Rechtsextreme in Bremen vor Gericht: Nazis wollen Brandanschlag auf linkes Zentrum gestehen
Drei Bremer aus der Naziszene sollen das Jugendzentrum „Friese“ angezündet haben. Zum Prozessauftakt kündigen sie eine Einlassung an.
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Nach einer Viertelstunde ist die Anklage verlesen. Die Staatsanwaltschaft hält den Angeklagten vor, in der Nacht auf den 16. Februar 2020 gegen Mitternacht im alternativen Jugendzentrum „Friese“ im Bremer Steintor-Viertel einen Brand gelegt zu haben, der das Leben von 33 Menschen gefährdet habe. Das hätten die drei mit ihrer Tat gemeinschaftlich billigend in Kauf genommen.
Im offenen Café im ersten Stock der „Friese“ hätten sie mit einem Feuerzeug Bekleidung angezündet, das Feuer habe auf den rund 50 Quadratmeter großen Raum übergegriffen. Drei Menschen erlitten Rauchvergiftungen, zwei von ihnen kämpften bis heute mit den psychischen Folgen. Eine der Geschädigten tritt als Nebenklägerin auf. Sie möchte wegen möglicher weiterer Bedrohungen nicht namentlich erwähnt werden.
Die Zahl der Betroffenen will eine Mitarbeiterin der Betroffenenberatung Soliport so nicht stehen lassen. Der Anschlag habe nicht nur die ärztlich Attestierten im alltäglichen Leben beeinträchtigt. Denn alle, die in jener Nacht in der „Friese“ waren, hätten sterben können. Bis heute ist eine Pressemitteilung der Bremer Polizei anlässlich einer Durchsuchung bei den Angeklagten 2021 abrufbar, nach der bei dem Anschlag niemand verletzt worden sei.
Am Abend des Anschlags bemerkten Besucher eines Konzerts der Veranstaltungsgruppe „Sissi und Die Chinesische Wäscherei“ zunächst einen Rauchgeruch. Wenig später schlug dem Leiter des Jugendzentrums „beißender, grünlich-bräunlicher Qualm“ entgegen, als er die Brandschutztür zum Backstagebereich im ersten Stock einen Spalt weit öffnete. „Sofort alle raus!“, brüllte er nach unten zu den Gästen des experimentellen Konzerts, so berichtete er es Anfang Januar der taz. Die gerufene Feuerwehr konnte den Brand löschen. Ein Sachschaden von 180.000 Euro entstand.
In der Brandnacht entdeckte der Leiter am Eingang der „Friese“ Aufkleber der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ und von weiteren Szene-Gruppen. Das Tatmotiv lag nahe, auch der Täter*innen-Kreis. „Dennoch wurden die Ermittlungen in der wichtigen Phase unmittelbar nach der Tat mit wenig Eifer geführt“, sagt die Nebenklage-Vertreterin Lea Voigt. Die konkreten Hinweise hätten zunächst keinerlei Konsequenzen gehabt, so die Rechtsanwältin.
Erst anderthalb Jahre später habe es bei den Anklagten, die dem 2019 verbotene Verein „Phanlanx18“ nahestanden, Durchsuchungen gegeben. Bei Jan Henrik E. soll die Polizei in der Wohnung auch auf Hakenkreuzfahnen und Adolf-Hitler-Bilder gestoßen sein. Die Polizei soll aber auch Utensilien des verbotenen Netzwerks „Blood & Honour“ und Szeneschriften gefunden haben, die zum bewaffneten Kampf aufrufen.
Blendeten Ermittler rechtsterroristisches Motiv aus?
„Angesichts der Funde in der Wohnung des Mannes muss man davon ausgehen, dass er mit dem Prinzip des,führerlosen Widerstands' sympathisiert, das die ideologische Grundlage der Mord- und Anschlagsserie des NSU-Netzwerks bildet“, sagt Voigt. Sie könne aber nicht erkennen, dass die Ermittlungsbehörden „jemals ein rechtsterroristisches Motiv für den Brandanschlag in Betracht gezogen“ hätten – obwohl die Fachdienststelle des Landeskriminalamts für politische Straftaten ermittelt habe, die diese Expertise haben müsste. Ihre Mandantin sagt: „Fünf Jahre mussten wir dafür kämpfen, dass wir ernst genommen werden, was unglaublich viel Zeit und Energie gekostet hat.“
Im Saal 218 kündigen die Verteidiger an, die Angeklagten wollten sich zur Tat äußern. Der Vorsitzende Richter weist darauf hin, dass auch der Vorwurf der Beihilfe zur Brandstiftung überprüft werden müsse.
Dave S. muss sich in diesem Verfahren wegen einer weiteren Straftat verantworten: Im August 2024 soll er in einer Straßenbahn der Linie 3 die Glastür der Fahrerkabine zertrümmert und auf den Fahrer mit nicht deutschem Namen eingeschlagen haben. Erst zwei Männer konnten S. wegziehen. Den Angeklagten drohen mehr als vier Jahre Haft.
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