Rechtsexperte über Impfpflicht: „Indirekter Zwang ist möglich“
Medizinanwalt Rudolf Ratzel hält eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für umsetzbar. Es komme auf den Arbeitsbereich der Beschäftigten an.
Herr Ratzel, in den USA haben Unternehmen wie Google, Facebook und Uber eine Impfpflicht für ihre Angestellten eingeführt. Wäre das theoretisch auch in Deutschland möglich?
Rudolf Ratzel: Das muss man differenziert beantworten. Wenn Sie die Frage stellen: Darf der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zwingen, sich impfen zu lassen? Dann lautet die Antwort: Nein, das darf er natürlich nicht. Aber es darf ein indirekter Zwang ausgeübt werden. Insofern, dass in Berufen, die in Gefährdungsbereichen liegen, wie zum Beispiel Pflegeheime, Krankenhäuser oder Kindergärten, die Beschäftigung an diesem Platz davon abhängig gemacht werden kann, dass sich der oder die Betroffene entsprechenden Impfungen unterzieht.
Eine solche Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen gibt es bereits bei der Masern-Schutz-Impfung. Hier gibt es auch schon eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der entsprechende Verpflichtungen der Arbeitnehmenden als nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßend eingestuft hat.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Unternehmen eine Covid-19-Impfung voraussetzen dürfen?
Das kommt auf jeden Fall auf den Bereich an, in dem die Beschäftigten tätig sind. Bei Google zum Beispiel kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Bedienstete in Problemzonen tätig sind. Da wäre es sicherlich schwierig, den Vergütungsanspruch von einer Impfung abhängig zu machen, zumindest in Deutschland. Bei Uber würde ich es differenzierter betrachten. Das ist ja ein Personenbeförderer. Da wäre es durchaus möglich zu sagen: Du kannst nur Vertragspartner bleiben, wenn du dich einer Impfung unterziehst.
Halten Sie eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für ein geeignetes Mittel, um die Impfbereitschaft zu erhöhen?
Das ist weniger eine rechtliche als eine gesellschaftspolitische Frage. Meine persönliche Meinung ist: Ja, für bestimmte Berufe wie im Pflegebereich würde ich das sogar begrüßen.
An verschiedener Stelle wurde öffentlich behauptet, eine allgemeine Impfpflicht sei verfassungswidrig. Stimmt das?
Jahrgang 1955, ist Fachanwalt für Medizinrecht und ehrenamtlicher Vorsitzender des Ausschusses Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Nein, das zu behaupgten ist vermessen. Oft wird vergessen, dass es in Deutschland schon einmal eine Impfpflicht gab – und zwar gegen die Pocken. Das ist ab Mitte der 70er Jahre nicht mehr relevant gewesen, weil die WHO die Pocken als ausgestorben eingestuft hat. Aber das ist damals vom Verfassungsgericht durchgewunken worden. Nun kann man sagen, dass sich die Sensibiität vielleicht geändert hat. Allerdings sind auch ganz aktuell Anträge gegen die Masern-Schutz-Pflichtimpfung vom Verfassungsgericht abgelehnt worden.
Unter welchen Voraussetzungen könnte die Politik eine allgemeine Impfpflicht einführen?
Der Vorteil für die Allgemeinheit muss die Risiken für das Individuum deutlich überwiegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“