Rechtsextreme Szene in Österreich: Identitäre in der FPÖ enttarnt
Laut Verfassungsschutz gehören zahlreiche FPÖ-Politiker und -Mitarbeiter der rechtsextremen Gruppe an. Die FPÖ gerät in Erklärungsnot.
Anlässlich der jüngsten Berichte über eine Spende des rechtsradikalen Christchurch-Attentäters an den österreichischen Chef der Identitären Martin Sellner war die Regierungspartei FPÖ auf Distanz zu der Gruppe gegangen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der noch 2016 den „friedlichen Aktionismus“ der „nicht-linken Bürgerbewegung“ gepriesen hatte, gab sich plötzlich schroff gegenüber den Seelenverwandten: „Mit einem Herrn Sellner, der ein Hakenkreuz auf eine Synagoge geklebt hat, haben wir nichts zu tun, und wollen wir mit ihm nichts zu tun haben.“
ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die Identitären „widerlich“ findet, forderte den Koalitionspartner auf, sein „schwammiges Verhältnis“ zu dem vom Verfassungsschutz beobachteten Verein zu klären. Kurz hat auch versprochen, dass „weder rechts- noch linksextreme Medien“ künftig von der Regierung mit Inseraten gefördert werden dürfen. Da entsprechende Zuwendungen an linke Medien nicht bekannt sind, muss das als Aufforderung an FPÖ-Ministerien verstanden werden, rechtsextreme Medien nicht weiter mit teuren Annoncen zu sponsern.
Angesichts der jetzt bekannt gewordenen Liste kommt die FPÖ neuerlich in Erklärungsnot. Es ist dokumentiert, dass namentlich genannte Parteifunktionäre oder Kabinettsmitarbeiter Mitgliedsbeiträge oder Spenden auf Konten der Identitären überwiesen haben. Und es dürfte noch mehr folgen. Denn von 528 dem BVT bekannten Mitgliedsnummern der Identitären konnten erst 364 einer Person zugeordnet werden. Seit dem Jahr 2012 sollen die Identitären über drei Vereine mehr als 700.000 Euro eingenommen haben.
Die Taktik: alles verharmlosen
Die in den Medien genannten Personen versuchen nun, ihre Spenden oder Mitgliedsbeiträge zu verharmlosen. Der Grazer FPÖ-Gemeinderat, der bis vor Kurzem noch ein Lokal an die Identitären vermietet hatte, wies Nachfragen hinsichtlich seiner Zahlungen als „Frechheit“ zurück. Für Parteichef Strache sind Spenden von FPÖ-Mitgliedern an die Identitären „deren Privatsache“ und daher nicht zu bestrafen.
Das Dokument, in das der ORF Einsicht hatte, stellt auch den laut Strache „gewaltfreien“ Charakter der Identitären in Frage. 75 der 364 identifizierten Mitglieder sollen eine Schusswaffe besessen haben. Gegen 10 bestand zu dem Zeitpunkt ein aufrechtes Waffenverbot, 68 hatten kriminalpolizeiliche Vormerkungen wegen Verdachts einer Straftat. 32 waren rechtskräftig verurteilt, 16 wegen Gewaltdelikten, 6 nach dem NS-Verbots-Gesetz.
Ab Juli 2017, so der BVT-Bericht, seien die Zahlungsflüsse für die Behörden schwerer nachvollziehbar gewesen, weil die Gruppe ihre Konten ins Ausland verlagert hatte. Im Jahr 2018 habe es aber rund 600 Einzelspenden gegeben.
Österreichs Identitäre zeigen sich in Diskurs und Zielen weitgehend deckungsgleich mit der FPÖ. Martin Sellner hat die FPÖ einmal als „unsere Lobby-Gruppe“ bezeichnet. Die Regierung hat sogar ihre Ablehnung des UNO-Migrationspaktes im Vorjahr auf eine Übersetzung der Identitären gestützt, in der die englische Formulierung für „geregelte Migration“ als „planmäßige Migration“ falsch übersetzt war.
Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes beschreibt die Identitären als „rechtsextreme Jugendorganisation mit vielfältigen faschistischen Anklängen in Theorie, Ästhetik, Rhetorik und Stil. Durch Aktionismus mit begleitender Pressearbeit nach dem Vorbild von NGOs und intensive, vergleichsweise professionelle Bespielung sozialer Medien wird eine große Breitenwirkung angestrebt und … auch erreicht“. Die Etablierung der Identitären in Österreich sei „maßgeblich als Reaktion auf den sich verstärkenden Repressionsdruck auf die Neonaziszene nach 2010“ zurückzuführen. In Europa kooperieren sie vor allem mit neofaschistischen Gruppen in Ungarn und Italien.
Die Identitären sehen sich nach der Veröffentlichung der Liste laut einer schriftlichen Stellungnahme als Opfer einer „Diffamierungskampagne“. Für Samstag haben sie eine Demonstration vor dem Justizministerium angemeldet. Deren Motto: „Für Meinungsfreiheit und gegen den Großen Austausch“. Das ist genau der verschwörungstheoretische Slogan, den der Christchurch-Attentäter in seinem Bekennerschreiben als Tatmotiv anführte.
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