Rechtsstaatlichkeit in der EU: Noch reichlich Luft nach oben

Die EU-Kommission legt einen Bericht zum Rechtsstaat in den Mitgliedsstaaten vor. Vor allem an Ungarn gibt es wieder viel Kritik, aber nicht nur.

Demonstratration in Budapest von Menschen mit Fahrrädern, die sie hochhalten

Noch sind Kundgebungen wie diese von Critical Mass in Ungarn möglich Foto: Balint Szentgallay/imago

BRÜSSEL taz | Ungarn und die Slowakei bereiten der EU-Kommission wachsende Sorgen, weil sie es mit dem Rechtsstaat nicht so genau nehmen. Auch in Deutschland gebe es Luft nach oben, heißt es im neuen Rechtsstaatlichkeitsbericht, den die Brüsseler Behörde am Mittwoch vorgelegt hat.

So seien die deutschen Lobbyregeln nicht strikt genug. Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre könnten nach Dienstende zu schnell die Seiten wechseln und für Konzerne arbeiten. Auch müsse das Auskunftsrecht der Presse gegenüber Behörden gestärkt werden.

Das sind jedoch nur Peanuts im Vergleich zu dem, was die EU-Kommission Ungarn vorwirft. Unter der Regierung von Viktor Orbán gebe es ein „systemisches Problem“ mit den Grundrechten, sagte Justizkommissar Didier Reynders. Brüssel spricht nicht weniger als acht Empfehlungen aus.

Ungarn müsse „solide Nachweise“ über das Vorgehen gegen Korruption liefern. Zudem müsse Budapest die „redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien“ stärken und Gesetze aufheben, die die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken.

Fördermittel auf Eis gelegt

Bereits vor einem Jahr hatte Reynders dem Land, das aktuell den EU-Vorsitz hat, „sehr große Abweichungen bei der Rechtsstaatlichkeit“ bescheinigt. Die EU-Kommission hatte deshalb verschiedene Verfahren gegen Ungarn eingeleitet und Fördermittel in Milliardenhöhe auf Eis gelegt.

Allerdings hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Dezember 10 Milliarden Euro an Ungarn ausgezahlt – trotz der Probleme. Darauf angesprochen, erklärte Reynders, dies sei kein Widerspruch. Budapest habe mit Brüssel vereinbarte „Meilensteine“ erfüllt.

Verwirrend fielen auch die Erklärungen zur Slowakei aus. So kritisiert die EU-Kommission ein Gesetz zum Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Anprangern will sie das Land aber nicht. Man sei im Gespräch mit Premier Robert Fico, hieß es. Die EU-Kommission hatte zuletzt positive Signale nach Bratislava gesendet und EU-Gelder freigegeben – womöglich um Fico positiv zu stimmen. Auch Italien und Griechenland wurden geschont. So hielt die Kommission einen kritischen Bericht zur Medienfreiheit zurück.

Das sei normal, dafür habe man den Rechtsstaats-Check, erklärte Vizepräsidentin Vera Jourova. Dieser enthalte auch Empfehlungen zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Italien. Auch beim „Predatorgate“ in Griechenland – ein Überwachungsskandal – habe man zügig reagiert.

Objektiv und fair

Kritiker glauben, dass von der Leyen ihren griechischen Parteifreund Kyriakos Mitsotakis schont. Auch auf Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni habe sie Rücksicht genommen, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden.

Die Kommission weist das zurück. Die Rechtsstaats-Berichte seien objektiv und fair. Für die fünfte Ausgabe habe man sich intensiver denn je mit den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten ausgetauscht, betonte Jourova. Dies habe auch Früchte getragen. In zwei Drittel der Fälle seien die Empfehlungen der Kommission befolgt worden.

Kritik kam vom grünen Europaabgeordneten Daniel Freund. Die EU-Kommission habe es verpasst, frühzeitig auf negative Entwicklungen wie in Italien oder auch in der Slowakei zu reagieren. „Hier brauchen wir ein Umdenken von Ursula von der Leyen“, so Freund. Brüssel müsse rechtzeitig mit Finanzsanktionen gegensteuern.

Noch schärfer äußerte sich der FDP-Parlamentarier Moritz Körner. „Solange von der Leyen Kritik an Rechtsstaats-Vergehen als politische Waffe einsetzt, um Abstimmungsergebnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen, wird sich die Achtung der europäischen Werte nicht verbessern“. Es sei bezeichnend, dass die Präsentation des Rechtsstaats-Berichts auf die Zeit nach der Wahl verschoben wurde. Von der Leyen wurde am vergangenen Donnerstag vom Europaparlament in Straßburg in ihrem Amt bestätigt. Die FDP hatte nicht für die CDU-Politikerin gestimmt.

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