Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern: In schlechter Verfassung
Nach dem Rücktritt von Innenminister Caffier schaffen die Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern kaum Aufklärung.
Die Linksfraktion hat beantragt, den Tagesordnungspunkt Waffenaffäre öffentlich zu besprechen. Lorenz Caffier (CDU) hatte eine Pistole bei einem Händler gekauft, der Mitglied der Preppergruppe Nordkreuz war, die massenweise Waffen und Munition hortete – in Vorbereitung auf einen „Tag X“. Caffier hatte die Angelegenheit vergangene Woche erst zu einer Privatsache erklärt, sie dann zugegeben und ist am Dienstag überraschend von seinem Amt zurückgetreten. Der Kauf der Waffe sei kein Fehler gewesen, erklärte er, wohl aber der Umgang damit.
Caffier ist am Donnerstag nicht im Schloss Schwerin. Erst hieß es, er habe sich krank gemeldet, dann sagte das Ministerium, er komme nicht, weil er nicht mehr im Amt sei. Journalist*innen müssen den Saal gleich wieder verlassen, die Koalitionsfraktionen SPD und CDU stimmen gegen die öffentliche Sitzung.
Dabei stellen sich jetzt viele die Frage: Wie ernst nimmt das Innenministerium ein rechtes Preppernetzwerk, das in die eigenen Behörden reicht?
Anstelle des Innenministers erklärt sich der Staatssekretär Thomas Lenz (CDU) knapp zwei Stunden lang. Nach der Ausschusssitzung stellen ihm Journalist*innen Fragen. Lenz ist der ranghöchste Beamte im Ministerium, über seinen Schreibtisch laufen alle wichtigen Vorgänge. Vor den Journalist*innen will er den Verdacht beseitigen, dass womöglich brisante Erkenntnisse in Abteilungen des Innenministeriums liegen geblieben sein könnten. Er sagt: Minister Caffier sei “immer zeitnah“ informiert worden. Die entscheidende Frage lautet: Wusste Caffier vor dem Waffenkauf, dass Nordkreuz existiert und der Waffenhändler Frank T. Mitglied war? Es entspinnt sich ein seltsamer Dialog:
Lenz: „Es ergaben sich keine Bezüge dazu, dass Frank T. In einem Nordkreuz-Komplex rechtsextremistisch aufgefallen ist.“
Auf unsere Anmerkung, dass den Behörden doch Erkenntnisse vorlagen, dass Frank T. bei Nordkreuz war, wendet sich der Staatssekretär zum Gehen.
Wir fragen noch mal, ob niemand den Minister informiert hat, bevor er eine Waffe bei T. kaufte. Lenz sagt: „Alles Quatsch“ und „das ist dummes Zeug“. Er wiederholt, dass es keine Erkenntnisse über T.s rechstextreme Gesinnung gegeben habe.
Dann führt Lenz aus, dass er noch mal in Chatnachrichten von T. nachgelesen habe. Er geht nicht darauf ein, dass mehrere Nordkreuz-Leute schon lange als Rechtsextremisten eingestuft sind, nicht auf Tag-X-Szenarien oder Leichensäcke. Er geht.
Inzwischen sieht selbst das Innenministerium bei T. Anhaltspunkte für rechtsextreme Bestrebungen. Er soll rassistische und fremdenfeindliche Chatnachrichten geschrieben haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren Verfahren gegen ihn, da geht es wohl um waffenrechtliche Fragen, auch die zuständige Waffenbehörde überprüft seine Lizenzen. Während die Ministeriumsvertreter im Landtag T.s vergleichsweise kurze Mitgliedschaft bei Nordkreuz eher herunterspielen, kam das Landgericht Schwerin zu einem anderen Schluss. Jede*r kann das im Urteil vom 19. Dezember 2019 nachlesen.
Das Verfahren richtete sich gegen den ehemaligen SEK-Polizisten und Nordkreuz-Gründer Marko G., bei dem Ermittler*innen zehntausende Schuss Munition und Waffen fanden. Das Gericht befasste sich auch mit Nordkreuz selbst und hält fest: Von Frank T. stammt der Text eines Regelwerks, das an Nordkreuz-Mitglieder ging. Darin werden sie eingeschworen: „Desto besser die Kommunikation, umso einfacher ist die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt es für jeden von UNS, so wenig wie möglich aufzufallen.“ Das Gericht sieht es auch als erwiesen an, dass die Nordkreuz-Leute für den Tag X Munition und Waffen besorgten. Auch belegt durch die Aussage von Frank T.
Wie kann es sein, dass die zweitwichtigste Person im Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern T.s Wirken in der rechten Preppergruppe bis heute unterschätzt?
Ex-Verfassungsschützer kommt mit Personenschutz
Während der Staatssekretär des Innenministeriums in Schwerin Fragen nicht zu beantworten vermag, sind Mitarbeiter aus dem Verfassungsschutz seines Landes derzeit dazu verpflichtet: Der Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Attentat tagt im Bundestag. Dieser will herausfinden: Wie kam es, dass brisante Informationen über den Attentäter Anis Amri Bundesbehörden nicht erreichten?
