Jung, sportlich, weiß

In Deutschland breiten sich „Active Clubs“ aus – eine neue rechtsextreme Organisationsform, gewaltbereit und kampfsporterfahren. Wie gefährlich sind sie? Und was hat die AfD damit zu tun?

Vorbild USA: Ein Mitglied der rechtsextremen Patriot Front zeigt das Symbol für „White Power“ bei einem Prozess gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump Foto: Michael Nigro/imago

Von Sarah Ulrich

Zwei weiße junge Männer, durchtrainiert, oberkörperfrei, stehen sich im Boxring gegenüber. Ein Video zeigt, wie sie kämpfen: mit Fäusten, auf dem Boden ringend. Zum Schluss steht einer als Sieger da: Lukas Suttner, der Mann der das Team „Spartan Weiden“ repräsentiert, eine Kampfsportschule aus Weiden in der Oberpfalz. Ein Video auf dem Instagram-Kanal des „Team Spartan Weiden“ zeigte Suttner vor dem Wettkampf beim Training, unterlegt mit elektronischer Musik. Am Ende hebt er kämpferisch die Faust.

Der 27-jährige Lukas Suttner ist kein Unbekannter, sein erster Boxkampf nicht lediglich ein harmloses Sport­event. Vielmehr sind er und sein Kampf Ausdruck einer neuen, neonazistischen Organisierungsform, die sich seit 2023 nach US-amerikanischem Vorbild auch in Deutschland ausbreitet, um einen angeblichen „weißen Genozid“ zu verhindern: sogenannte Active Clubs.

Laut einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) identifiziert das Bundesamt für Verfassungsschutz derzeit etwa ein Dutzend solcher Active Clubs in verschiedenen Regionen Deutschlands. Der Ausbau dieser Strukturen schreite „zügig voran“, während die „hohe Gewaltneigung“ der ideologischen Vordenker erheblich sei. Tatsächlich sind die Active Clubs nicht nur gewaltbereit und kampfsporterfahren, sondern schon jetzt gut in Strukturen eingebunden, die über neonazistische Kreise bis zur AfD gehen.

Das Konzept der Active Clubs ist auf den US-amerikanischen Neonazi Robert Rundo zurückzuführen. Dieser sieht Chancen der Rekrutierung für eine neonazistische Bewegung nicht im Politischen, sondern im Sport. Die Idee: Junge Männer werden über gemeinsame sportliche Freizeitaktivitäten an die Ideologie herangeführt. Mit Erfolg: Das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie ­(CeMAS) identifizierte im Juni 126 aktive Clubs weltweit.

Die Clubs präsentieren sich insbesondere über soziale Medien, allen voran Telegram. In Channels mit den Namen „Active Club GERMANIA“, „Active Club Taunus“ oder „Active Club Nordgau“ posten sie Videos, Fotos und Artikel. Die Videos zeigen vor allem junge Männer – beim Kampfsport, in der Natur, beim Kleben rechtsextremer Sticker. Unterlegt sind sie meist mit schneller, elektronischer Musik, die Gesichter der Männer vermummt. Unverkennbar zeigen sie alle jedoch einen Idealtyp: jung, sportlich, weiß.

Die Active Clubs knüpften an bereits bestehende Strukturen des militanten Neonazismus an, sagt Rechtsextremismusforscher Robert Claus, der sich seit Jahren mit der neonazistischen Kampfsportszene beschäftigt. „Die gewaltvolle Ideologie mit einem Hauptbezugspunkt auf ethnisch weiße Volkskörper und dem damit verbundenen rassistisch aufgeladenen Überlegenheitsgedanken ist bekannt“, so Claus. Neu seien die Selbstinszenierung und Ästhetik.

Eine Schlüsselfigur ist Patrick Schröder, ein seit Jahrzehnten in Deutschland aktiver, bekannter Rechtsextremist. Der 41-Jährige war stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Heute sagt er: Wäre er jünger, wäre er zur AfD gegangen. Mit seinem Online-TV und Radio-Format „FSN. The Revolution“, kurz für Frei, Sozial, National“ betreibt er seit Jahren rechtsextreme Propaganda. Er baute das für die neonazistische Szene zentrale Kleidungslabel „Ansgar Aryan“ auf. Das Label wurde von Schröders „Nemesis Production GmbH“ mit Sitz im oberpfälzischen Mantel betrieben, ebenso wie die Marke „White Rex“. Diese zählt zu den beliebtesten Neonazi-Marken.

„White Rex“ wurde 2008 von dem deutsch-russischen Neonazi Denis Kapustin gegründet, ebenfalls einer der Vordenker der neonazistischen Active Clubs. „White Rex“ fungierte nicht nur als Szenemarke, sondern auch als Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten in Russland und Sponsor von rechtsextremen Kampfsportevents. 2022 geht Kapustin in die Ukraine, um das Land gegen den russischen Angriffskrieg zu verteidigen. Er übergibt das Geschäft an Patrick Schröder, den Neonazi aus Weiden. Jedoch nicht für lange.

Im Juni 2023 übernimmt Lukas Suttner, der Kampfsportler vom „Team Spartan Weiden“, die Geschäftsführung. Suttner, der junge Kampfsportler, führt nun also die Geschäfte desjenigen, von dem die Active Clubs maßgeblich ausgehen. Wer ist dieser Mann?

Wie die Autonome Antifa Freiburg in einem Text im Mai 2024 schrieb, ist Suttner seit vielen Jahren „Teil der Oberpfälzer Naziszene“. Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern beobachtet ihn schon seit geraumer Zeit. Ein Foto im Internet zeigt Suttner im Oktober 2019 an einem Infostand der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB), wie er mit einem Transparent der völkisch-nationalistischen Ak­ti­vis­t*in­nen posiert. Die Aufschrift: „Patrioten weichen nicht zurück.“ Neben Suttner sind noch weitere Männer zu sehen. Mindestens zwei von ihnen kann nachgewiesen werden, dass sie ebenfalls im rechtsextremen Kampfsport aktiv sind.

Doch nicht nur mit der IB sind die Oberpfälzer Active-Club-Mitglieder vernetzt. Immer wieder findet man sie auch im Kontakt mit AfD-Funktionären. Au­gen­zeu­g*­in­nen berichten der taz, dass mindestens ein Active-Club-Mitglied im Jahr 2024 bei einer Veranstaltung mit dem ehemaligen AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah sowie auf Veranstaltungen der Jungen Alternative gesichtet wurden.

Ein Foto, das der taz vorliegt, zeigt Lukas Suttner und Patrick Schröder bei einer AfD-Kundgebung 2021 in Nürnberg – nebst zentralen Akteuren der IB. Suttner und Schröder zeigen das rechtsextreme „White Power“-Symbol. Ein weiteres Foto von September 2022 zeigt Patrick Schröder nebst AfD-Politiker Dieter Arnold als Ordner bei einer AfD-Veranstaltung im bayerischen Schwandorf. Schon da trugen die rechtsextremen Aktivisten ein Transparent mit der Aufschrift „Unser Volk zuerst. Autarkie – Souveränität – Remigration.“ Ein Augenzeuge bestätigt der taz, Schröder und Arnold hätten sich „vertrauensvoll umarmt“. Arnold sitzt seit 2023 für die AfD im Bayerischen Landtag.

Im Oktober 2023 zeigte sich Suttner im vertrauten Gespräch mit einem IB-Aktivisten und Reinhard Mixl, einem AfD-Stadtrat und Landtagskandidaten aus Schwandorf. Auch das zeigt ein Foto, ebenso den AfD-Politiker Alexander Bock vom Kreisverband Weiden, wie er für Neonazi Patrick Schröder Inhalte für dessen Kanal filmt.

Es ist Teil der Strategie der Active Clubs, die AfD als verlängerten Arm in die parlamentarische Politik zu nutzen. In der Juni-Ausgabe der rechtsextremen Zeitschrift „NS Heute“ schreibt Patrick Schröder in einer Titelgeschichte, die Szene habe seit Jahren keine „zielführende Strategie“ – die Active Clubs nennt er den „Ausweg“ für den „Nationalen Widerstand“. Im Text heißt es, die AfD dominiere den realpolitischen Bereich, wodurch auch Themen „im Mainstream verankert [werden], die noch vor kurzem niemand in den Mund nehmen durfte“. Viele seien „mit neurechten oder AfD-Gruppen im Austausch oder arbeiten im Hintergrund an Projekten mit.“ Die Jugendlichen, die bei einer Landtagswahl AfD wählen, bezeichnet er als „theoretisch ansprechbare Zielgruppe“.

Gleichzeitig konstatiert Schröder, dass das eigene Lager – vermutlich meint er kampfsportaffine Neonazis – darin „etwas hinten runter“ fällt. Die Lösung: über Freizeitaktivitäten junge Männer an den Aktivismus heranführen. In einem 20-Punkte-Plan arbeitet er die Strategie heraus, die neben Tipps zum unverfänglichen Namen („Bitte nennt Euch nicht Aryan Terror Brigade Active Club“, sondern eher „Alpine Active Club“) auch Erwartungen an die AfD formuliert. So sieht Schröder die Active Clubs als „Vorfeldarbeit einer AfD“ und erwartet entsprechend, dass diese „die Parlamentskohle“ ebenso wie Räume zur Verfügung stellen sollte. Die Hoffnung: „Eine neue Jugendkultur hätte die Möglichkeit, konkurrenzlos in unserem Lager zu sein und zum Beispiel im späteren Verlauf AfD-Infostände abzusichern.“

Die Formulierung Schröders lässt vermuten, dass diese Erwartungen an eine strukturelle Unterstützung durch die AfD noch nicht erfüllt sind. Aber: Die Kontakte gibt es bereits. Und der Verfassungsschutz erwartet einen „zügig voranschreitenden Ausbau von Strukturen“.

Aktiv sind die Clubs in ganz Deutschland – zum Beispiel in Berlin, wo sie sich mit der Jugendorganisation der neonazistischen Partei „III. Weg“ verbünden, in Rheinland-Pfalz, wo der harmlos klingende „Freundeskreis Westerwald“ bereits im Blick des hessischen Verfassungsschutzes ist, oder in Baden-Württemberg, wo der Landesverfassungsschutz vor einem Anstieg rechtsextremer Kampfsportgruppen warnt.

Die Idee: Junge Männer werden über gemeinsame sportliche Freizeit­aktivitäten an die Ideologie herangeführt

Immer wieder finden sich auch Verbindungen zwischen der neonazistischen Kampfsportszene und der AfD. So zum Beispiel bei der Jungen Alternative (JA) Schleswig-Holstein, die am rechtsextremen „Tag der Ehre“ im Budapest teilnahm und Mitglieder über Kampfsport rekrutiert. Von Schröder wird die JA Schleswig-Holstein als Positivbeispiel herangezogen. Auch in Sachsen hat sich die rechtsextreme Kampfsportszene fest lokal verankert – sogar im Stadtrat als Partner der AfD.

Die dezentrale Organisierung über Telegram ermöglicht es den Gruppen, schnell zu wachsen. In den USA wuchs die Anzahl der Gruppen 2023 laut einer Studie des Counter Extremism Project (CEP) innerhalb von vier Monaten um 50 Prozent. Rechtsextremismus-Experte Robert Claus sagt, viel hänge davon abhänge, ob die Active Clubs es schaffen, noch stärker die Brücke zu anderen Formen der extremen Rechten zu schlagen – also beispielsweise zur IB und zur Jungen Alternative. Und davon, ob sie sich von Verboten freihalten kann.

Claus sagt jedoch auch, dass die Erfolgschancen mit Patrick Schröder als informeller Leitung des Projekts „eher gering“ ausfielen. Zu umstritten sei dieser in der Szene, zu sehr habe er an Einfluss verloren. Die Active Clubs seien vor allem ein Versuch, eine Krise der neonazistischen Organisierung zu überwinden. „Diese Personen kommen aus einer militanten Kameradschaftsszene“, sagt Claus. „Am Ende sind es die gleichen Leute, die versuchen, sich unter neuem Label zu reorganisieren.“

Lukas Suttner scheint es jedenfalls ernst zu meinen. In einer Chat-Nachricht, die der taz vorliegt, bedroht der Kampfsportler einen Mann, der sich in einem lokalen Demokratiebündnis engagiert. Er nennt ihn einen „ehrenlosen Bastard“ und fordert ihn zum Kampf auf: „1 vs 1 Bareknuckle, was sagst du dazu?“