehnung des Opfers übergangen wurde, ohne dass der Täter dabei Gewalt angewandt oder mit Gewalt gedroht hat.
Bündelung der Nebenklage
Im NSU-Prozess wurden 95 Nebenkläger von 60 Anwälten vertreten. Im Prozess um die Duisburger Loveparade waren es 36 Anwälte für 61 Nebenkläger. Künftig soll in solchen Massenverfahren nicht mehr jeder Nebenkläger Anspruch auf einen eigenen Rechtsbeistand haben. Vielmehr sollen bei „gleichgelagerten Interessen“ die Nebenkläger einen gemeinsamen Rechtsbeistand erhalten.
Burkaverbot
Angeklagte, Zeugen und andere Verfahrensbeteiligte dürfen künftig im Gerichtssaal ihr Gesicht nicht mehr „verhüllen“. Dies betrifft sowohl Burkas (mit einem Sichtgitter) als auch Nikabs (mit Sehschlitzen). Wenn die Identitätsfeststellung und die Beweiswürdigung nicht gefährdet sind, kann der Vorsitzende Richter Ausnahmen zulassen. Das neue Verbot ist eher symbolisch. Schon bisher konnte der Vorsitzende Richter bei Bedarf die Abnahme einer Gesichtsverhüllung verlangen. V-Leute, Verdeckte Ermittler und Personen im Zeugenschutzprogramm dürfen sich zum Schutz ihrer Identität weiter mit Sonnenbrillen, Perücken und falschen Bärten tarnen.
Mutterschutz und Elternzeit
Wenn eine Richterin während des Prozesses schwanger wird, kann der Prozess künftig für die Geburt zwei Monate lang unterbrochen werden, ohne dass er platzt. Das Gleiche gilt, wenn ein Richter oder eine Richterin Elternzeit nimmt. Anwälte kritisierten, dass U-Häftlinge deshalb länger hinter Gitter bleiben müssen.
Ablehnung von Beweisanträgen
Wenn ein Beweisantrag nach Ansicht des Gerichts in der Absicht gestellt wurde, den Prozess zu verschleppen, kann er künftig in einem vereinfachten Verfahren abgelehnt werden. Es kommt auch nicht mehr darauf an, dass der Antrag geeignet ist, eine „erhebliche“ Verzögerung zu verursachen. Vor allem gegen diesen Punkt hatten Anwaltsverbände protestiert.
Fortsetzung trotz Befangenheitsantrags
Ein Richter, gegen den ein Befangenheitsantrag gestellt wurde, kann künftig noch zwei Wochen weiterverhandeln. Nur wenn dem Befangenheitsantrag stattgegeben wird – was die große Ausnahme ist –, muss das zwischenzeitliche Prozessgeschehen ohne den abgelehnten Richter wiederholt werden.
Audiovisuelle Aufzeichnungen
Zur Enttäuschung der Opposition verzichtete die Koalition darauf, die Dokumentation von Strafprozessen durch Ton- und/oder Videoaufnahmen anzuordnen. Solche Aufzeichnungen sollen helfen, Fehlurteile zu vermeiden. Die SPD setzte jedoch durch, dass die Bundesregierung demnächst eine Expertengruppe zu diesem Thema einberuft. „Falls dann in einem ersten Schritt Tonaufzeichnungen vorgesehen werden, wäre das schon ein großer Erfolg“, meint Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD.
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