piwik no script img

Rechtsextremismus in DeutschlandAnschläge nach Feierabend

In Dresden stehen acht Menschen vor Gericht, die in Sachsen Flüchtlinge und Linke angegriffen haben sollen. Sind sie Terroristen?

Justin S., der jüngste Angeklagte, in Dresden vor Gericht Foto: dpa

Dresden/München taz | Als Justin S. vor dem Richter sitzt, spricht er leise und stockend. Er ist kaum zu verstehen. Oft schaut er sekundenlang auf die Holzplatte vor sich und schweigt. Sein Anwalt legt dann die Hand auf seine Schulter.

Er habe keine Menschen verletzen wollen, sagt der 19-Jährige. Warum er den Sprengstoff gezündet habe, obwohl er wusste, dass er damit Menschenleben gefährde, fragt der Richter. Das könne er nicht sagen, sagt Justin S.

Justin S. trägt einen grauen Kapuzenpulli, er wirkt schmal und verletzlich. Seine Mitangeklagten schütteln den Kopf hinter ihm, wenn er spricht. Er schaut sie kein einziges Mal an.

Der Jugendliche ist der jüngs­te Angeklagte im Prozess gegen die „Gruppe Freital“, der seit anderthalb Wochen in Sachsen geführt wird. Am Stadtrand, gleich neben der Justizvollzugsanstalt, verhandelt das Oberlandesgericht Dresden gegen sieben Männer und eine Frau, die 2015 im sächsischen Freital eine Serie von ­Anschlägen gegen Flüchtlinge und Linke durchgeführt haben sollen. Der Vorwurf: Bildung ­einer terroristischen Vereinigung. ­Justin S. ist der einzige der Angeklagten, der aussagt. Alle anderen wollen schweigen.

Da es keinen Gerichtssaal gab, der groß genug war und den Sicherheitsanforderungen genügte, wurde extra einer gebaut, für fünf Millionen Euro. In einem Gebäude, das einmal eine Flüchtlingsunterkunft werden soll. Der Prozess stellt eine Zäsur dar. Erstmals werden Anschläge auf Asylunterkünfte als terroristische Taten behandelt.

Es gab eine Zeit im Jahr 2015, da meldeten Zeitungen täglich neue Anschläge. Es traf Flüchtlingsheime und Politiker. Die Behörden waren ratlos. Die Anschläge waren viele Nadelstiche, über ganz Deutschland verteilt.

Das Bundeskriminalamt sprach von emotionalisierten Einzeltätern, die außerhalb rechter Strukturen agierten. Nur: So genau konnte man das eigentlich nicht wissen, denn die Täter blieben in den meisten Fällen unbekannt.

Es sollte ein Klima der Angst und ­Repression erzeugt werden

Bundesanwalt Jörn Hauschild

In Freital konzentrierten sich die Anschläge.

Erst explodierte das Auto von Michael Richter, dem Stadtrat der Linkspartei. Dann flog der Briefkasten einer Flüchtlingsaktivistin in die Luft. Ein Sprengsatz explodierte vor dem Küchenfenster einer Unterkunft, in der Eritreer lebten. Ein ehemaliger Supermarkt, von dem es hieß, er solle zu einem Flüchtlingsheim umgebaut werden, stand in Flammen. Schließlich zündete jemand drei Sprengsätze vor den Fenstern einer Wohnung, in der Syrer lebten. Die Glassplitter zerschnitten einem Bewohner das Gesicht.

Die Anschläge hörten erst auf, als im November 2015 drei Männer festgenommen wurden. Im April 2016 stürmte dann die Sondereinheit GSG9 mehrere Wohnungen und nahm vier weitere Männer und eine Frau fest.

Vor Gericht sehen die acht Angeklagten harmlos aus. Die Männer kommen in schwarzen Anzügen und Kapuzenpullis. Sie lächeln, scherzen mit den Justizbeamten, die sie in Handschellen in den Saal führen. Maria K., die einzige Frau, trägt ihre blonden Haare zu einem Undercut geschnitten. In ihren weiten Jeans wirkt sie maskulin.

