Rechtsextremismus bei Berliner Polizei: Nicht mehr 99,9 Prozent lupenrein
106 aktive Polizisten in Berlin stehen unter Rechtsextremismusverdacht. Die Zahl ist auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erfassung.
Bekannt sind den Behörden demnach 94 Beamt:innen und 12 Tarifbeschäftigte, die unter Rechtsextremismusverdacht stehen; hinzu kommen fünf ehemalige Polizist:innen. Die Zahlen haben sich damit innerhalb von anderthalb Jahren etwa verdoppelt. Ende 2020 liefen noch 47 Disziplinarverfahren gegen Polizist:innen wegen des Verdachts auf rechtsextreme oder rassistische Äußerungen sowie 24 Strafverfahren wegen rechtsextremistischer Vorfälle.
Damals hatten Polizeipräsidentin Barbara Slowik und zuvor auch der ehemalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) unisono betont, dass 99,9 Prozent der Beschäftigten bei der Polizei fest auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Mit den neusten Zahlen lässt sich dies nicht mehr halten. Bei 26.000 Beschäftigten der Polizei sind 106 Verdachtsfälle bereits 0,4 Prozent. Bleiben maximal 99,6 Prozent, die bislang nicht wegen verfassungsfeindlicher Tendenzen aufgefallen sind. Der Senat stellt dennoch fest: „Ein flächendeckendes Problem mit rechtsextremistischen Bestrebungen im Berliner Landesdienst konnte nicht festgestellt werden.“
Fälle von politischem Extremismus innerhalb der Polizei werden erst seit wenigen Jahren überhaupt statistisch erfasst. Für die Bearbeitung bekannt gewordener Fälle und die Bekämpfung rechtsextremistischer Tendenzen ist seit vergangenem Frühjahr die fünfköpfige Ermittlungsgruppe Zentral zuständig. Slowik hatte anlässlich deren Einsetzung gesagt: Wenn der Polizei vorgeworfen werde, in den eigenen Reihen auf dem rechten Auge blind zu sein, sei das „auch eine Gefahr für unsere Integrität und das Vertrauen in uns“.
Möglichst entfernen
Zu den Grundlagen der Arbeit der EG Zentral gehört unter anderem ein 11-Punkte-Plan zur Vorbeugung und Bekämpfung von möglichen extremistischen Tendenzen, den Gesiel und Slowik angesichts diverser Skandale im Sommer 2020 vorgestellt hatten und der nun „zum Tragen“ komme. Ziel sei es, so geht aus der Antwort auf die Anfrage hervor, „Dienstkräfte, die nicht mehr vollumfänglich auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, aus dem Beamten- bzw. Arbeitsverhältnis zu entfernen bzw. zu entlassen.“
In einer zweiten Anfrage wollte der AfD-Abgeordnete Tabor auch Auskunft über die Gefahr durch linksextremistische Personen im öffentlichen Dienst erlangen. Demnach ist ein Tarifbeschäftigter bekannt, gegen den ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der Senat schreibt: „Ein Problem mit Linksextremismus im Berliner Landesdienst konnte nicht festgestellt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann