Referendum in Katalonien: Zwei Züge, voll in Fahrt
Die Katalanen bestehen darauf, über eine Unabhängigkeit abzustimmen. Die spanische Regierung setzt alles daran, die Wahl zu verhindern.
Die Gardisten sollen dort am Sonntag verhindern, dass das von der Autonomieregierung in Barcelona angesetzte Unabhängigkeitsreferendum stattfindet. Das Verfassungsgericht hat die Abstimmung für illegal erklärt. Die Stimmung ist gerade an vielen Orten sehr aufgeheizt, und das lässt wenig Gutes erwarten.
Unter den Jubelspaniern waren auch Mitglieder des Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy. In Guadalajara beteiligte sich selbst der konservative stellvertretende Bürgermeister Jaime Carnicero am Abschied der Polizisten. „Unsere Guardia Civil wird die Freiheit in Katalonien verteidigen. Ganz Spanien steht hinter ihr“, sagt er. In Vororten Madrids lässt die PP Spanienfahnen verteilen, mit der Aufforderung, sie an den Balkonen anzubringen. Die durch Korruptionsvorwürfe schwer angeschlagene Partei nutzt die Katalonienkrise, um die Skandale vergessen zu machen.
Rajoy setzt auf Justiz und Polizei, um die Abstimmung zu verhindern. Tausende Beamte der Nationalpolizei und der Guardia Civil wurden nach Katalonien verlegt. Für ihre Unterbringung wurden die Kreuzfahrt- und Fährschiffe „Rhapsody“, „GNV Azzurra“ und „Moby Dada“ gechartert. Sie liegen in den Häfen von Barcelona und Tarragona.
Die Generalstaatsanwaltschaft verfolgt über 700 Bürgermeister, die das Referendum unterstützen. Die Guardia Civil nahm 14 Mitglieder der Autonomieregierung fest, beschlagnahmte Millionen von Plakaten, Flugblättern und Stimmzetteln. Das höchste Strafgericht Spaniens, die Audiencia Nacional, ermittelt gegen friedliche Demonstrationen wegen „sedición“, Aufstandes. Polizei und Guardia Civil sind auf der Suche nach allem, was der Auszählung der Stimmen dienen soll.
Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra wurde angewiesen, die Schulen zu versiegeln. Wo dennoch eine Urne aufgestellt wird, sollen sie die Identitäten der Wahlhelfer feststellen. Der Chef der Mossos, Josep Lluís Trapero, will den Anweisungen nur bedingt Folge leisten. Er befürchtet, dass die Schließung der Schulen zu Unruhen führen könne. „Die Ausführung von Befehlen befreit nicht von der Verantwortung zu überprüfen, ob die Umsetzung dieser Befehle nicht unerwünschte Konsequenzen haben kann“, ließ er twittern und läuft nun selbst Gefahr, wegen Befehlsverweigerung belangt zu werden.
Kaum Platz für Zwischentöne
Der Präsident der katalanischen Autonomieregierung Generalitat de Catalunya, Carles Puigdemont, versichert: „Die Katalanen werden abstimmen.“ Die Hafenarbeiter beschlossen, die Hotelschiffe der Polizeikräfte nicht zu versorgen. Schüler und Studenten streiken. Sie verlangen, dass ihre Schulen als Wahllokal dienen. Zehntausende haben sich als freiwillige Wahlhelfer eingetragen.
Es ist die Stunde der Erklärungen und der Manifeste. Der FC Barcelona verteidigt in einem Kommuniqué „die katalanische Nation, die Demokratie und das Recht auf Redefreiheit und das Selbstbestimmungsrecht“. Nationalspieler Gerard Piqué hofft auf eine friedliche Abstimmung und Trainer Pep Guardiola macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Unabhängigkeit.
Über 600 katalanische Schriftsteller unterstützen das Referendum, 1.400 Professoren und Wissenschaftler und 300 Priester verlangen ebenfalls das Recht, frei zu entscheiden. Ihnen gegenüber stehen 230 Uni-Professoren aus dem restlichen Spanien, die Ministerpräsident Rajoy auffordern, alle verfassungsgemäßen Mittel einzusetzen, „um die demokratischen Institutionen und die Einheit der spanischen Nation zu wahren“.
