Reform der Erwachsenenbildung in Hamburg: Nur noch mit Vorgespräch
Wer in Hamburg auf eine Abendschule will, muss künftig eine „Eingangsberatung“ absolvieren. Ferner werden die drei Abendschulen zusammengelegt.
![Drei Personen sitzen am Computer und gucken konzentriert Drei Personen sitzen am Computer und gucken konzentriert](https://taz.de/picture/5741953/14/S22-4sp-4c-1.jpg)
Das Projekt „Zentrum für Erwachsenenbildung“ hat aber nicht nur Freunde. „Bei uns hat dieser ganze Prozess zu viel Reibung geführt“, sagt Daniel Thieme, Schulsprecher der „Abendschule vor dem Holstentor“. Er vermutet, es gehe dem Senat letztlich darum, das schöne alte Gebäude, in dem seine Abendschule untergebracht ist – direkt neben den Hamburger Gerichten – frei zu bekommen und Geld zu sparen.
Rabe sagte bei der Vorstellung der Pläne: „Das neue Gebäude ist groß und bietet mehr Schülerinnen und Schülern Platz als die drei anderen Gebäude zusammen“. Er hoffe, mit dem neuen Angebot mehr Menschen anzusprechen. Denn zuletzt war die Schülerzahl der drei Schulen im Vergleich zu vor zehn Jahren von 1.571 auf 1.215 gesunken. Das neue Zentrum sei für 1.400 Schüler ausgelegt.
Der Senator führt diesen Trend auch auf die hohe Abbruchquote zurück. Nur rund die Hälfte erreiche das Abitur, den mittleren Bildungsabschluss knapp 60 Prozent. Künftig soll deshalb nun eine „verbindliche Eingangsberatung“ der Aufnahme vorgeschaltet sein. Bei dieser Beratung, so heißt es in der dazugehörigen „Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft“, soll die Motivation des Bewerbers „reflektiert“ und die Anforderung an den Bildungsgang „verdeutlicht“ werden. Und es sollen „gegebenenfalls Alternativen“ aufgezeigt werden, etwa in der beruflichen Bildung. Teil der Beratung können dann auch „Tests“ sein, etwa für die Planung von Förderung.
Hohe Abbruchquoten ein bundesweites Phänomen
Es ist vor allem diese Eingangsberatung – ursprünglich schrieb die Behörde sogar von „Eingangsprüfung“ – die den Schulsprechern ein Dorn im Auge ist. Daniel Thieme, der mit 28 Jahren noch mal die Schulbank drückt und kurz vorm Abitur steht, sagt: „Ich befürchte, dass hier Menschen abgeschreckt werden.“ Auch die Linke teilt die Sorge: „Das sieht aus wie eine Eingangs-Abratung“, sagt Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus.
Dabei räumt auch Rabe ein, dass hohe Abbruchquoten im zweiten Bildungsweg ein bundesweites Phänomen sind. Für Erwachsene ist ein Schulbesuch herausfordernd, weil sie arbeiten und teils schon Familie haben.
Ties Rabe sagt nun, er wolle die Unterstützung ausbauen und den Unterricht „zeitlich flexibilisieren“. Bisher fand der mit Rücksicht auf Berufstätige vor allem abends statt. Künftig solle es auch vormittags Unterricht geben, zum Beispiel für Alleinerziehende, deren Kinder in der Kita sind.
Geplant sei, dass Unterrichtsangebote in zeitlich wählbare „Module“ gegliedert werden. Die Schule bekomme ein „Selbstlernzentrum“. Für entsprechend motivierte gebe es die Klasse „Abitur online“, in der 40 Prozent des Unterrichts digital stattfinden.
Thieme und sein Sprecherteam sehen das kritisch. Die meisten Abendschüler bräuchten die Klasse und kämen mit Online-Unterricht nicht gut zurecht. Die Pläne sprächen zudem dafür, dass das neue Haus doch zu klein für alle Schüler sein könnte.
Nach dem Platz gefragt, erklärt Rabes Sprecher Peter Albrecht, in dem neuen Schulhaus könnten gleichzeitig 920 Schüler lernen, in 40 Lerngruppen à 23 Personen – und das den ganzen Tag von 8 bis 22 Uhr. An den jetzigen Standorten sind die Räume zeitweise belegt. Die Abendschule St. Georg teilt sich sogar die Räume mit einer Stadtteilschule.
Gleichwohl, in der Zeit am frühen Abend von 17.30 Uhr bis 19 Uhr lernen aktuell 49 Klassen an den bisherigen Standorten gleichzeitig, das räumt die Behörde ein. Für die für Abendschulen wichtige Zeit fehlt also künftig etwa ein Fünftel des Platzes.
Das Zentrum soll am 1. Februar starten. Sollte der Raumbedarf nicht durch „Änderungen im Stundenplan“ oder „Zuschnitt der Lerngruppen“ sinken, so finde der Unterricht vorübergehend in „Mitnutzung“ an einer weiteren Schule statt, teilt Albrecht mit.
„So viel ich weiß, ist das Gebäude schlicht zu klein“, sagt die Abgeordnete Boeddinghaus. Auch sie vermutet hinter dem Zentrum ein Sparprogramm, fielen doch nebenbei auch noch zwei Schulleitungsstellen weg. Sie kritisiert zudem, dass sich nicht mit den Schulen gemeinsam über ein Konzept verständigt worden sei und eine wissenschaftliche Analyse fehle. Dem Senat ginge es wohl vor allem darum, das schöne Gebäude frei zu kriegen, in das die Justiz ziehen soll.
Auch Hamburgs Lehrerkammer kritisiert, das Konzept sei nicht ausreichend mit den Kollegien der drei Schulen erarbeitet worden. Die würden ihre Schüler schließlich am besten kennen.
Der Landesvorsitzende der GEW, Sven Quiring, weist auf einen weiteren Punkt hin. Weil das neue Zentrum rechtlich keine Fusion sondern eine Neugründung ist, werden mit den Schulen auch deren Personalräte aufgelöst und können den Übergang nicht begleiten. „Wir werden den Prozess genau im Auge behalten“, sagt Quiring. Zum Beispiel würde bei einer Flexibilisierung der Unterrichtszeit auf 8 bis 22 Uhr nicht klar, wie mit der Arbeitszeit der Lehrkräfte umgegangen wird. Bei aller Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Erwachsenenbildung, sagt Quiring, „die Bedingungen für Lernende und Lehrende dürfen sich nicht verschlechtern“.
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