Es ist eine Kleinstadtclique, die hier vor dem Richter sitzt. Terroristen stellt man sich anders vor. Manchmal grüßen sie in Richtung Zuschauerraum, wo ihr Fanclub zusieht, der zum Teil auch strafrechtlich verfolgt wird: Familie, Freunde, Großeltern – und zwei Freundinnen der Angeklagten, die nach den Verhaftungen zu Verlobten wurden, damit sie die Aussage verweigern können. Am Morgen war noch ein Auto vor dem Prozessgebäude vorbeigefahren. An den Fenstern waren zwei Deutschlandfahnen befestigt, auf die jemand „Freital“ geschrieben hatte.

Endrik Wilhelm, der Verteidiger der Mitangeklagten Maria K., sagt, seine Mandantin sei in eine Dynamik geraten. Am Ende habe sie an Straftaten teilgenommen, für die es keinen vernünftigen Grund gab. Auch ein anderer Angeklagter berichtete den Ermittlern von Gruppenzwang. Justin S. sprach vor den Polizisten vom Hass der anderen, „der sich dann halt auf mich dann auch übertragen hat“.

Rechtsanwalt Wilhelm hält die Anklage für weit überzogen. Es gebe den „unbedingten Willen“ der Bundesanwaltschaft, „ein Exempel zu statuieren“, sagte er zum Prozessauftakt. Die Beschuldigten seien fast alle ohne Vorstrafe und überwiegend geständig, bei ihren Taten habe es „nur“ einen Leichtverletzten und Sachschäden von weniger als 15.000 Euro gegeben. „Das war beim NSU und der RAF irgendwie anders.“

Es klingt, als wäre nicht viel passiert. Sind die Angeklagten Terroristen? Diese Frage will der Prozess klären. Er ist auch deshalb so wichtig, weil er mit da­rüber entscheiden wird, wie die Bundesrepublik künftig Rechtsterrorismus definiert.

An einem anderen Ort, in einem anderen Fall legte sich die Justiz schon mal fest: In München verurteilte das Oberlandesgericht am Mittwoch drei Männer und eine Frau als Terroristen. Taten hatten sie noch keine begangen. Den Richtern reichten die Pläne zu Anschlägen gegen Flüchtlinge oder Salafisten, die das Quartett, das sich „Oldschool Society“ nannte, diskutiert hatte. Es war die erste Verurteilung einer rechtsterro­ris­tischen Vereinigung seit 13 Jahren – seit dem Urteil über das „Freikorps Havelland“ aus Brandenburg, das damals zehn Brandanschläge auf Mi­gran­ten verübt hatte.

Alles nur Gerede? Die Richter sahen das anders

Auch die in München Verurteilten wehrten sich vehement gegen den Terrorvorwurf. Die Anschlagspläne seien nur „Gerede“ gewesen, sagten die Verteidiger. Die Angeklagten wären gar nicht in der Lage gewesen, sie in die Tat umzusetzen. In ihren Lebensläufen stehen Schulabbrüche, Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit. Die Gruppe hatte über Chats kommuniziert, sich nur ein einziges Mal persönlich getroffen. Die Richter sahen dennoch ein festes Gruppengefüge. Die Planung eines zweiten Treffens, zu dem die Mitglieder nüchtern, schwarz gekleidet und bewaffnet erscheinen sollten, spreche dafür, dass ein Anschlag unmittelbar bevorstand. Die Neonazis erhielten Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Lange Zeit schien es offi­ziell keinen rechten Terror in Deutschland zu geben. Rechte Gewalt, ja. Aber sie galt eher als spontan, als ungeplant, als Exzess nach dem Konsum von zu viel Alkohol. Dann flog der Nationalsozialistische Untergrund auf. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hatten zehn Menschen getötet und zwei Anschläge verübt. 2011 wurde das bekannt, nachdem sie fast 14 Jahre im Untergrund gelebt hatten. Und das Bild von Rechtsterroristen wandelte sich. Man wusste jetzt, dass es sie gibt, aber man stellte sie sich wie Untergrundkämpfer vor: als jahrelang in der Szene verankerte Neonazis, die als Zelle abtauchen und von dort aus ihre Taten begehen.

Jetzt aber sitzen im Dresdner Gerichtssaal zwei Busfahrer, ein Paketzusteller, ein Altenpfleger, ein Pizzabote, ein Gleisbauer-Azubi, eine gelernte Goldschmiedin und ein Mann, der aus Früchten Figuren schnitzt. 19 Jahre alt der Jüngste, 39 Jahre der Älteste. Dem Staatsschutz war fast keiner bekannt, nur wenige haben Vorstrafen.

Man habe sich abends an der Aral-Tanke getroffen, gegenüber der Polizeiwache Freital, bei Bockwurst und Bierchen, sagte der mutmaßliche Anführer Timo S. den Ermittlern. Dann habe man überlegt: „Na ja gut, was machen wir dann heute?“ Und sie zogen los.

Für die Bundesanwaltschaft ist die Sache klar: Es gab eine feste Gruppe, zwei Rädelsführer, konspirativ geplante und vollzogene Taten. Die Tötung von Menschen sei billigend in Kauf genommen worden. „Es sollte ein Klima der Angst und Repression erzeugt werden“, sagte Bundesanwalt Jörn Hauschild in Dresden. „Politisch Andersdenkende sollten eingeschüchtert und in Deutschland lebende Asylbewerber schließlich zur Ausreise veranlasst werden.“

Und, was ebenfalls wichtig ist: Die Angeklagten agierten in einem rechten Netzwerk.

Sie hätten sich bei den Protesten gegen die Asylbewerberunterkunft im ehemaligen Hotel Leonardo kennengelernt, erzählt Justin S. vor Gericht. Sie hätten dann eine Bürgerwehr gegründet, die in Bussen patrouillierte, um die einheimische Bevölkerung vor Asylbewerbern zu schützen. Später seien sie zu den Protesten gegen ein Flüchtlingsheim in Heidenau gefahren. Dort hätten sie auch die „Freie Kameradschaft Dresden“ getroffen, mit deren Mitgliedern sie später ein alternatives Wohnprojekt in Dresden-Übigau überfielen. Ein Angeklagter, Früchteschnitzer Rico K., in beiden Gruppen aktiv, agierte als Mittelsmann, genau wie der mutmaßliche Rädelsführer Timo S. Über Handy hätten sich beide Gruppen verständigt und dann mit gut 20 Leuten das Haus mit Steinen, Sprengstoff und Buttersäure angegriffen, von vorne und hinten gleichzeitig.

Auch den Freitaler NPD-Stadtrat Dirk Abraham belastet Justin S. schwer. Er sei von Anfang an dabei gewesen und ein vollwertiges Mitglied der Gruppe. Er habe die „Gruppe Freital“ mit Informationen über linke Demonstrationen und Adressen von Flüchtlingsunterkünften versorgt, zu denen er als Stadtrat Zugang hatte. Zusammen mit den Angeklagten habe er ein Oktoberfestzelt in Dresden ausgekundschaftet, das zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden sollte, um dort später einen Brandanschlag zu begehen. Justin S. sagt, er selbst habe in der Zeit in einer Bar gesessen und auf die Handys aufgepasst, damit sie nicht von der Polizei geortet werden konnten.

Entstand die „Gruppe Freital“ also aus einer Blitzradikalisierung heraus? Wahrscheinlich nicht. Denn die Angeklagten waren zum Teil seit Jahren in der rechten Szene aktiv. Fotos und Videos im Netz zeigen den mutmaßlichen Freital-Anführer Timo S. bei NPD-Aufmärschen in Hamburg und Neumünster in den Jahren 2009, 2011 und 2012. Dem Verfassungsschutz ist S. schon seit 2011 als Rechtsextremist bekannt.

Auch der zweite mutmaßliche Rädelsführer Patrick F. hat einschlägige Kontakte. Er gehörte früher der rechtsextremen Dresdner Hooligangruppe „Faust des Ostens“ an. Gegen sie wird seit Jahren ermittelt, 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Doch ein Prozesstermin ist nicht angesetzt, das Gericht findet keine Zeit dafür.

Der Angeklagte Rico K. wiederum war im Januar 2016 dabei, als Neonazis in Leipzig-Connewitz einen Straßenzug verwüsteten – zusammen mit Mitgliedern von „Faust des Ostens“.

Man sieht an diesen Beispielen: Die Mitglieder der rechtsextremen Gruppen kennen sich und agieren oft gemeinsam. Haben die Sicherheitsbehörden ein Problem, diese Zusammenhänge zu erkennen?