Über 2.000 namhafte Persönlichkeiten veröffentlichten eine Erklärung, in der sie das Referendum als „undemokratischen Betrug“ bezeichnen, unter ihnen die katalanische Regisseurin Isabel Coixet.
Für Zwischentöne ist kaum Platz. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, sowie die linksalternative Partei Podemos versuchen, mit einem „Manifest für Freiheit, Brüderlichkeit und Zusammenleben“ einen Dialog anzuregen – die Zentralregierung in Madrid solle mit der Generalitat und mit allen politischen Akteuren kommunizieren, heißt es da.
Ein halb unabhängiger Staat?
„Die repressive Aktion wird nicht zur Lösung führen“, warnt auch der ehemalige Richter Baltasar Garzón. Der Jurist, der sich durch den Fall des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet international einen Namen machte, warnt: „Die Einschränkung des Demonstrationsrechts wird sich auf ganz Spanien ausweiten.“ Auch für Garzón muss „die Lösung des katalanischen Konfliktes politisch und nicht juristischer Natur sein.“
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Während in Katalonien alles auf den „Zusammenprall zweier Züge“ – wie die Presse den Konflikt zwischen Barcelona und Madrid nennt – wartet, ziehen andere bereits ihre Schlussfolgerungen. Die Ratingagentur JP Morgan warnt die Investoren davor, ihr Geld in Spanien anzulegen. Die Lage sei zu instabil. Katalonien stellt ein Fünftel der spanischen Wirtschaft.
JP Morgan-Direktor Marco Protopapa empfiehlt der spanischen Regierung „eine vollständige Revision der Verfassung“. In einem Brief schreibt Protopapa, Katalonien würde sich mit mehr Zugeständnissen durch Madrid dem Status eines halb unabhängigen Staates innerhalb einer Föderation annähern, damit würde die Provinz abgesehen von einer eigenen Fahne kaum noch etwas von einer Abspaltung haben.
Rajoy möchte davon nichts wissen. Und Puigdemont wirbt weiter für die Unabhängigkeit. Zwar schließt der Katalane mittlerweile eine unverzügliche einseitige Unabhängigkeitserklärung nach der Abstimmung aus, spricht aber von einer Übergangsphase, in der mit Madrid und Brüssel verhandelt werden solle.
Kompromiss droht zu scheitern
Rajoys Politik stößt bei vielen Spaniern auf Sympathie, doch im Parlament wird die Lage seiner Minderheitsregierung immer schwieriger. Die Konservativen hatten in monatelangen Gesprächen einen Haushalt für 2018 ausgehandelt, der dank der Baskischen Nationalistenpartei (PNV) eine hauchdünne Mehrheit erhalten sollte. Jetzt droht der Kompromiss zu scheitern.
Der PNV-Sprecher im spanischen Parlament, Aitor Esteban, sagte: „Auch wenn wir einen Haushalt hätten, wäre das Thema Katalonien nicht gelöst. Würde das heißen, dass wir eine stabile Legislatur haben?“
Wenn der Haushalt nicht in den kommenden Monaten verabschiedet wird, müssten Neuwahlen angesetzt werden. Damit dies nicht geschieht, erhöhen Rajoy und die rechtsliberalen Ciudadanos den Druck auf die sozialistische PSOE, die Rajoy vor einem Jahr überhaupt erst zum Regierungschef machte. Die PSOE solle sich bei der Haushaltsabstimmung enthalten, verlangen sie. So mancher Sozialist ist dem nicht abgeneigt.
Der ehemalige Regierungschef der südspanischen Region Extremadura, Juan Carlos Ibarra, geht noch einen Schritt weiter. Er fordert seine Genossen in einem Artikel in der konservativen Tageszeitung ABC auf, an einer Regierung derer teilzunehmen, „die bereit sind, die Demokratie zu stärken und die Aufständischen mit dem Strafrecht in der Hand zu stoppen, koste es was es wolle“.
Eine solche große Koalition zur Rettung des Vaterlandes müsse Härte zeigen. „Ab dem 2. Oktober gibt es mit Katalonien nichts zu verhandeln“, sagte Ibarra in einem Radiointerview, „die Befürworter der Unabhängigkeit werden eh nichts akzeptieren.“
Statt den Dialog zu suchen, gräbt sich Madrid immer tiefer ein.
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