Rechtsstaatlichkeit in Polen: EU stoppt Verfahren gegen Warschau

Nach der Abwahl der PiS-Regierung sieht die EU-Kommission die Grundwerte nicht mehr in Gefahr. Nun gibt es nur noch gegen Ungarn ein Artikel-7-Verfahren.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk steht an einem Rednerpult.

Tusk hatte den EU-Partnern bereits im Februar einen Reformplan für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert Foto: Christoph Soeder/dpa

BRÜSSEL dpa | Die EU sieht nach Jahren schwerster Bedenken keine Gefahr mehr für die Rechtsstaatlichkeit in Polen und beendet deswegen ein Verfahren zum Schutz der europäischen Grundwerte. Das kündigte die zuständige EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel an.

Die Entscheidung zur Einstellung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens erfolgt rund sieben Monate nach der Abwahl der nationalkonservativen PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 geführt hatte. Diese hatte das polnische Justizsystem umgebaut und damit nach Einschätzung von Experten die Gewaltenteilung eingeschränkt.

Konkret wurde unter anderem die Möglichkeit geschaffen, Richter zu kontrollieren und zu sanktionieren. Zudem hinderten die Reformen polnische Richter daran, sich bei bestimmten Rechtsfragen an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. Die neue Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk ist derzeit dabei, die beanstandeten Maßnahmen wieder rückgängig zu machen.

Verfahren gegen Polen war EU-Premiere

Polen war 2017 der allererste EU-Staat, gegen den die Europäische Kommission ein Verfahren wegen der Gefährdung von elementaren Grundwerten der Europäischen Union eingeleitet hatte. Dieses hätte theoretisch sogar zu einem Entzug der Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen können.

Das einzige EU-Land, gegen das jetzt noch ein Artikel-7-Verfahren läuft, ist Ungarn. Dort steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit einzuschränken und Korruption zu fördern.

Hoffnungsträger Tusk

Um ein Ende des Verfahrens gegen Polen möglich zu machen, hatte die neue Regierung von Tusk den EU-Partnern bereits im Februar einen Reformplan für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert. Dieser führte auch dazu, dass die EU-Kommission unabhängig von dem Artikel-7-Verfahren EU-Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro freigab, die lange wegen der Rechtsstaatlichkeitsbedenken zurückgehalten worden waren.

PiS versucht Rückabwicklung zu erschweren

Mit der Entscheidung, das Verfahren gegen Polen zu beenden, drückt die EU-Kommission auch ihr Vertrauen in die neue Regierung in Warschau aus. Das Zurückdrehen der beanstandeten Reformen der PiS-Regierung wird nämlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen. So sieht das „Reparaturpaket“ für den Umbau des Verfassungsgerichts vor, dass durch eine Verfassungsänderung alle bisherigen Richter aus dem Amt ausscheiden und die Posten neu besetzt werden, wobei Regierungslager und Opposition über die Besetzung entscheiden sollen. Doch für die Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig, die wegen des Widerstandes der PiS bislang nicht in Sicht ist.

Die PiS-Regierung in Polen hatte gleich nach ihrem Antritt im November 2015 unter Federführung von Justizminister Zbigniew Ziobro damit begonnen, das Justizwesen nach ihren Vorstellungen umzubauen. Der erste Schritt galt dem Verfassungsgericht. Die PiS-Regierung erkannte drei vor ihrer Machtübernahme ernannte Verfassungsrichter nicht an und besetzte die Posten mit eigenen Kandidaten, was später sowohl vom Verfassungsgericht selbst als auch von der EU-Kommission für verfassungswidrig erklärt wurde. Später wurde der Vorsitzende des Gerichts durch die Juristin Julia Przylebska ersetzt, einer engen Vertrauten von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski.

Gesetz braucht Unterschrift von Duda

Auch der Rückbau von anderen Elementen der PiS-Justizreform gestaltet sich langwierig und zäh. Dies gilt etwa auch für eine Neuordnung des Landesjustizrats – des Gremiums, das Richter für freiwerdende Stellen nominiert. Nach einer 2018 von der PiS eingeführten Reform wurde 15 von 25 Mitgliedern des Rates durch das Parlament ernannt. Auch dieser Schritt brachte Polen in Konflikt mit der EU-Kommission. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kritisierte nach einer Klage, der Landesjustizrat sei ein Organ, das „von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde“, an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.

Ein von Justizminister Adam Bodnar vorgelegtes Gesetzesprojekt sieht vor, dass künftig wieder allein Richter unterschiedlicher Gerichte über die 15 Sitze im Landesjustizrat bestimmen sollen. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, soll der Landesjustizrat neu gewählt werden – das alte, nach den Regeln der PiS gebildete Gremium, wird abgelöst. Das Gesetz muss noch das Parlament passieren und von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden. Dieser stammt jedoch aus den Reihen der PiS und könnte es torpedieren.

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