Es gibt Fälle, die darauf hindeuten. Ein Beispiel: In der brandenburgischen Stadt Nauen hatte eine Neonaziclique 2015 eine Turnhalle abgebrannt, die als Flüchtlingsunterkunft geplant war. Zudem flogen Farbbeutel auf ein Linksparteibüro, und das Auto ­eines Polen wurde angezündet. Ein Angeklagter war NPD-Mann, ein zweiter für sein früheres ­Mitwirken in der Terrorgruppe „Freikorps Havelland“ verurteilt. Im Prozess aber ließ die Staatsanwaltschaft den Vorwurf, es handle sich um eine kriminelle Vereinigung fallen, „aus pro­zess­ökonomischen Grün­den“.

Oder Ballstädt in ­Thüringen: 2014 überfielen Neonazis dort die Feier einer Kirmesgesellschaft, auf der sie Linke vermuteten. Im laufenden Prozess verkündete der Richter, der rechtsextreme Hintergrund der Angeklagten sei für die Tat ohne Belang. Es sei nur um eine eingeworfene Fensterscheibe gegangen.

Auch die Taten der Freitaler Gruppe wollte die anfangs ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft Dresden vor einem Amtsgericht verhandeln – und die Delikte einzeln anklagen. Einen Terrorverdacht verneinte sie. Dann griff die Bundesanwaltschaft ein und erhob genau diese Anklage. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden zeigte sich erstaunt.

Aktuell ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft auch gegen die Kameradschaft Dresden. 17 mutmaßliche Mitglieder ließ sie Ende November durchsuchen, sechs festnehmen. 14 Straftaten sollen die Dresdner verübt haben, darunter Körperverletzungen und Sachbeschädigungen; aber auch der Angriff auf das alternative Wohnprojekt in Dresden, zusammen mit der „Gruppe Freital“, und eine versuchte Brandstiftung an dem ehemaligen Supermarkt in Freital. Der Vorwurf aber lautet hier, anders als bei den Freitaler Angeklagten: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Warum?

„Es ist eine sehr komplizierte Entscheidung, wo man die Grenze zieht“, sagt ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. „Wir brauchen eine Tatsachengrundlage, die den Terrorismusvorwurf hergibt. Und die sehen wir derzeit nicht.“

Die Bundesanwaltschaft sieht derzeit in diesem Fall ebenfalls „keine Anhaltspunkte dafür, dass Straftaten vorliegen, die unsere Zuständigkeit begründen würde“.

Ist die Terrordefinition aus der RAF-Zeit zeitgemäß?

Im Strafgesetzbuch definiert Paragraf 129a eine terroristische Vereinigung. Bestraft wird, wer sich an einer Gruppe beteiligt, die Morde oder schwere Straftaten plant, um die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern oder die Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen. Der Paragraf entstand zur Zeit der RAF. Für eine Anklage der „Gruppe Freital“ als terroristische Vereinigung reichte er aus – aber möglicherweise fallen andere Gruppen, die ähnlich agieren, durch das Raster. Denn für eine Anklage als Terrorgruppe muss eine feste Struktur nachgewiesen werden. Ist das in Zeiten von Messenger-Diensten und Facebook-Gruppen noch zeitgemäß?

Die Anschläge der „Gruppe Freital“ wurden über den Messenger-Dienst KakaoTalk geplant. 16 Teilnehmer waren im „Schwarzen Chat“ – darunter die acht jetzt Angeklagten. „Dort werden ausschließlich heftige Aktionen besprochen“, schrieb der Angeklagte Philipp W. in dem Chat. „Kein Gequatsche, nur Pläne. Teilnehmer sind ausschließlich die Terroristen.“

Die Gruppe bemühte sich auch, einen Raum zu mieten. Ein „Terrorzellenhauptquartier“, wie einer der Angeklagten schrieb. Und sie hatten eine Facebook-Seite, auf die Timo S. Fotos von den Anschlägen stellte.

Justin S. erzählt, wie sich die Angeklagten nachts trafen, um Fotos für die Seite zu machen. Auch NPD-Stadtrat Dirk Abraham sei dabei gewesen. Sie hätten sich vermummt, Bengalos gezündet. Justin S. beschreibt die Stimmung als euphorisch. Fahnen seien geschwenkt worden, darunter eine mit dem Schriftzug „Freital“ und eine Hakenkreuzfahne. Eine Mitgliederliste habe es nicht gegeben, so wenig wie einen Namen für die Gruppe. Aber macht sie das weniger gefährlich?

