Rechtsextreme in der Bundeswehr: Das Spiel mit den Zahlen
200 Rechtsextreme sollen seit 2008 in der Bundeswehr aufgefallen sein. Wird alles nur noch schlimmer? Eine Einordnung.
Seit der Journalist Markus Decker in der Nacht auf Montag in der Mitteldeutschen Zeitung über ein Schreiben aus dem Bundesverteidigungsministerium berichtet hat, bestimmte die Zahl am Montag die Schlagzeilen. Die Grundlage: „Seit 2008“, so schreibt es das Bundesverteidigungsministerium in einem Schreiben, das auch der taz vorliegt, „hat der Militärische Abschirmdienst in rund 200 Fällen die jeweilige Person nach Abschluss der Ermittlungen als Rechtsextremist bewertet.“
Das Schreiben war die Antwort auf eine schriftliche Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic und nicht, wie viele Medien fälschlich berichten, die Antwort auf eine Kleine Anfrage. Der Unterschied ist: In einer Kleinen Anfrage werden in der Regel mehrere Fragen gestellt und auch beantwortet. In der vorliegenden Antwort fehlt ein solcher Kontext. Darin steht lediglich der oben genannte Satz.
Was also sind die Hintergründe? Was ist der Kontext? Und wie funktioniert der deutsche Nachrichtenmarkt? Eine Kurzeinordnung.
Die Nachricht
Wer am Montagfrüh die Nachrichten sichtete, kam auch um diese nicht herum: “200 Rechtsextreme in der Bundeswehr“ berichtete etwa tagesschau.de am Montagmorgen um 7.14 Uhr – sachlich korrekt. In der Nacht hatten verschiedene Nachrichtenagenturen den Bericht der Mitteldeutschen Zeitung aufgegriffen. Kurz nach der Tagesschau, um 8.02 Uhr, berichtete Zeit Online: „Geheimdienst stufte jährlich 20 Soldaten als rechtsextrem ein“. Das ist zwar nicht ganz korrekt, stimmt aber dann, wenn man den Durchschnitt von insgesamt 200 Soldaten seit 2008 auf die Dauer von 10 Jahren rechnet (Mathe: 200 durch 10). Warum dies eine kleine Rolle spielt? Werden wir noch sehen.
Natürlich ist es relevant zu wissen, wie groß das Engagement rechtsextremistischer Zirkel oder Einzelpersonen innerhalb der Bundeswehr ist. Erstens sowieso – aber zweitens auch: ganz konkret.
Der Hintergrund
Immer wieder hatten schließlich mutmaßlich rechtsextremistische Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt – etwa im spektakulären Fall des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als vermeintlich syrischer Flüchtling registriert, zuvor seine fremdenfeindlichen Gedanken in einer wissenschaftlichen Arbeit dokumentiert hatte und schließlich auf dem Flughafen Wien dabei erwischt wurde, wie er eine dort hinterlegte Waffe abholte. Auch aufgrund dieses Falls ordnete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, die eigene Armee gezielter auf rechtsextremistische Umtriebe hin zu durchsuchen – was nicht überall in der Bundeswehr auf Gegenliebe stieß.
Dass die Bundeswehr in rechten Zirkeln weiterhin eine hohe Anziehungskraft genießt, zeigten auch Hausdurchsuchungen Ende August in Mecklenburg-Vorpommern. Mitte September berichtete die taz gemeinsam mit dem NDR darüber, dass die dortige Razzia wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat direkt zu unterschiedlichen Mitgliedern des Reservistenverbandes in Mecklenburg-Vorpommern führte.
Der Generalbundesanwalt war Ende August eigens mit ortsfremden Polizeikräften in Mecklenburg-Vorpommern angerückt, um dort zwei Beschuldigte und vier Zeugen zu durchsuchen. Fünf von ihnen waren ehemalige Soldaten – und allesamt Mitglied im Reservistenverband. Der war schon zuvor wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil sich unter seinem Dach auch immer wieder Rechtsextreme, etwa zu Schießübungen, versammelt hatten.
