Rechte der Hausangestellten in Brasilien: Abschied von der Privatsache
In Brasilien bekommen die Hausangestellten mehr Rechte. Der Senat stimmt am Dienstag darüber ab. Der Mittelstand sucht bereits nach Schlupflöchern.
RIO DE JANEIRO taz | Wenn sie abends alle zusammen auf dem Sofa sitzen, ist Telenovela-Zeit. Dann essen alle Popcorn, schimpfen über untreue Liebhaber oder verwöhnte Töchter. Wird in der Fernsehserie eine Braut vor dem Altar sitzengelassen, dann werden die Taschentücher rausgeholt. Nur nicht bei Angélica. Während die Familie schluchzt, schmunzelt sie. Sie ist die Hausangestellte, hat im Alter von vierzehn Jahren das erste Mal geheiratet und nie Glück gehabt. Mit der jungen Braut hat sie kein Mitleid. Manche Unterschiede bleiben. Trotz Popcorn, Sofa und Novela.
Angélica ist eine empregada doméstica, eine Hausangestellte, in Brasilien ein weit verbreiteter Beruf. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr Hausangestellte als in dem südamerikanischen Land, sieben Millionen sind es derzeit. Sie stellen acht Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse.
Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wird nun eine Verfassungsänderung beschlossen, die ihnen die gleichen Rechte zugesteht wie anderen Berufsgruppen, also zum Beispiel bezahlte Überstunden und einen besseren Kündigungsschutz. In der Debatte im brasilianischen Senat wurden die Änderungen sogar mit dem Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei 1888, dem Lei Áurea, verglichen. Viele Arbeitgeber fürchten um „ihre“ doméstica.
Angélica ist hoch gewachsen, hat krauses schwarzes Haar und dunkelbraune Haut. Sie ist bei Familie Souza seit über zehn Jahren angestellt. In deren Vierzimmerwohnung macht sie den Haushalt. Die Souzas leben in einer Appartment-Wohnanlage. Sie sind keine Großverdiener: der Vater ist Musikschullehrer, die Mutter arbeitet als Bürokraft in einem Erdölunternehmen.
Der Tag beginnt um vier Uhr morgens
Dennoch haben sie, wie fast alle ihre Bekannten auch, eine Hausangestellte. Die wohnt in Duque de Caxias, einer Stadt auf der anderen Seite von Rio de Janeiro. An zwei Tagen in der Woche steht sie um vier Uhr morgens auf, nimmt den Bus um fünf und ist um halb acht in der Wohnung der Souzas. Die Familienmitglieder sind dann meistens schon unterwegs zur Arbeit oder in die Schule.
Angélica schlüpft in ein bequemes T-Shirt und in ihre Flipflops. Sie beginnt damit, das stehen gelassene Geschirr von zwei Tagen einzuweichen. Anschließend setzt sie die erste Waschmaschine an und putzt die Bäder und das Wohnzimmer. Auf dem Parkett im Wohnzimmer trägt sie ein übel riechendes Wachs auf, das sie später, auf Knien, wieder wegpoliert.
„Niemand will Hausangestellte werden, davon träumt man nicht. Meine Mutter war auch schon eine und hat sich sicher was anderes für mich gewünscht“, sagt Angélica. Eine doméstica zu haben, hat in Brasilien Tradition. Es ist ein Arbeitsverhältnis, das schon zu Kolonialzeiten existierte als afrobrasilianische Hausmädchen in den Herrenhäusern der weißen, meist portugiesischen Bevölkerung putzten oder die Kinder großzogen.
Während die Wäsche im Trockner ist, beginnt Angélica mit dem Kochen und erzählt von ihrer Kindheit. Mit vierzehn hat sie die Schule abgebrochen, kurz danach geheiratet. Ihr erstes Kind starb noch im Säuglingsalter. Für ihre anderen beiden Kinder hatte sie selten Zeit. Oft halfen Verwandte aus, weil Angélica zur Arbeit musste. Heute wird sie die Mahlzeiten für zwei Tage vorbereiten und anschließend einfrieren. Reis und braune Bohnen, das brasilianische Nationalgericht ist praktisch immer dabei. Der Nachmittag vergeht mit Bügeln und Bettbeziehen.
Hausmädchen-Kammer
Um fünf Uhr abends verlässt Angélica die Wohnung wieder, noch bevor ihre Arbeitgeber zurück sind. Wenn alles gut läuft, ist sie um halb acht wieder zu Hause. Nur ab und zu, wenn sie den dichten Feierabendverkehr fürchtet, schläft sie in der Hausmädchen-Kammer und verbringt dann den Abend mit Familie Souza, zum Beispiel auf der Couch vor dem Fernseher.
Tatsächlich haben die Familien der eher hellhäutigen brasilianischen Mittelschicht ein sehr inniges Verhältnis zu ihren meist afrobrasilianischen Hausangestellten. Angélica und die Souzas besprechen privateste Probleme, das Hausmädchen wird zu den Geburtstagsfeiern der Kinder eingeladen (umgekehrt natürlich nicht). Früher wurden die Kinder in nicht wenigen Familien vom Hausmädchen gestillt und großgezogen. Noch heute reden viele Brasilianer mit mehr Begeisterung über die Beziehung zu ihrer doméstica als über die zur eigenen Mutter.
Auch Maria de Souza hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Angestellten Angélica:„Nach so vielen Jahren, da lernt man sich gut kennen. Du musst nicht mehr sagen, was du willst. Diejenige weiß, was du willst.“ Sie hat ihrer Angestellten auch schon Geld geliehen, wenn es eng wurde. Angélica hört zu und kennt die geheimen Probleme der Kinder. Manchmal vermittelt sie sogar, wenn es unter den Eheleuten Streit gibt. Angélica gehört zur Familie Souza – mehr als das in einer deutschen Familie vorstellbar wäre.
