Rechtsextremismus in Spanien: Faschisten im Bildungstempel
Im Madrider Bildungszentrum Ateneo ließen ewiggestrige Kräfte den Diktator Franco hochleben. Das Protokoll einer Entgleisung.
Sie feierten am 26. Oktober den 86. Jahrestag der Gründung ihrer Partei, wetterten gegen die Demokratie, verlangten die Abschaffung der seit 1975, seit dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien gültigen Verfassung, ließen den Diktator hochleben, sangen „Cara al Sol“ – das spanische Pendant zum Horst-Wessel-Lied der deutschen Nazis.
Den Ort, an dem sich alles abspielte, kennt Ruiz nur zu gut. Es war der große Saal des altehrwürdigen Ateneo Científico y Literario – des Kulturvereins für wissenschaftliche und kulturelle Debatten – im Zentrum Madrids. „Das Ateneo ist der Ort für freies Denken“, erklärt Ruiz, der im Ateneo seit 17 Jahren der Abteilung für Bildung vorsteht. „So etwas hat es hier nicht mehr gegeben, seit die Falange nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs das Ateneo übernahm“, beschwert er sich.
Das 1835 gegründete Ateneo wurde 1939 von den Faschisten gestürmt und teilweise geplündert. Auf der Straße vor dem Haupteingang wurden unliebsame Bücher aus der Bibliothek verbrannt. Die Archive dienten der Verfolgung der Mitglieder. Unter ihnen bekannte Künstler, Politiker und demokratische Intellektuelle. „Dass der Saal ausgerechnet an diese kriminelle Bande vermietet wurde, ist ein schwerer Schlag für uns alle“, fügt Ruiz hinzu.
Bildungszentrum prüft Vermietung
Auf Nachfrage reagiert der Vorstand des Ateneo nur mit einer kryptischen Pressemitteilung. „Die Vermietung wurde weder vom Vorstand genehmigt noch ist sie im Namen der Institution geschehen. Nach Sichtung der Bilder der Veranstaltung wurde eine Überprüfung des Vermietungsverfahrens vereinbart, um bessere Kontrolle über solche Veranstaltungen zu gewährleisten, die möglicherweise Elemente enthalten, die mit dem Geist des Madrider Ateneo unvereinbar sind.“
In einem ersten Communiqué verwies der Vorstand gar darauf, dass „das Reglement des Ateneo das Recht aller Mitglieder schützt, jedwede politische, religiöse oder soziale Ideen zum Ausdruck zu bringen, egal wie radikal sie sind“. „Die Hausordnung verteidigt dies tatsächlich“, sagt Ruiz. Aber die Veranstaltung der Falange sei eben nicht von Mitgliedern ausgegangen, sondern sei eine externe Veranstaltung gewesen, für die Miete bezahlt wurde.
In Zeiten, in denen dem Ateneo dank der Sparpolitik Zuschüsse gestrichen wurden, sei das Geld sicher ein Grund gewesen, warum der Vorstand großzügig darüber hinweggesehen hat. „Doch eines ist klar. Es kann keine kulturelle Neutralität geben“, fügt Ruiz hinzu und verweist darauf, dass vor einigen Jahren die Falange schon einmal den Saal mieten wollte und dies damals abgelehnt wurde.
Podemos bekam keinen Saal
Auch der neue Vorstand, der innerhalb des linken und liberalen Spektrums, das das Ateneo abdeckt, eher dem rechten Rand zuzuordnen ist, hat bei Weitem nicht alle Mietanträge positiv beschieden. So verhinderte er eine Veranstaltung zu Venezuela und weigerte sich, der linksalternativen Podemos und der katalanischen Republikanischen Linken einen Saal zu vermieten, als diese eine Solidaritätsveranstaltung mit den inhaftierten und mittlerweile zu hohen Haftstrafen verurteilten katalanischen Unabhängigkeitspolitikern und -aktivisten durchführen wollten.
Für Ruiz ist Faschismus keine schützenswerte Meinung. Er fordert den Rücktritt des Vorstands und ist damit unter den rund 2.000 Mitgliedern des Kulturvereins, der wie kein Zweiter das fortschrittliche Bildungsbürgertum der spanischen Hauptstadt verkörpert, nicht allein.
Für Mirta Nuñez, Historikerin an der Madrider Universität Complutense, ist der Fehltritt des Ateneo-Vorstands ein Zeichen für die „zunehmende Normalisierung des Faschismus. All das ist die Folge der mangelnden Geschichtsaufarbeitung, eines Vergessens, das zu gesellschaftlicher Amnesie führt“, ist sich Nuñez sicher, die sich unter anderem mit dem Gedenken an Bürgerkrieg und Diktatur beschäftigt. Sie verweist auf Länder wie Frankreich und Deutschland, in denen Faschismus gesellschaftlich geächtet und juristisch eingehegt sei. „In Spanien ist die Rechte offen profranquistisch“, beschwert sie sich.
Unter den Vorsitzenden des Ateneo finden sich so illustre Namen wie der des späteren Präsidenten der von den Faschisten gestürzten Republik, Manuel Azaña, oder des Schriftstellers Ramón María del Valle-Inclán und des Philosophen Miguel de Unamuno. „Die politische, intellektuelle und kulturelle Geschichte Spaniens ist ohne das Ateneo undenkbar. 16 Staats- und Regierungschefs gingen aus den Reihen der Freidenker-Institution hervor“, schreibt Lidia Falcón, Juristin, Philosophin und Journalistin. Falcón leitete die Abteilung für feministische Debatten im Ateneo. Ihr mittlerweile verstorbene Gatte war Vorsitzender des Ateneo, bevor der jetzige Vorstand die Institution übernahm.
Lidia Falcón
Für Falcón ist das, was im Ateneo passierte, ein Symbol dessen, was das ganze Land durchlebt. „Wir befinden uns offensichtlich in Zeiten des Rückschritts, wenn nicht einmal der legendäre Saal des Ateneo von Madrid vor der Verherrlichung von Francos Erhebung, seines Putsches und der Verteidigung der Schrecken des Faschismus sicher ist“, schreibt sie in der Onlinezeitung publico.es.
„Diese Episode wird nicht nur in der Geschichte der Institution ein Schandfleck bleiben. Ich weiß nicht, wie sie davon erlöst werden kann, sondern ich befürchte, dass sie ein Sinnbild für die Zeiten sein wird, die uns mit der Auferstehung der faschistischen Bestie erwarten. Sie haben bereits begonnen, die wichtigsten Räume zu besetzen: Zuerst die Sitze des andalusischen Regionalparlaments, dann die des Abgeordnetenhauses und jetzt die des Ateneo von Madrid. Was für ein Schmerz!“, beendet Falcón ihren Text.
Nur knapp zwei Wochen nach der Veröffentlichung dieser Zeilen verdoppelte die rechtsradikale Partei Vox, die seit April im spanischen Parlament sitzt, bei den Neuwahlen vom 10. November die Zahl der Abgeordneten. Die Rechtsextremen sind jetzt drittstärkste Kraft des Landes.
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