Wie groß oder klein der Raum für Rechtsextreme in der Bundeswehr ist, ist daher eine beachtete Frage. Als MAD-Präsident Christof Gramm am 5. Oktober beim Parlamentarischen Kontrollgremium im Deutschen Bundestag zu Gast war, sprach er dabei auch davon, dass sein Nachrichtendienst jährlich rund acht Extremisten in den Reihen der Bundeswehr feststelle. Das sorgte nun für Verwirrung. Denn wie Zeit Online zog auch die Grünenpolitikerin Irene Mihalic eine Durchschnittszahl herbei.
Sie sagte der Mitteldeutschen Zeitung: „Über 20 Rechtsextreme bei der Bundeswehr jährlich – das ist schon eine relevante und bedenkliche Größenordnung. Wenn der Präsident des MAD noch in der Anhörung von zirka acht festgestellten Nazis pro Jahr spricht, zeigt sich jedoch noch eine hohe analytische Unsicherheit bei dem Thema.“
Das Missverständnis
Kann der MAD nicht zählen? Wie kommt es, dass der MAD-Chef sich vermeintlich derart vertun konnte? Das liegt offenbar ganz einfach an der Frage, wer in der Sache wie welchen Durchschnitt berechnet – und wer die analytische Unsicherheit hat. Denn die Zahlen lassen sich durchaus präzisieren, es reicht ein Blick in die zeitliche Statistik.
Nach Informationen der taz, sind in den letzten Jahren wesentlich weniger Rechtsextremisten in der Bundeswehr aufgefallen als zuvor. Demnach habe der MAD in den Jahren 2008 bis 2011 jeweils rund 40 Rechtsextremisten in den eigenen Reihen ausgemacht, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes der taz. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht sanken die Zahlen dann auf einen Bruchteil. Laut MAD fanden die Bundeswehr-Ermittler in den Jahren von 2012 bis heute dann jährlich nur noch rund vier Rechtsextremisten in der Bundeswehr, die sich nach Abschluss der internen Ermittlungen auch als solche entpuppten – unter ihnen etwa Franco A.
So ließe sich auch erklären, weshalb MAD-Chef Gramm im Bundestag von im Durchschnitt rund acht Extremisten jährlich sprach, die dem MAD in den letzten Jahren ins Netz gingen – vier Rechtsextremisten, plus ein paar weitere. So fallen der Bundeswehr zunehmend auch Soldaten ins Auge, die einen mutmaßlich islamistischen Hintergrund haben sollen.
Die Folgerung
Gibt es also 200 Rechtsextremisten in der Bundeswehr? Schon lange nicht mehr – oder zumindest nicht in der Form, dass sie dem MAD aufgefallen wären. Was, wie und warum dem MAD auffällt, ist dann wieder eine andere Frage. Denn der MAD verfügt innerhalb der Bundeswehr zwar über zahlreiche Mittel – schwierig wird es aber etwa da, wo Reservisten ins Spiel kommen. Diese fallen, so sie sich gerade nicht aktiv in einem Einsatz oder einer Übung der Bundeswehr befinden, unter die Zuständigkeit der Verfassungsschutzsämter. Weil das ein mögliches Einfallstor für Extremisten sein könnte, wollen MAD und Verfassungsschutz hier in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe künftig besser zusammen arbeiten.
Der Check-Inn
Wie also verhindert die Bundeswehr Zulauf von Rechtsextremisten? Erst seit kurzem verfügt das Militär hier über Möglichkeiten, die es vorher nicht hatte. Denn obwohl die Bundeswehr an Kriegswaffen ausbildet, wird erst seit jüngster Zeit jeder Bewerber, der für den Militärdienst in Frage kommt, auch wirklich sicherheitstechnisch durchleuchtet – allerdings auf niedrigem Niveau.
Das ist schon ein Fortschritt. Früher sind Bewerber der Bundeswehr nicht automatisch sicherheitsdienstlich überprüft worden. Dass dies seit dem 1. Juli 2017 anders ist, regelt das Soldateneinstellungsgesetz in Zusammenspiel mit dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz. War es zuvor gängig, lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis anzufordern, so werden seit dem 1. Juli 2017 auch Anfragen im nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS vorgenommen, bei Verfassungsschutzämtern und in Dateien des Bundeskriminalamts nachgeforscht. So sollen der Bundeswehr künftig früher bedenkliche Biografien in den eigenen Reihen auffallen – und nicht erst, wenn Soldaten bereits straffällig wurden oder Kameraden sich trauten, fragwürdiges Verhalten auch wirklich zu melden.
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