Klimaschädliches Wirtschaftsmodell: Chinas Kohlekraftwerke laufen heiß
Die Volksrepublik verbrennt mehr Kohle als der Rest der Welt zusammen. Trotzdem will Peking bis zum Jahr 2060 klimaneutral werden.
Protest dagegen würde man sich in Peking verbieten. China will sich bei seinem Weg in eine nachhaltige Zukunft nicht vom Rest der Welt reinreden lassen. Die Staatsmedien betonen gerade so deutlich wie lange nicht mehr, dass die Klimakrise zunächst von den entwickelten Wirtschaftsnationen angegangen werden solle. „Die Frage des Klimawandels geht nicht nur um den Klimawandel selbst, sondern auch um die Wirtschaft eines Landes“, wird Xi Zhenhua, Chinas Sondergesandter für Klimafragen, von der Nachrichtenagentur Xinhua zitiert.
Dass die Volksrepublik der mit Abstand größte Schadstoffverursacher ist, ja seit rund einem Jahrzehnt mehr Kohle konsumiert als der Rest der Welt zusammen, kommt in der innerchinesischen Debatte praktisch nicht vor. Stattdessen werden gerne historische Statistiken hervorgekramt: Wenn man den gesamten CO2-Verbrauch der letzten 200 Jahre heranzieht, erreicht die Volksrepublik tatsächlich nur ein Achtel der CO2-Emissionen der Vereinigten Staaten. Doch diese Argumentation ist ein Rückschritt.
Vor Jahren noch hatte sich Chinas Regierung stets mit dem Hinweis aus der Verantwortung gezogen, wirtschaftliche Entwicklung genieße Vorrang vor Klimaschutz. Doch unter Staatspräsident Xi Jinping hatte sich das geändert: Im September versprach der mächtigste Mann des Landes, die chinesische Wirtschaft solle bis 2060 klimaneutral sein.
Das scheinbare Einlenken beruhte auch auf der Erkenntnis, dass die massiven Umweltprobleme des Landes die Legitimität der Kommunistischen Partei bedrohen würde: Noch vor wenigen Jahren mutete der Blick aus dem Fenster in den großen Städten, allen voran Peking, wie eine Blade-Runner-Filmkulisse an. Die Luft war von Feinstaub verschmutzt, die Flüsse des Landes waren verdreckt, die Lebensmittel nicht selten vergiftet. Der Frust der Bevölkerung wurde immer greifbarer, trotz Zensurapparat, der kritische Umweltjournalisten mundtot machte oder Dokumentarfilme einfach löschte.
Enormer Energiehunger
Inzwischen fahren in den großen Städten so viele Elektroautos wie weltweit nirgendwo, in den Wüsten im Nordwesten des Landes entstehen riesengroße Solaranlagen, an vorgelagerten Inseln entlang der Ostküste gigantische Windenergieparks. Die Investitionen der Volksrepublik in erneuerbare Energien stellen längst die Bemühungen der Europäischen Union in den Schatten.
Aber: Chinas umweltpolitische Bilanz ist ambivalent. Der Energiehunger im Reich der Mitte steigt derzeit massiv an, die jüngsten Entwicklungen zeigen fast allesamt in die falsche Richtung: Chinas Anteil am weltweiten Treibhausgasausstoß ist im vergangenen Coronajahr nochmals deutlich gestiegen. Im Jahr 2020 war es für 31 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen verantwortlich, 2019 waren es noch 27 Prozent gewesen.
Es wird immer deutlicher, wie wenig nachhaltig das Wirtschaftsmodell der Chinesen ist. Rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird aus Industrieproduktion und Bautätigkeit generiert – Branchen, die zwar Wachstum bringen, aber auch extrem energieintensiv sind. Um sich von der pandemiebedingten Krise zu erholen, ließen die Staatsunternehmen zuletzt neue Brücken, Autobahnen und Siedlungen bauen. Für Beschäftigung und Wachstum, gleichzeitig Raubbau an der Natur.
„Erneuerbare Energien sind zwar ein großes Thema in China, aber noch machen sie nicht mehr als 9 oder 10 Prozent am Energiemix aus. Kohle dominiert nach wie vor“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking. Gut 60 Prozent des Energiebedarfs werden mit dem fossilen Brennstoff gedeckt.
„Kohle ist nach wie vor mit der Energiesicherheit des Landes verbunden“, sagt auch Renato Roldao, Klimaexperte beim Beratungsunternehmen ICF: „Erst wenn die Energiewende beschleunigt wird, gibt das dem System mehr Flexibilität, seine Abhängigkeit von Kohle zu reduzieren.“ Die globale Klimakrise kann also nur gemeinsam mit China gelöst werden. Umso enttäuschender ist es, dass Staatschef Xi Jinping in Glasgow gar nicht erst aufgetaucht ist.
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