Rechtsextremisten auf freiem Fuß: 798 offene Haftbefehle gegen Nazis

Die Zahl der gesuchten Rechtsextremisten nimmt trotz Festnahmen kaum ab. Die Linke fürchtet, dass sich die Lage vor den Landtagswahlen verschärft.

798 Rechtsextreme tragen noch keine Handschellen Foto: Marcus Brandt/dpa

BERLIN taz | Sie werden wegen politisch motivierter Gewalttaten gesucht oder wegen Volksverhetzung, aber auch wegen Diebstahl oder Verkehrsdelikten – die Anzahl der Rechtsextremisten, nach denen per Haftbefehl gefahndet wird, ist weiter hoch. Zuletzt, und das heißt zum Stichtag Ende März diesen Jahres, gab es 798 offene Haftbefehle gegen 606 Personen. Hinzu kommt ein Haftbefehl einer ausländischen Behörde zwecks Auslieferung.

Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine kleine Anfrage der Gruppe der Linken im Bundestag hervor, die der taz vorliegt. Die Zahlen liegen in etwa auf einer Höhe mit jenen vom Stichtag zuvor. Am 29. September 2023 gab es bundesweit 776 Haftbefehle gegen insgesamt 597 Personen.

Das ist besonders bemerkenswert, weil sich in den sechs Monaten dazwischen 348 alte Haftbefehle gegen Neonazis erledigt hatten – entweder dadurch, dass die Gesuchten tatsächlich festgenommen wurden oder sich die Haftbefehle anders erledigt haben, etwa durch das Zahlen einer Geldstrafe. Das heißt: Im vergangenen halben Jahr sind ausgesprochen viele neue Haftbefehle hinzu gekommen.

Gestellt hat die Anfrage die Abgeordnete Martina Renner, Innenexpertin der Linken. Sie sagt: „Die Zahlen gesuchter Neonazis und Rechtsextremisten bleiben trotz erheblicher Bemühungen der Sicherheitsbehörden besorgniserregend hoch.“ Fast die Hälfte der aktuell erfassten Haftbefehle sei „nur wenige Monate alt“.

Renner argumentiert seit langem, dass die Anzahl eigentlich noch viel höher ist, die Behörden aber einen Teil der Rechtsextremisten, etwa Reichsbürger, unter dem Bereich „sonstige Zuordnung“ erfassen – und diese deshalb hier nicht auftauchen.

„Im Bereich ‚Sonstige Zuordnung‘, wozu auch Reichsbürger gehören können, ist dies mit fast 40 Prozent neuer Haftbefehle ähnlich“, so Renner weiter. „Die Bedrohungslage durch Neonazis, Reichsbürger und rechtsextreme Straftäter hält unverändert an und wird sich angesichts des auch gewaltbereiten Personenpotentials auch im Umfeld der bevorstehenden Wahlen eher verschärfen.“

Körperverletzungen und Widerstand gegen Beamte

Laut Innenministerium liegt keinem der gegen Rechtsextreme gerichteten Haftbefehle eine terroristische Tat zugrunde. 26 gehen auf politisch motivierte Gewaltdelikte zurück, dazu gehören überwiegend Körperverletzungen und Widerstand gegen Beamte. Straftaten mit politisch rechten Motiven wie der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen, Volksverhetzung oder Beleidigung führten zu 165 Haftbefehlen. Die anderen Fälle gehören in den Bereich der Alltagskriminalität wie Diebstahl, Betrug, das Erschleichen von Leistungen oder Verkehrsdelikte.

115 der gesuchten Personen halten sich mutmaßlich im Ausland auf, davon mit 22 die meisten vermutlich in Polen. In Österreich sind es neun, in der Schweiz und Frankreich jeweils sieben, in der Türkei sechs und in Paraguay, Rumänien sowie Italien jeweils fünf Personen.

Jeweils ein Haftbefehl ist bereits zehn und elf Jahre alt, 31 Haftbefehle zwischen fünf und zehn Jahre. 113 sind aus dem Jahr 2022, 309 aus dem vergangenen und bereits 232 aus den ersten drei Monaten dieses Jahres.

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