In der brasilianischen Gesellschaft spielt die doméstica eine wichtige Rolle. Sie gehört zum guten Ton. Da die volkswirtschaftlichen Indikatoren für Wohlstand über Jahrzehnte hinweg schwankten, gibt es in Brasilien zum Erkennen des gesellschaftlichen Status andere, feinere Unterschiede. Die Möglichkeit, körperliche Arbeit an andere abgeben zu können, zum Beispiel. Wer sich ein Hausmädchen, einen Portier, einen Gärtner oder einen Autowäscher leisten kann, der gehört in Rio zu den oberen Schichten. Dies schafft einen enormen Arbeitsmarkt für ungelernte Arbeitskräfte.
Rassismus? „Klassenunterschiede“!
„Das System hängt davon ab, dass Hausarbeit die am schlechtesten bezahlte Arbeit sein muss, damit sie sich auch die Ärmsten der oberen Schichten leisten können – ein unverzichtbares Kennzeichen des Lebens der Mittelschicht“, beschreibt die Soziologin Donna M. Goldstein diesen Zusammenhang. Nur so gehört man dazu – und nicht zur „bedienenden Klasse“.
In Brasilien existiert kein Rassismus, zumindest in der Meinung der meisten Brasilianer. Sie sehen Brasilien als ein Land der „Mischung“, anders als etwa Südafrika oder die USA, wo Rassenunterschiede sogar gesetzlich festgeschrieben wurden. In Brasilien gab es solche Gesetze nie. Wer von Rassismus spricht, wird korrigiert, es handele sich um „Klassenunterschiede“, die vielleicht mit unterschiedlichen Hautfarben korrelierten.
Zwar gehören die Souzas schon länger zur Mittelschicht und mögen ihre doméstica sehr, aber dass bedeutet nicht, dass sie ihre Hausangestellte fair bezahlen würden. „Mein Arbeitstag hat heute 14 Stunden und ich verdiene ungefähr anderthalb Mindestlöhne. Am Ende des Monats bleiben mir 800 Reais“, das sind umgerechnet etwa 310 Euro.
Aber Angélica will sich nicht beschweren: „Mit meinen Arbeitgebern habe ich großes Glück. Früher hatte ich Arbeitgeber, die mochten es, uns zu erniedrigen. Da durfte man dann im Bad zum Händewaschen nur die billige Seife verwenden. Man durfte bestimmte Gläser nicht benutzen oder musste Brot essen, wenn es Kuchen gab. Auf so etwas wurde dann geachtet.“
„Für manche existieren wir gar nicht“
Auch in der Luxus-Wohnanlage der Familie Souza erlebt man das, wenn man mit Angélica unterwegs ist. Während sie alle mit einem freundlichen Lächeln grüßt, geht ein älterer Herr wortlos an ihr vorüber. „Für manche existieren wir gar nicht.“ Solche Vorbehalte zeigen sich sogar in der Architektur.
Die Wohnung der Souzas verfügt über ein separates Zimmer für die doméstica, das man über einen separaten Hintereingang erreicht. Es gibt alles doppelt: einen eigenen Flur, eigenen Fahrstuhl, sogar einen eigenen Hauseingang, offiziell „Service-Eingang“ genannt.
Die Lebensbereiche der „bedienenden“ und der „bedienten“ Klasse werden klar voneinander getrennt gehalten. Seit über fünfzig Jahren baut man in Brasilien Apartmentblöcke auf diese Art und Weise. Für die Hausherrin Maria bedeutet es einfach „etwas mehr Privatheit“.
Die jüngst beschlossene Verfassungsänderung wird daran nichts ändern. Aber immerhin macht sie Schluss mit der jahrhundertelangen Tradition, domésticas gewissermaßen als Privatsache zu behandeln. Stattdessen werden sie in Zukunft anderen Berufsgruppen gleichgestellt. Im Detail bedeutet das zum Beispiel, dass Arbeitgeber in einen Notfall-Fonds einzahlen müssen, etwa für den Fall einer ungerechtfertigten Kündigung.
Kostensteigerung um zehn Prozent
Das bedeutet eine Kostensteigerung von etwa zehn Prozent. Brasilien passt seine Gesetzgebung damit den Forderungen der Internationalen Organisation für Arbeit an. Diese hatte 2011 mit der Konvention 189 ein Abkommen für die Besserstellung häuslicher Arbeit weltweit verabschiedet. Bisher sind nur vier Länder der Konvention beigetreten.
Die Arbeitgeberorganisationen in Brasilien warnen bereits, das bis zu 800.000 domésticas durch die Verfassungsänderung ihren Job verlieren könnten. Dabei haben viele Arbeitgeber schon auf die arbeitsrechtliche Gleichstellung der domésticas reagiert. Sie nutzen eine Lücke im Gesetz: Wer seine Hausangestellten nicht mehr als zwei Tage die Woche beschäftigt, für den gelten die neuen Regeln nicht. Auch Maria de Souza beschäftigt Angélica nicht Vollzeit, sie teilt sich „ihre“ Hausangestellte mit Anderen.
Angélica arbeitet gewissermaßen freiberuflich in drei verschiedenen Haushalten. Da sie das ohne Arbeitsvertrag tut, gelten auch die neuen Regelungen für sie nicht. Dennoch ist sie sich sicher, dass sie davon profitieren wird: „Es gibt heutzutage nicht mehr genug Mädchen, die als Hausangestellte arbeiten. Weil der Bedarf aber weiter steigt, müssen die Arbeitgeber auch mehr bieten. Sie werden sich schon an die neuen Vorgaben gewöhnen.“
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