Rechtsextremismus in Deutschland: Zeit für wache Eliten
In der Demokratie dauert es oft lange, bis das Richtige getan wird. Müssen wir uns damit abfinden oder liegt eine Veränderung in unserer Macht?
„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“, heißt es in der Bibel. Wann etwas geschieht, kann entscheidend sein. Aber wohin das, was dann endlich geschieht, schließlich führt – das ist viel wichtiger.
Vom US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt gibt es ein Zitat, das in Zeiten der Fieberkurven aufbauend wirken mag. In seiner Antrittsrede 1945 heißt es: „Im Leben geht nicht immer alles glatt. Manchmal geht es aufwärts und dann auf einmal scheint sich alles umzuwenden und es geht bergab. Eins aber steht fest, und das ist eine großartige Tatsache, dass die Zivilisation in einer ständigen Aufwärtsbewegung begriffen ist, dass eine imaginäre Linie, die man durch die Mitte der Höhen und Tiefen der Jahrhunderte zieht, immer aufwärts führt.“
Wie gesagt, man mag das anzweifeln; umso mehr, wenn man sich etwa vergegenwärtigt, wie lang sich ausgerechnet Deutschland Zeit gelassen hat bei der Bekämpfung der aktuellen Ausprägung der organisierten Unmenschlichkeit, also der AfD, und des in ihrem Umfeld sich ermutigt fühlenden Terrorismus. Es mangelte da nie am viel und billig beschworenen Aufstand der Anständigen, sondern vielmehr am entschlossenen Anpacken der Zuständigen.
Sechs lange Jahre lang, von 2012 bis 2018, leistete man sich an der Spitze derjenigen Behörde, die nicht zuletzt sicherstellen soll, dass der Faschismus in Deutschland Geschichte bleibt, einen Hans-Georg Maaßen. Ein Staatsdiener par excellence, der Politiker Walter Lübcke, musste im vergangenen Jahr sterben und wenige Wochen später ein Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt werden, wo nur um Haaresbreite ein Massenmord an jüdischen Mitbürgern – man möchte gern sagen: verhindert wurde, aber das wäre gelogen.
Alle machen Fehler, aber...
Aber es waren nicht nur die Funktionseliten in Politik und Behörden, die sich so lange tot stellten, bis die Toten wie vergangenen Monat in Hanau einfach nicht mehr zu übersehen waren. 2017 fand man sich als Journalist in der Minderheit, wenn man feststellte, dass man sich bei der AfD nicht überlegen muss, wie man mit ihr in Dialog tritt oder sie einbindet, sondern wie man sie bekämpft; und recht allein war auch noch, wer 2019 kritisierte, dass die Präsidentin des Brandenburger Landtags, Ulrike Liedtke (SPD), ihr strahlendstes Lächeln zeigte, als sie Andreas Galau (AfD) einen Blumenstrauß eben nicht vor die Füße warf, sondern zur Vizepräsidentenwahl gratulierend überreichte.
Alles hat eben seine Zeit. Und alle machen Fehler. Ich selbst etwa war blind für die von Anfang an klaren Hinweise, dass es sich beim Massaker im Münchner Olympiaeinkaufszentrum 2016 um einen rechtsradikalen Anschlag handelte. Und ich schäme mich dafür.
Von Roosevelt lernen
Mit der korrekten Einstufung des AfD-„Flügels“ als rechtsextrem hat der Staat gelernt, er zeigt seine Instrumente und die wirken, Druck wirkt; und man mag es inzwischen müßig nennen, festzustellen, dass die Antifa es früher gewusst hat – aber für die Opfer und ihre Angehörigen ist es das nicht. Auch in der Coronakrise haben Leute, die was von der Sache verstehen, früh und öffentlich politisches Handeln angemahnt. Stellvertretend zu nennen wäre hier der in Peking und Berlin lebende Schriftsteller Christian Y. Schmidt mit seinen Analysen in den sozialen Medien.
Ganz damit beruhigen, dass es eben dicke Bretter seien, die in der Demokratie gebohrt werden müssen, bis das Notwendige geschieht, dürfen wir uns eben nicht. Roosevelt wollte und konnte die skeptischen Amerikaner davon überzeugen, dass die USA im Kampf gegen den Faschismus nicht neutral bleiben durften. Er wurde seiner Elitefunktion gerecht. Sowohl bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus als auch bei der Vorbereitung auf die Corona-Epidemie sind bei der Befähigung der deutschen Eliten da noch viele Fragen offen.
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