Als die Polizei bei den Angeklagten anrückte, hatten diese noch mehr als 250 illegale Böller vorrätig. „Wie Splitterbomben“ hätten die eingesetzten Böller gewirkt, heißt es in der Anklage. 130-mal so stark wie Silvesterfeuerwerk. Und die Ermittler stellten fest, dass sich die Gruppe bereits mit dem Bau von Rohrbomben befasst hatte.

Für das, was gerade in Dresden verhandelt wird, verwendet der Stuttgarter Terrorismusforscher Daniel Köhler den Begriff „Schwarmterrorismus“. Es handle sich um Anschläge aus einer Masse heraus, die sich „gedanklich im Kriegszustand“ mit dem Staat befinde und Gewalt daher für legitim halte. Die Gruppen würden von der Stimmung auf Pegida-Kundgebungen oder in Foren angeheizt. „Es entsteht eine Blase, in der vermittelt wird, es wäre super, wenn einer mal was tut, statt nur zu quatschen“, sagt Köhler. Und dann würden Einzelne tatsächlich schwere Gewalt ausüben.

„Die Rechtsprechung zum Terrorismus ist überholt“, sagt er. Diese gehe bis heute von festen, langfristig agierenden Gruppen aus. „Die gab es im rechtsextremen Bereich aber fast nie. Wenn wir immer nur nach einer festen Gruppenstruktur suchen, werden wir Rechtsterrorismus nicht erkennen.“

Köhler hat im vergangenen Jahr erstmals eine Datenbank zum Rechtsterrorismus erstellt: 123 Sprengstoffanschläge seit 1971 zählte er, 2.173 Brandstiftungen, 229 Morde. Statt fester Gruppen registrierte er vor allem Einzeltäter oder lose Gruppen. Neonazis entwickelten dafür ein eigenes Konzept: den „führerlosen Widerstand“. Mit dem Terrorismus-Paragrafen lässt der sich nicht fassen.

Die Botschaft an die Opfer – Flüchtlinge, Linke oder Politiker – bleibe dabei die gleiche wie früher, so Köhler: „Verschwindet. Der Staat kann euch nicht schützen.“ Deshalb müsse man auch hier von Terrorismus sprechen.

Die Sicherheitsbehörden haben dazugelernt. In einem aktuellen internen Lagebild heißt es, anders als noch vor zwei Jahren, es müsse „auch die Bildung terroristischer/krimineller Gruppen innerhalb des rechten Spektrums in Betracht gezogen werden“. Dafür spreche etwa die Affinität zu Waffen in der Szene und „die weiter zunehmende verbalradikale Rhetorik“.

Die Bundesanwaltschaft ist schon weiter. Sie klagte die Freitaler Gruppe und die „Oldschool Society“ als Terroristen an. Demnächst soll eine weitere Anklage folgen: gegen eine Gruppe aus der lange unterschätzten Szene der Reichsbürger, die Angriffe auf Flüchtlinge, Polizisten und Juden diskutierten.

In Dresden geht unterdessen der Prozess gegen die „Gruppe Freital“ weiter. Kommende Woche werden Polizisten, Komplizen und NPD-Stadtrat Dirk ­Abraham als Zeugen vernommen. Noch bis September soll verhandelt werden. Bisher läuft es für die Bundesanwaltschaft gut. Auf die Haftbeschwerde eines Angeklagten antwortete der Bundesgerichtshof: Die Freitaler erfüllten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Voraussetzungen für den Terrorismusvorwurf. Zu erwarten seien „empfindliche Freiheitsstrafen“.

Die Angeklagten scheinen wenig beeindruckt. Keiner von ihnen hat sich bisher entschuldigt. Aus der Haft schrieb der Beschuldigte Philipp W. seiner Freundin, in der JVA gebe es „fast nur Kanaken“. Als Beamte seine Zelle durchsuchten, fanden sie eine Armbinde mit Hakenkreuz, eine Collage aus Schweinen und betenden Muslimen und die Zeichnung eines Konzentra­tionslagers mit der Überschrift „Jedem das Seine“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!