Reden mit der AfD?: Die gewinnen schon wieder
Mit den Anhängern der AfD sprechen, weil Blockade und Ablehnung nur den Rechtsextremen helfen – unser Autor findet das gut. Und wird trotzdem zornig.
Am Wochenende habe ich einen Text in dieser Zeitung gelesen, den ich sehr gut fand. Und der mich wütend machte, meine Hände haben gezittert beim Lesen, und ich konnte an nichts anderes mehr denken als an diesen Text.
Unser Reporter Peter Unfried hat darüber geschrieben, wie die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen, Antje Hermenau, sich an den politischen Stammtisch der AfD im sächsischen Döbeln gesetzt hat. Hermenau war in ihrer Partei schon lange eine Besonderheit, sie hätte gern in Sachsen regiert, mit der CDU. In Döbeln hörte sie sich an, was die Menschen zu sagen hatten, redete mit ihnen. Intellektuell finde ich das gut, ja, so muss man das machen, denn Ausgrenzung und Blockade nützen nur der AfD. Zugleich merkte ich beim Lesen, wie mir das Wutwasser den Hals hochstieg.
Für Menschen, die sich in den seelisch weniger beheizten Gegenden dieses Landes vor Flüchtlingsheime stellen, um sie zu schützen, für alle in Ostdeutschland, die sich seit dem Mauerfall abends genau überlegt haben, wie sie nach der Dorfdisco nach Hause gehen, um keinen Glatzen zu begegnen, für alle, die ein bisschen anders aussahen und deswegen aufpassen mussten, auf ihre Zähne und manche auch auf ihr Leben, für all diese kann sich so ein Verhalten wie das von Antje Hermenau leicht wie Verrat anfühlen.
Verraten vom Westen, verraten von sich selbst
Der Teil von mir, der nicht denkt, sondern fühlt, sieht das so. Nicht weil ich glaube, dass alle AfD-Wähler im Osten Rassisten sind. Sie haben Entwertungserfahrungen gemacht und mussten sich von Leuten aus dem Westen entwürdigenden Scheiß über ihr Leben anhören. Aber es sind eben auch die Menschen, die in den 90ern und später bei jedem noch so offensichtlichen Nazi-Überfall von Greifswald bis Gera immer behauptet haben, die Presse aus dem Westen würde alles schlechtreden, es gebe hier keine Nazis, es ginge nur darum „den Osten“ zu diffamieren.
Der Osten, Ostdeutschland, das waren leider immer nur sie selbst: Sie und alle anderen, die mit der Situation, so, wie sie war, gut klargekommen sind. Es waren unsere Eltern, Großeltern, Nachbarn und die Männer, die in ihren zu Kneipen umgebauten Garagen soffen, und die Frauen, die für sie das Leben auf die Reihe kriegen mussten. Leute, die zu alt waren, um nachts auf den Straßen zu sehen, was wirklich los war. Und wenn es dann mal nicht mehr zu ignorieren war, schafften sie es trotzdem.
Es waren die Mächtigen, die so dachten und redeten: Bürgermeister, Landtagsabgeordnete, Ministerpräsidenten.
Ostdeutschland, das waren für diese Menschen leider nie diejenigen, die mit eingetretenen Rippen im Krankenhaus lagen. Mir ist mit 16 oder 17 Jahren klar geworden, „den Osten“ gibt es nicht, jedenfalls nicht dann, wenn man auf Solidarität von denen hofft, die es in der Hand hatten, sie zu zeigen.
Morddrohungen für Grünen-Politiker
Und nun soll genau den Kaltherzigen und aggressiv Ignoranten wieder einmal zugehört werden. Und es gibt keine Wahl, denn tut man es nicht, werden sie alles nur noch schlimmer machen. Die gewinnen wieder. So empfinde ich das.
Währenddessen steht Jürgen Kasek, einer der Vorsitzenden der Grünen in Sachsen, an jedem Wochenende in einer anderen sächsischen Stadt Männern gegenüber, die doppelt so hoch und so breit sind wie er. Er bekommt Morddrohungen, es ist in Ostdeutschland nicht bequem, „Nein“ zu Rechten und Rechtsextremen zu sagen. Es ist mitunter saugefährlich.
Deshalb kann ich jeden verstehen, der es zum Kotzen findet, wenn Antje Hermenau sich mit den Menschen an einen Tisch setzt, die Flüchtlinge für ein größeres Problem halten, als dass ihre eigenen Kinder verprügelt werden oder selbst andere verprügeln. Und das seit über 25 Jahren. So lange beklagen sie sich schon, dass ihnen keiner zuhört, ohne selbst das Zuhören gelernt zu haben.
Es ist immer noch manches wahr an „Zonenkinder“ von Jana Hensel, diesem Buch über die Kinder der Wende, viele von uns haben eben unsere Eltern, Großeltern und Nachbarn nicht genug mit dem konfrontiert, was in unserer Welt passiert ist: Sie hatten schließlich ausreichend Probleme in ihrer eigenen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen