Rechte Richter im Ehrenamt: AfD jubelte zu früh
Der einschlägig bekannte AfD-Politiker Thomas Hartung sollte Laienrichter für das Verwaltungsgericht Stuttgart werden. Gewählt wurden am Ende andere.
Der AfD-Politiker Thomas Hartung wird nicht ehrenamtlicher Richter am Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart. Dabei hatte die AfD-Fraktion schon über ihren „größten politischen Erfolg“ in der bisherigen Wahlperiode gejubelt. Am 1. Dezember hätte Hartungs Amtszeit begonnen.
Ehrenamtliche Richter:innen gibt es in allen Gerichtszweigen, vom Arbeitsgericht bis zum Sozialgericht. Am bekanntesten sind die ehrenamtlichen Richter:innen im Strafrecht, dort heißen sie Schöff:innen. Die Laienrichter:innen stehen zwar im Schatten der Berufsrichter:innen, haben aber das gleiche Stimmrecht. Am Verwaltungsgericht entscheiden sie mit über Klagen gegen Baugenehmigungen, Demoverbote und abgelehnte Asylanträge.
Thomas Hartung ist promovierter Germanist und versteht sich als AfD-Intellektueller. In Sachsen war er AfD-Mitgründer und stellvertretender Landesvorsitzender. Seit 2020 ist Hartung Pressesprecher der Landtagsfraktion Baden-Württemberg. Deutschland hält er für eine „Umerziehungsrepublik“, so sein jüngstes Buch. Als er einen schwarzen Busfahrer mit Terrorismus assoziierte, wurde er wegen Volksverhetzung angeklagt, aber freigesprochen. Und Stephan Harbarth, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, bezeichnete er als „Schaufensterpersonalie“.
Dennoch wollte Hartung selbst Teil der Justiz werden. Die AfD-Fraktion im Böblinger Kreistag, dem er selbst angehört, schlug ihn als ehrenamtlichen Verwaltungsrichter vor. Ende Juli übernahm der Kreistag ohne Diskussion die Vorschläge aller Fraktionen in seine 52-köpfige Nominierungsliste, also auch die 7 von der AfD genannten Namen. Was die AfD jedoch bei ihrem Jubel darüber übersehen hatte: Dem Landkreis Böblingen stehen nur halb so viele, nämlich 26, ehrenamtliche Richter:innen am VG Stuttgart zu.
In geheimer Wahl gewählt
Die endgültige Auswahl hatte ein 9-köpfiger Wahlausschuss unter dem Vorsitz von Verwaltungsgerichtspräsidenten Jan Bergmann zu treffen. Neben einer Vertreterin des Lands gehören dem Ausschuss außerdem 7 vom Landtag gewählte Vertrauensleute an. Die Landtagsfraktionen hatten proporzgemäße Vorschlagsrechte, nur der Vorschlag der AfD wurde nicht gewählt. Sie war also im Wahlausschuss nicht vertreten.
Zu Beginn der geheimen Sitzung Ende Oktober schlug der Vorsitzende die Wahlkriterien vor: Es sollten erfahrene und neue Laienrichter:innen gewählt werden, etwa gleich viele Männer und Frauen aus allen Altersgruppen. Parteizugehörigkeit und Religion durften keine Rolle spielen, so der Präsident des VG. Und dann verwies er noch auf Paragraf 13a des baden-württembergischen Richtergesetzes: „In das ehrenamtliche Richterverhältnis darf nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“ Die Norm wurde im Jahr 2000 eingeführt. Nicht alle Bundesländer haben eine derartige Norm. Aber überall gilt ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2008, wonach auch für ehrenamtliche Richter:innen das Gebot der Verfassungstreue gilt.
Der Wahlausschuss tagte drei Stunden lang und wählte „in Einzelwahl“ 272 ehrenamtliche Richter:innen aus 13 Landkreisen. Im Schnitt dauerte ein Wahlgang also 40 Sekunden. Am Ende blieb Thomas Hartung ungewählt. War das Zufall oder gab es verfassungsrechtliche Bedenken? Das bleibt wegen des Wahlgeheimnisses offen. 3 andere der 7 AfD-Vorschläge aus dem Böblinger Kreistag wurden dagegen gewählt. Wie viele AfD-Vorschläge insgesamt gewählt wurden, ist unbekannt. Ab dem 1. Dezember sind die ehrenamtlichen Richter:innen im Amt – für maximal 12 Sitzungstage pro Jahr.
Ist mit Blick auf die AfD-Laienrichter:innen nun die Gerechtigkeit in Baden-Württemberg in Gefahr? Auch bei der Wahl vor 5 Jahren wurden AfD-Vorschläge gewählt. Auffällige Vorkommnisse sind nicht bekannt geworden.
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