Das zumindest behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter des Landesverfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern. Der Untersuchungsausschuss hat ihn geladen. Er kommt mit Personenschutz.
In einer nicht öffentlichen Sitzung am Donnerstag schildert er, was zuvor in Berichten vom WDR und später auch der Zeit zu lesen war: Eine Quelle berichtet von Verbindungen Anis Amris zu einer Familie in Berlin-Neukölln, von Geld und einem Fluchtwagen. Es ist eine besondere Spur, denn bis heute ist ungeklärt, wie Amri Berlin verlassen konnte. Der Hinweis aus Mecklenburg-Vorpommern deutet auf Unterstützer hin, auch deshalb drängten die Verfassungsschützer bei ihrem Referatsleiter darauf, das Wissen mit dem Bundeskriminalamt zu teilen. Doch der wiegelte ab und gab nur einen kleinen Teil der Informationen weiter.
Es dauert mehr als zwei Jahre, bis die Ermittler von dem Geld und dem Fluchtwagen erfahren und das auch nur, weil der Verfassungsschützer, der nun als Zeuge im Bundestag aussagt, sich im Oktober 2019 über seine Vorgesetzten hinwegsetzte: Er schreibt an das Bundesamt für Verfassungsschutz, an den Generalbundesanwalt – und auch an den Staatssekretär Lenz des Innenministeriums in Mecklenburg-Vorpommern.
Vor dem Ausschuss in Berlin legt der Verfassungsschützer dar, wie er sich zunächst an seinen Referatsleiter gewandt hatte, dann an den Verfassungsschutzchef. Wie er mit dem Staatssekretär sprach, der ihm versicherte, Lorenz Caffier umgehend einzuschalten. Alle drei möchte der Untersuchungsausschuss nun befragen.
Der Verfassungsschützer wurde inzwischen mehrmals versetzt, derzeit ist er beim LKA und äußert sich im Bundestag unzufrieden darüber. Sein damaliger, inzwischen pensionierter Referatsleiter wird ebenfalls im Bundestag befragt. Erst erklärt er, keine Kenntnis von den Informationen gehabt zu haben, dann, dass er den Hinweisgeber als nicht zuverlässig erachtet habe. Wie er zu dieser Einschätzung kam, kann er dem Ausschuss nicht darlegen.
Anderes Referat, ähnliche Rechtfertigungn
Der Fall weist starke Parallelen zu einem anderen Vorgang innerhalb des Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern auf. Nur das Referat ist dieses Mal ein anderes: Rechtsextremismus.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es ist der Fall des Informanten, der 2018 den Verfassungsschutz mit Interna zum mutmaßlich rechtsextremen Verein Uniter versorgt hat. Die taz hatte im Juli Recherchen dazu veröffentlicht.
Liest man im Protokoll des Landesinnenausschusses nach, klingen die Rechtfertigungen ganz ähnlich. Innenminister Caffier erklärte im August, dass es Zweifel an der Zuverlässigkeit des Hinweisgebers gegeben habe. Einerseits habe er tatsächlich interessante Details aus dem Inneren des Netzwerks übergeben. Andererseits sei die Beschreibung – mal handelt es sich um ein Berufsnetzwerk, mal ging es um paramilitärische Trainings – „in sich nicht schlüssig gewesen“. Also beschließen die Verfassungsschützer, die Informationen liegen zu lassen. Auch noch, als das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) alle Landesämter explizit um Hinweise bittet.
Erst nachdem die Fehleinschätzung der Amri-Informationen im Frühjahr öffentlich wird, geben sie ihr Wissen über den Verein Uniter weiter. Darauf erklärt das BfV Uniter zum Verdachtsfall.
Sieben Tage nachdem Caffier seine Verbindungen zu einer rechten Preppergruppe zur Privatsache erklärte, stehen seine Sicherheitsbehörden schlecht da. Die Aufarbeitung hat erst begonnen, schon jetzt ist klar, dass Gefahren strukturell unterschätzt wurden und sein Verfassungsschutz nicht ordentlich arbeitet.
Als der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter vor dem Untersuchungsausschuss seine Aussage beginnt, dürfen nur Abgeordnete und wenige Mitarbeiter*innen dabei sein, darunter ein Jurist vom Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern.
Was niemand weiß: Der Jurist taucht in den Schilderungen des Zeugen auf. Auch er war in die Vorgänge um liegen gebliebene Informationen zu Amri involviert. Auch er könnte befragt werden.
Der Zeuge weist den Bundestag auf diesen Umstand hin. Daraufhin muss der Jurist den Saal verlassen. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern, dem sowieso einiges zu entgehen scheint, bekommt an diesem Abend im Bundestag nicht einmal mehr mit, was die eigenen Leute machen.
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