Rechtsstreit zwischen Polen und der EU: Drohung aus Warschau
Das polnische Verfassungsgericht spielt mit der Verschiebung ihres Urteils auf Zeit. Premier Morawecki will den EU-Gerichtshof bloßstellen.
Z um vierten Mal hat Polens Verfassungsgericht die Entscheidung verschoben, die die EU als Rechtsgemeinschaft erschüttern könnte. Ganz grundsätzlich nämlich will Polens Premier Mateusz Morawecki klären lassen, ob Polens Verfassungsrecht über EU-Recht steht, oder ob es umgekehrt ist. Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar: Polens Verfassung, die das Völkerrecht und damit auch die EU-Verträge ausdrücklich anerkennt, steht an oberster Stelle. Jedes EU-Mitglied baut EU-Recht in sein eigenes Rechtssystem ein, und der Europäische Gerichtshof (EuGH) schlichtet Rechtsstreitigkeiten zwischen EU-Institutionen und einzelnen Mitgliedstaaten.
Polen setzt nun allerdings schon seit einiger Zeit Urteile und einstweilige Anordnungen des EuGH nicht mehr um. Bislang kam die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) damit straflos durch, weil die Europäische Kommission zwar klagte, es ihr dann aber anscheinend egal war, wenn die PiS-Regierung die Urteile nicht umsetzte und die Richter in Luxemburg als „inkompetent“ beschimpfte.
Polen droht nun aber die Kürzung von EU-Zuschüssen, sollte die PiS weiterhin das Rechtsstaatsprinzip verletzen. Gegen diese Rechtsstaats-Klausel, die für alle EU-Mitglieder bindend sein soll, klagen Polen und Ungarn vor dem EuGH. Das Urteil soll in den nächsten Tagen fallen. Allgemein erwartet wird, dass der Gerichtshof die Klausel bestätigt.
Zudem droht Polen aber auch eine Geldstrafe wegen einer einstweiligen Anordnung des EuGH, die die PiS-Regierung nicht umgesetzt hat. Es geht um die von den Nationalpopulisten neu geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die ihre Arbeit – so der EuGH – mit sofortiger Wirkung einstellen sollte. Im Endeffekt würden alle von dieser Kammer gegen andere Richter gefällten Urteile null und nichtig sein.
Auf dem Spiel steht die Rechtsgemeinschaft
Doch die Disziplinarkammer arbeitet dreist weiter und hebt reihenweise die Immunität von Richtern auf, so dass gegen diese Strafverfahren eröffnet werden können, die mit einem Berufsverbot enden können. Angeblich seien dies nur „Altfälle“. Das ist aber Augenwischerei, denn auch diese Urteile werden ja ungültig sein.
Der Gang von Morawiecki zum polnischen Verfassungsgericht, in dem nur noch von der PiS ernannte Richter:innen sitzen, hat nur ein Ziel: Ein politisch bestelltes Urteil soll den Europäischen Gerichtshof desavouieren, sollte dieser der Rechtsstaatlichkeitsklausel zustimmen oder Polen eine Geldstrafe wegen der Disziplinarkammer aufbrummen.
In Luxemburg werden die Richter am EuGH die Vertagung des Urteils des polnischen Verfassungsgerichts durchaus so verstanden haben, wie es gemeint ist: als offene Drohung aus Warschau. Sie müssen nun sehr genau abwägen, wie sie darauf reagieren. Denn auf dem Spiel steht nichts weniger als die Rechtsgemeinschaft der EU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“